Das Fehlen von Schärfungsgründen alleine führt nicht zum minder schweren Fall der Vergewaltigung. Hinweis: Dieses Urteil ist nur rechtshistorisch von Bedeutung, inzwischen ist das Sexualstrafrecht reformiert und es gibt keinen minder Schweren Fall bei einer Vergewaltigung! Lassen Sie sich bei Vorwurf der Vergewaltigung sofort beraten und vertreten.
Urteil OLG Hamm3 Ss 316/04 Die für die beiden Vergewaltigungstaten zu verhängenden Einzelstrafen sind aufgrund der Verwirklichung des Regelbeispiels des besonders schweren Falles gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 (Vollzug des Beischlafs) grundsätzlich dieser Norm zu entnehmen. Zwar kann trotz der Verwirklichung des Regelbeispiels wegen Vorliegens erheblicher schuldmindernder Umstände anstatt des Strafrahmens des
§ 177 Abs. 2 StGB der des § 177 Abs. 1 StGB zur Anwendung gebracht werden (BGH NStZ 1999, 615; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., Rdnr. 26 zu § 177 m.w.N.). Umstände, die der Tat trotz Erfüllung eines Regelbeispiels das Gepräge eines minder schweren Falles geben können, müssen allerdings die erschwerenden Gesichtspunkte deutlich überwiegen. Bei der Abwägung ist entscheidend, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Bei der Gesamtbetrachtung sind alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGHSt 26, 97; BGHR StGB § 177 I Strafrahmenwahl 1, 5, 6; BGH NStZ-RR 298). Dabei ist als tatbezogener Umstand auch die Verwirklichung des Regelbeispiels als schulderschwerender Gesichtspunkt in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen (BGH NStZ 2000, 419 m.w.N.). Der in dem Regelbeispiel genannte Strafschärfungsgrund kann aber dennoch durch strafmildernde Gesichtspunkte in einer Weise überlagert werden, dass die Anwendung des Strafrahmens des § 177 Abs. 1 StGB möglich bleibt. \r\n
Zwar ist bei der revisionsrechtlichen Überprüfung der Strafzumessung eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen, weil die Strafzumessung grundsätzlich die Aufgabe des Tatgerichts ist und das Revisionsgericht nur eingreifen kann, wenn das Tatgericht rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht lässt oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. Tröndle/Fischer, Rdnr. 108 zu § 46 StGB m.z.w.N.). Nur in diesem Rahmen kann eine Verletzung des Gesetzes vorliegen.
Die Wahl des richtigen Strafrahmens und die richtige Würdigung der für das Strafmaß materiell-rechtlich maßgeblichen Leitgesichtspunkte des § 46 StGB sind hingegen einer rechtlichen Überprüfung zugänglich (Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 5. Aufl., Rdnr. 440; Meyer-Goßner, Rdnr. 34 zu § 337 StPO).
Die Einstufung der Tat als besonders schwer oder minder schwer unterliegt der Revision insoweit, als das Revisionsgericht zu überprüfen hat, ob das Tatgericht alle maßgeblichen Umstände bedacht hat; indes darf das Revisionsgericht seine Wertung nicht an die Stelle derjenigen des Tatgerichts setzen. \r\n
Bei den zu Lasten des Angeklagten zu würdigenden Umständen ist die Tatsache, dass der Angeklagte in beiden Vergewaltigungsfällen die Merkmale des Regelbeispiels des Absatzes 2 Nr. 1 erfüllt hat, nicht genannt. Das Fehlen dieses wesentlichen Punktes lässt bereits besorgen, dass die Kammer die besonderen erschwerenden Umstände der Tatbegehung nicht hinreichend gewürdigt und der durch das Regelbeispiel gegebenen gesetzlichen Vermutung, dass der Fall insgesamt als besonders schwer anzusehen ist, nicht hinreichend Rechnung getragen hat. Bereits aus diesem Grunde wird die Abwägung der Strafkammer zur Strafrahmenwahl dem Unrechtsgehalt der Tat auf Seiten der erschwerenden Umstände nicht hinreichend gerecht, weil sie unvollständig erscheint.
Hinzu kommt, dass die Strafkammer nicht berücksichtigt hat, dass der Angeklagte bei Begehung beider Vergewaltigungstaten tateinheitlich die Nebenklägerin körperlich misshandelt und sich somit jeweils tateinheitlich der Körperverletzung gemäß § 223 StGB schuldig gemacht hat. Dies wiegt um so schwerer, als es sich in beiden Fällen nicht um leichte Misshandlungen handelt, sondern um erhebliche Schmerzzufügung durch Schläge auf den Körper, Verdrehen von Extremitäten, Tritten bzw. Stößen vor die Beine und im zweiten Fall sogar mehrfaches Würgen am Halse mit Entstehen von Luftnot und Lebensangst. Die Ausführungen der Strafkammer, dass zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt worden sei, dass die Art und Weise der Tatausführung das Ausmaß der zur Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes erforderlichen Gewaltanwendung überschreite, ist insoweit nicht ausreichend und wird der Gesamtwürdigung der Taten nicht gerecht. Die fehlende Einordnung der Gewalt als tateinheitlich begangene körperliche Misshandlungen und damit Körperverletzungen im Sinne des Gesetzes ist ein gravierender Tatumstand, den die Kammer zu Unrecht nicht in ihre Erwägungen einbezogen hat.
