Das Oberlandesgericht Dresden hat in seinem Urteil vom 17. Februar 2021 (Az.: 5 U 1814/20) eine Entscheidung zur außerordentlichen und fristlosen Kündigung von Dauerschuldverhältnissen – hier: gegenüber einem Rechenzentrum bei mangelnder Anbindung – getroffen.
Die Kernaussage des Urteils lautet, dass die Möglichkeit der außerordentlichen und fristlosen Kündigung wegen nicht durch Vertragsanpassung korrigierbarer Störungen der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 3 Satz 2 BGB) einen eigenständigen Anwendungsbereich hat und nicht durch die Regelungen der §§ 314, 543 und 569 BGB verdrängt wird.
Sachverhalt
Im vorliegenden Fall ging es um einen Mietvertrag über Rechenzentrumsflächen, der zwischen der Klägerin und der Beklagten abgeschlossen wurde. Die Klägerin übernahm den Standort von einer Drittfirma und schloss einen neuen Mietvertrag für die Nutzung der Flächen ab. In den Verhandlungen zwischen den Parteien spielte die technische Anbindung der Flächen an sogenannte „Dark Fibre“-Leitungen eine zentrale Rolle. Diese Technik, die eine autonome Datenübertragung durch den Nutzer ermöglicht, wurde von der Klägerin als entscheidend für ihre Geschäftstätigkeit angesehen.
Trotz umfangreicher Verhandlungen kam es nicht zu einem Vertrag über die Bereitstellung dieser Anbindung. Die Klägerin kündigte daraufhin den Mietvertrag außerordentlich mit der Begründung, dass die fehlende Bereitstellung der Dark Fibre-Anbindung die Geschäftsgrundlage des Vertrages zerstört habe. Die Beklagte wies diese Kündigung zurück, woraufhin die Klägerin gerichtlich feststellen lassen wollte, dass das Mietverhältnis wirksam beendet sei.
Entscheidungsgründe
Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Klägerin weitgehend zurück. Es stellte fest, dass die Kündigung vom 28. September 2016 nicht wirksam sei, weder als ordentliche noch als außerordentliche Kündigung. Insbesondere wurden folgende Aspekte hervorgehoben:
1. Keine Verletzung von Haupt- oder Nebenpflichten
Das Gericht stellte klar, dass die Bereitstellung einer Dark Fibre-Anbindung weder Haupt- noch Nebenpflicht des Mietvertrages war. Die vertragliche Vereinbarung über die Nutzung der Rechenzentrumsfläche enthielt keine Verpflichtung der Beklagten, eine spezifische technische Anbindung bereitzustellen. Diese Frage hätte in einem separaten Telekommunikationsvertrag geregelt werden müssen.
2. Keine Störung der Geschäftsgrundlage
Die Klägerin argumentierte, dass die Dark Fibre-Anbindung Geschäftsgrundlage des Mietvertrages gewesen sei. Das Gericht wies dies zurück. Es stellte fest, dass die Parteien den Mietvertrag auch ohne eine verbindliche Regelung zur Dark Fibre-Anbindung abgeschlossen hatten. Die Entscheidung der Klägerin, den Mietvertrag dennoch zu unterzeichnen, beruhte auf einer eigenverantwortlichen unternehmerischen Einschätzung und nicht auf einer Abhängigkeit von der Bereitstellung der Anbindung.
3. Keine Anwendung von § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB
Das Gericht betonte, dass die Vorschrift des § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB nur dann einschlägig ist, wenn die Geschäftsgrundlage tatsächlich gestört ist und eine Vertragsanpassung unmöglich ist. Im vorliegenden Fall war jedoch keine solche Abhängigkeit gegeben, da der Mietvertrag auch ohne die Dark Fibre-Anbindung erfüllt werden konnte. Die Anbindung war vielmehr ein technischer Wunsch der Klägerin, der für den Bestand des Mietvertrages nicht essenziell war.
Bedeutung der Entscheidung
Dieses Urteil verdeutlicht die strengen Anforderungen an die Anwendbarkeit von § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB bei Dauerschuldverhältnissen. Die Entscheidung zeigt, dass die Gerichte großen Wert auf die Differenzierung zwischen vertraglich vereinbarten Pflichten und geschäftlichen Erwartungen legen. Insbesondere in komplexen Vertragsverhältnissen wie der Gewerberaummiete mit technisch anspruchsvollen Rahmenbedingungen sollten die Vertragsparteien klare und umfassende Regelungen treffen.
Fazit
Das Urteil des OLG Dresden setzt einen wichtigen Akzent in der Rechtsprechung zu außerordentlichen Kündigungen und der Störung der Geschäftsgrundlage. Es fordert von den Vertragsparteien eine klare Trennung zwischen wesentlichen Vertragsbestandteilen und nachgelagerten Wünschen. Unternehmerische Entscheidungen, die auf unsicheren Annahmen beruhen, können nicht ohne weiteres zu einer Beendigung von Verträgen führen. Damit wird einmal mehr die Bedeutung einer detaillierten Vertragsgestaltung hervorgehoben, um Streitigkeiten über unausgesprochene Erwartungen zu vermeiden.
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