OLG Düsseldorf zur Sperrung geschäftlicher Inhalte auf sozialen Netzwerken: In einem wegweisenden Urteil vom 2. April 2025 (Az. U (Kart) 5/24) hat das Oberlandesgericht Düsseldorf entschieden, dass die Sperrung geschäftlich genutzter Inhalte durch ein marktbeherrschendes soziales Netzwerk ohne vorherige oder unverzüglich nachträgliche Begründung und Anhörung des betroffenen Nutzers eine unbillige Behinderung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB darstellt. Damit präzisiert das Gericht die kartellrechtlichen Grenzen der Plattformregulierung und stärkt zugleich die verfassungsrechtlich fundierten Verfahrensrechte von Unternehmen auf digitalen Märkten.
Sachverhalt
Der Kläger ist ein gemeinnütziger Kulturverein, der seine Veranstaltungen unter anderem über eine Seite auf der Plattform „…“ (ein weltweit bekanntes soziales Netzwerk) verbreitete. Diese Seite wurde im Dezember 2021 ohne Vorwarnung gesperrt. Die Sperrung erfolgte angeblich wegen Verstoßes gegen die „Gemeinschaftsstandards“ des Netzwerks – insbesondere ein Filmstill, das indigene Personen in traditioneller Bekleidung zeigte, soll als problematisch eingestuft worden sein. Trotz mehrfacher Kontaktversuche und Anträge auf Überprüfung erhielt der Kläger keine substantiierte Begründung für die Maßnahme. Die Seite wurde erst anderthalb Jahre später wieder freigeschaltet.
Der Kläger machte geltend, dass die Sperrung seine Rechte als Inhalteanbieter verletze und klagte unter anderem auf Unterlassung künftiger Sperrungen ohne Anhörung und Begründung. Das Landgericht gab der Klage statt; die Berufung der Plattformbetreiberin blieb vor dem OLG Düsseldorf erfolglos.
Rechtliche Analyse
1. Marktbeherrschende Stellung des Plattformbetreibers
Das OLG bejahte zunächst die Anwendbarkeit des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots (§ 19 GWB), da die Betreiberin des Netzwerks auf dem relevanten Markt für soziale Netzwerke in Deutschland marktbeherrschend sei. Entscheidend sei nicht die generelle Verfügbarkeit anderer Kommunikationskanäle, sondern der faktische Zugang zu einem spezifischen Publikum innerhalb der Plattform – und den könne nur die Beklagte ermöglichen.
2. Unbillige Behinderung durch intransparente Sperrung
Die Sperrung einer geschäftlich genutzten Seite ohne konkrete Begründung und ohne Gelegenheit zur Stellungnahme sei eine nachteilige Beeinträchtigung der unternehmerischen Betätigungsfreiheit. Ein solches Verhalten sei geeignet, strukturelle Abhängigkeiten auszunutzen und das wettbewerbliche Umfeld zugunsten des Plattformbetreibers zu verzerren. Dies gelte auch für gemeinnützige Organisationen, die im geschäftlichen Verkehr tätig werden.
Damit liegt eine unbillige Behinderung im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB vor.
3. Keine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung
Die Beklagte berief sich auf eine Klausel in ihren Nutzungsbedingungen, wonach ausschließlich irische Gerichte zuständig sein sollten. Das OLG verwarf diese Klausel als unwirksam für kartellrechtliche Ansprüche. Solche Deliktsansprüche unterliegen der autonomen Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO. Auch die Auslegung der Klausel selbst ergab nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit, dass kartellrechtliche Unterlassungsansprüche hiervon erfasst sein sollten.
4. Konkrete Verpflichtung zur Verfahrenssicherung
Besonders bedeutsam ist, dass das Gericht nicht nur die Sperrung im konkreten Fall beanstandete, sondern eine präventive Unterlassungsverpflichtung aussprach: Künftig muss die Plattform bei jeder Sperrung geschäftlicher Inhalte dem betroffenen Anbieter entweder vorher oder unverzüglich nachträglich die Möglichkeit zur Stellungnahme einräumen – einschließlich der Mitteilung konkreter Gründe. Fehlt eine solche Verfahrenssicherung, liegt ein kartellrechtswidriger Eingriff vor.
Bewertung
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf stellt eine bedeutende kartellrechtliche Weichenstellung für den Umgang mit digitalen Infrastrukturen dar. Sie stärkt den Rechtsschutz von Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren gegenüber marktmächtigen Plattformen und erinnert daran, dass die Verfahrensgerechtigkeit ein elementarer Bestandteil der Missbrauchskontrolle ist. Besonders hervorzuheben ist die transparenzrechtliche Komponente: Wer Plattformmacht ausübt, muss diese im Rahmen eines fairen Verfahrens verwenden. Das Recht auf Information und Anhörung schützt nicht nur subjektive Interessen, sondern sichert auch das Vertrauen in digitale Märkte.
Zudem zeigt sich eine europarechtlich informierte Dogmatik: Die autonome Anknüpfung kartellrechtlicher Ansprüche an den Erfolgsort im Heimatstaat des Betroffenen verhindert eine faktische Immunisierung marktmächtiger Digitalkonzerne durch klug formulierte AGB.
Resümee
Die Kernaussage des Urteils lautet: Marktbeherrschende Plattformen dürfen geschäftlich genutzte Inhalte nicht ohne Angabe von Gründen und ohne Anhörung sperren. Eine solche Maßnahme verletzt das kartellrechtliche Missbrauchsverbot (§ 19 GWB) und begründet einen Unterlassungsanspruch des betroffenen Nutzers. Zugleich setzt das Urteil Maßstäbe für die Durchsetzung von Transparenz und Verfahrensgerechtigkeit im digitalen Raum.
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