Bei der zweiten Vergewaltigungstat, bei der die Nebenklägerin gewürgt wurde und Lebensangst empfand, ist die Art und Weise der Begehung sogar so schwerwiegend, dass das Tatbild an der Grenze zur Qualifikation gemäß § 177 Abs. 3 Nr. 3 StGB liegt, bei der das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung gebracht wird.
Zutreffend hat die Kammer zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass beide Taten Ausdruck der übersteigerten Besitzansprüche des Angeklagten an seine Ehefrau und zudem seiner grundlosen übertriebenen Eifersucht waren. \r\n
Die Erwägungen, die die Strafkammer zugunsten des Angeklagten bei der Strafrahmenwahl angestellt hat, sind ebenfalls teilweise rechtsfehlerhaft.
Soweit die Kammer zugunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass die Tat (richtigerweise die Taten) in die emotional belastete lange Trennungsphase der Eheleute fielen, ist dies entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft zwar nicht zu beanstanden. Ein Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen, die die Revision insoweit geltend macht, besteht nicht. Zwar ist in den ergänzenden Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen, die die Strafkammer getroffen hat, ausgeführt (Bl. 5 Ende des 1. Absatzes), dass die Nebenklägerin sich (erst) im Mai 2002 im Zusammenhang mit den Taten, die Gegenstand dieses Verfahrens sind, von dem Angeklagten trennte; auch hat das Amtsgericht bindend festgestellt, dass die Nebenklägerin trotz der Vorfälle noch nicht ganz den Glauben verloren gehabt habe, dass ihre Ehe wieder gut gehen werde. Andererseits hat das Amtsgericht bindend festgestellt (Bl. 5, 2. Absatz Mitte), dass die Nebenklägerin bereits ab Mitte 2001 wegen der ständigen Streitigkeiten am Tage nicht mehr zum Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten bereitgewesen sei und begonnen habe, erneut über eine Trennung zu sprechen. Spätestens ab dieser Zeit ist danach vom Beginn der Trennungsphase auszugehen, so dass die in der Zeit zwischen Ende September und Ende Dezember 2001 und im Januar/Februar 2002 festgestellten Vergewaltigungen in die Trennungsphase der Eheleute fielen. \r\n
Soweit die Strafkammer indes zugunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass dieser Probleme damit gehabt habe, dass sich seine Ehefrau, die er als junges Mädchen und Lehrling in seinem Geschäft kennengelernt hatte, sich sowohl beruflich als auch privat emanzipiert habe, ist dieser Milderungsgrund nicht nachvollziehbar. Zum einen ist bereits nicht zu erkennen, inwiefern sich die Nebenklägerin, die nach den Feststellungen erheblich und langfristig unter der zum Teil gewalttätigen Dominanz des Angeklagten litt, emanzipiert haben soll. Weder ist eine private Abgrenzung der Nebenklägerin von dem Angeklagten zur Tatzeit ersichtlich, noch eine berufliche Emanzipation, da die Nebenklägerin auch vor und nach der Eheschließung im Jahre 1991 bereits berufstätig war. Hinzu kommt, dass es dem Angeklagten nicht zugute gehalten werden kann, dass er Schwierigkeiten damit hatte, die Nebenklägerin als gleichberechtigte Partnerin zu respektieren. Etwas anderes kann allenfalls bei Angehörigen fremder Kulturkreise gelten, in denen die Unterordnung der Ehefrau noch weltanschaulich verinnerlicht ist, was hier jedoch völlig fern liegt. Zu Recht weist die Staatsanwaltschaft in ihrer Revision darauf hin, dass die ehelichen Schwierigkeiten als solche schon deshalb keinen Milderungsgrund darstellen können, weil sie nach den Feststellungen darauf beruhten, dass der Angeklagte sich innerhalb der ehelichen Beziehung nicht adäquat verhielt, insbesondere immer neue in den Feststellungen im Einzelnen aufgeführte Gründe für die ehelichen Streitigkeiten bot. Die Kammer ist insoweit zu Unrecht von mildernden Tatumständen ausgegangen. \r\n
Rechtsfehlerhaft hat die Kammer zugunsten des Angeklagten ferner einen Milderungsgrund darin gesehen, dass die Nebenklägerin keine schweren Folgen der Vergewaltigungstaten davongetragen habe. Das bloße Fehlen schwerwiegender Tatfolgen stellt für sich allein keinen Milderungsgrund dar, sofern dies nicht durch ein Verdienst des Täters begründet ist, wofür vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich sind. Umgekehrt ist vielmehr der Eintritt schwerwiegender Folgen ein Strafschärfungsgrund. Das Nichtvorliegen eines Strafschärfungsgrundes gibt der Tat jedoch noch kein minder schweres Gepräge.
- Justizminister wünschen allgemeine Autoschlüssel-Kopie für Ermittler - 7. Dezember 2024
- KCanG: BGH zur Zusammenrechnung von Freimengen - 5. Dezember 2024
- BVerfG zu Encrochat: Keine generellen Beweisverwertungsverbote - 5. Dezember 2024