Meinungsäußerungen gegenüber Polizeibeamten

In einer jüngeren Entscheidung (BayObLG, Beschluss vom 14.10.2024 – 206 StRR 343/24) hat das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) wesentliche Grundsätze zur strafrechtlichen Bewertung von Meinungsäußerungen, insbesondere gegenüber Polizeibeamten, präzisiert.

Im Folgenden geht es um die rechtlichen Kernfragen dieser Entscheidung, die nicht nur im Bereich der Beleidigungsdelikte, sondern auch hinsichtlich der Abwägung zwischen (Art. 5 Abs. 1 GG) und Ehrenschutz (StGB § 185) richtungsweisend ist.

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer hatte gegenüber Polizeibeamten eine Äußerung getätigt, die von diesen als beleidigend empfunden wurde. So äußerte dieser gegenüber den als Polizeibeamten erkennbaren Polizisten die Worte „seids ihr no ganz dicht?“ und vertiefte durch das zweimalige Zeigen des sog. Scheibenwischers.

Das Verfahren drehte sich nun um die Frage, ob diese Äußerung tatsächlich als strafbare zu werten oder durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei. Streitpunkt war insbesondere, ob die Bemerkung sich konkret auf die Beamten selbst oder vielmehr auf die generelle Vorgehensweise der Polizei bezog.

Rechtliche Würdigung

Maßgeblichkeit der Sinnermittlung

Zentraler Ansatzpunkt der Entscheidung ist die korrekte Auslegung des Äußerungssinns. Das Gericht stellte klar, dass der Wortlaut allein den Sinn einer Äußerung nicht abschließend bestimmt. Vielmehr sind alle sprachlichen und situativen Begleitumstände heranzuziehen. Dabei gilt:

  • Kommen mehrere Deutungsmöglichkeiten in Betracht, muss sich das Gericht für diejenige entscheiden, die nicht strafbar ist, es sei denn, diese Auslegung kann überzeugend ausgeschlossen werden.
  • Dieses Prinzip schützt vor einer voreiligen Kriminalisierung mehrdeutiger Äußerungen und betont die Notwendigkeit einer umfassenden Würdigung des Kontextes.

So führt das Gericht aus:

Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird (…). Maßgebend ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat.

Demgemäß sind weder die Aussage des Beamten, der Angeklagte habe ihn und seinen Kollegen gemeint (…), noch die Einlassung des Angeklagten, er habe Polizeibeamten nicht beleidigt, sondern sie nur gefragt, was das soll (…), jeweils allein ausschlaggebend. Bei der Auslegung ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, der aber den Sinn nicht abschließend festlegt. Vielmehr sind alle sprachlichen und sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen. Kommen mehrere Deutungen in Betracht, darf sich das Gericht nur dann für die zur Bestrafung führende entscheiden, wenn es eine straflose Deutungsvariante mit überzeugenden Gründen ausschließt (…). Die Auslegung einer Äußerung ist zwar Sache des Tatgerichts und unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle. Das Revisionsgericht kann und muss diese bei vollständigen Feststellungen jedoch selbst vornehmen (…).

Gerade bei Äußerungen gegenüber Polizeibeamten ist zudem zu prüfen, ob die vermeintlich herabsetzende Äußerung dem einschreitenden Beamten selbst oder der Vorgehensweise der Polizei generell gilt (…).

Auch dann, wenn ein Vorwurf sich auf vor Ort anwesende Beamte oder selbst dann, wenn er sich auf bestimmte Beamte bezieht, kann er gleichwohl, je nach den Begleitumständen, als generelle Kritik an der Vorgehensweise der Polizei verstanden werden und von der Meinungsfreiheit gedeckt sein (…).

Unterscheidung zwischen persönlicher Beleidigung und systemkritischer Meinungsäußerung

Besonders relevant in dieser Entscheidung ist die Differenzierung, ob die Äußerung direkt auf den betroffenen Polizeibeamten oder auf die institutionelle Vorgehensweise der Polizei abzielt:

  • Individuelle Beleidigung: Wendet sich die Kritik spezifisch gegen die Person des Beamten, liegt ein Angriff auf dessen Ehre vor, der potenziell strafbar ist.
  • Systembezogene Kritik: Äußerungen, die sich gegen polizeiliche Handlungen oder allgemeine Verfahrensweisen richten, können hingegen durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein, selbst wenn sie zugespitzt oder provokant formuliert sind. Das Gericht stellte im konkreten Fall fest, dass eine herabsetzende Bemerkung – trotz der Benennung einzelner Beamter – im Gesamtkontext als generelle Kritik an der Polizeiarbeit interpretiert werden konnte.

Bedeutung der Meinungsfreiheit

Die Entscheidung unterstreicht die herausragende Stellung der Meinungsfreiheit im Verfassungsrecht. Eine Einschränkung dieser Freiheit bedarf stets einer sorgfältigen Abwägung mit anderen Rechtsgütern, wie dem . Dabei ist das Schutzgut der freien Meinungsäußerung gerade in öffentlichen Diskursen von besonderem Gewicht, um Kritik an staatlichem Handeln zu ermöglichen.

Meinungsäußerungen gegenüber Polizeibeamten - Rechtsanwalt Ferner

Es entspricht leider meiner beruflichen Erfahrung, dass sich niemand so schnell beleidigt fühlt wie Mitarbeiter im öffentlichen Dienst – vor allem Polizisten. Und dass die Justiz äußerst willfährig darin begleitet, jegliche Kritik zur Beleidigung umzumünzen.

In einer demokratischen Gesellschaft ist Kritik allerdings essenziell, ganz besonders Kritik an staatlichem Handeln. Nach diversen Klatschen aus Karlsruhe kommt diese Erkenntnis nun auch endlich bei den Obergerichten an.

Fazit

Das BayObLG hat mit diesem Beschluss wichtige Leitlinien für die strafrechtliche Bewertung von Meinungsäußerungen formuliert. Die Kernaussagen dieser Entscheidung lauten:

  • Die Sinnermittlung muss umfassend und kontextsensibel erfolgen, um die Meinungsfreiheit nicht unverhältnismäßig einzuschränken.
  • Kritische Äußerungen zur Polizei können, selbst wenn sie sich auf bestimmte Beamte beziehen, durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein, sofern der Gesamtkontext eine systembezogene Kritik nahelegt.

Die Entscheidung stärkt die Meinungsfreiheit und schärft zugleich das Bewusstsein für die differenzierte Betrachtung von Äußerungen im Spannungsfeld zwischen Kritik und Beleidigung.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
Letzte Artikel von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht) (Alle anzeigen)
Benutzerbild von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht + Kunst & Medien - ergänzt um Arbeitsrecht.