Das Arbeitsgericht Aachen hat sich mit der Loyalitätsverpflichtung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst beschäftigt (Az. 2 Ca 2092/24). Im Zentrum des Urteils stand die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein öffentlicher Arbeitgeber eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung aussprechen darf, wenn ein Arbeitnehmer gegen seine Loyalitätspflichten verstößt. Konkret ging es um den Fall eines Mitarbeiters, dem vorgeworfen wurde, seine Wohnung für Scheinanmeldungen zur Verfügung gestellt und dafür Geld angenommen zu haben.
Sachverhalt
Der Kläger war seit 2020 geringfügig beim beklagten Kreis beschäftigt und hatte zuvor ehrenamtlich ähnliche Aufgaben übernommen. Im April 2024 führte die Bundespolizei eine Durchsuchung seiner Dienststelle durch, da der Verdacht bestand, der Kläger habe seine Wohnung Dritten zur Verfügung gestellt, um ihnen die Erlangung von Aufenthaltserlaubnissen zu erleichtern. Zudem soll er dafür Zahlungen erhalten haben. Daraufhin wurde der Kläger vom Dienst freigestellt und schließlich am 28. Juni 2024 außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt. Gegen diese Kündigung klagte der Betroffene, da er sie für unwirksam hielt.
Entscheidungsgründe des Gerichts
Das Arbeitsgericht Aachen entschied, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam sei, die ordentliche Kündigung jedoch rechtmäßig. Es stützte seine Entscheidung auf mehrere zentrale Erwägungen:
1. Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung
Die außerordentliche Kündigung scheiterte daran, dass die gesetzliche Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten wurde. Laut Gericht begann die Zwei-Wochen-Frist bereits mit der Kenntnis des Arbeitgebers vom Durchsuchungsbeschluss im April 2024 zu laufen und nicht erst mit der späteren Einsichtnahme in die Ermittlungsakte. Die vom Arbeitgeber vorgebrachte Begründung, erst die Ermittlungsakte habe den Verdacht hinreichend konkretisiert, überzeugte das Gericht nicht. Eine Hemmung der Frist wegen weiterer Sachverhaltsermittlungen lehnte das Gericht ebenfalls ab, da der Arbeitgeber keine ausreichende Eile bei den Ermittlungen gezeigt habe.
2. Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung
Hinsichtlich der ordentlichen Kündigung stellte das Gericht fest, dass der Kläger durch die Bereitstellung seiner Wohnung für Scheinanmeldungen sowie die Annahme von Geldzahlungen gegen seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB und die Loyalitätspflicht gegenüber seinem öffentlichen Arbeitgeber verstoßen habe. Besonders schwer wog die Tatsache, dass der Kläger in einer verantwortlichen Position tätig war und daher eine gesteigerte Loyalitätsverpflichtung traf.
Das Gericht betonte, dass es für die Kündigung nicht auf die strafrechtliche Relevanz des Verhaltens ankommt. Es genügt, dass die Pflichtverletzung geeignet ist, das Vertrauen des Arbeitgebers nachhaltig zu zerstören. Im vorliegenden Fall sah das Gericht dieses Vertrauen als irreparabel beschädigt an. Auch eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen, da die Schwere der Pflichtverletzung dem Kläger ohne Weiteres hätte klar sein müssen.
3. Loyalitätspflicht im öffentlichen Dienst
Die Entscheidung unterstreicht die besondere Bedeutung der Loyalitätspflicht für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Diese Pflicht umfasst nicht nur die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, sondern auch die Vermeidung jeglichen Verhaltens, das das Ansehen des Arbeitgebers beschädigen könnte. Das Gericht wies darauf hin, dass gerade bei Personen in herausgehobenen Positionen die Anforderungen an die Loyalität höher anzusetzen sind. Durch sein Verhalten habe der Kläger nicht nur gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen, sondern auch das öffentliche Vertrauen in die Unbestechlichkeit und Integrität seines Arbeitgebers erschüttert.
4. Subjektive Determinierung und ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats
Ein weiterer wesentlicher Punkt war die Frage der ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats. Der Kläger rügte, der Personalrat sei nicht hinreichend informiert worden. Das Gericht wies dies zurück und erklärte, dass der Arbeitgeber seiner Mitteilungspflicht nachgekommen sei. Dabei sei die subjektive Determinierung entscheidend: Der Personalrat muss über die für die Kündigungsentscheidung maßgeblichen Umstände informiert sein. Dies sah das Gericht als erfüllt an, da die wesentlichen Vorwürfe detailliert dargelegt worden waren.
5. Verzugslohnansprüche
Da die außerordentliche Kündigung unwirksam war, sprach das Gericht dem Kläger Verzugslohn für die Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die ordentliche Kündigung zu. Die Zahlungspflicht bestand für den Zeitraum vom 9. Juli bis 30. September 2024, also bis zum Ende der Kündigungsfrist. Für die Zeit danach lehnte das Gericht Verzugslohnansprüche ab, da das Arbeitsverhältnis rechtmäßig beendet worden war.
Resümee
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Aachen zeigt deutlich, dass Beschäftigte im öffentlichen Dienst einer besonderen Loyalitätspflicht unterliegen. Die Bereitschaft, für finanzielle Vorteile dienstliche Pflichten zu verletzen, rechtfertigt eine ordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung.
Die sorgfältige Prüfung der Anhörungspflichten gegenüber dem Personalrat sowie die Abgrenzung zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung sind in dieser Entscheidung lehrreich. Arbeitgeber sollten diese Aspekte beachten, um Kündigungen rechtssicher aussprechen zu können. Die Quintessenz dieses Urteils lautet, dass Loyalitätsverstöße im öffentlichen Dienst schwer wiegen und die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Kündigungen hoch sind.
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