In seinem Beschluss vom 12. Dezember 2024 (Az. 5 U 77/22) behandelt das Kammergericht Berlin eine zentrale Fragestellung des digitalen Verbraucherschutzrechts: Reicht eine digital unterzeichnete Kündigungsvollmacht zur wirksamen Kündigung eines Energieversorgungsvertrags durch einen Drittanbieter aus? Das Verfahren beleuchtet nicht nur die Auslegung des § 312h BGB als Marktverhaltensregel, sondern illustriert zudem sehr plastisch, welche Anforderungen an die Beibringung und Verwertung von Beweismitteln im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gelten – insbesondere bei elektronischen Beweismitteln wie Audio-CDs.
Sachverhalt
Ein Verbraucher hatte gegenüber einem neuen Stromanbieter (der Antragsgegnerin) angegeben, keinen Wechselauftrag erteilt zu haben. Die Antragstellerin – der bisherige Energieversorger – sah sich durch die Kündigung des Altvertrags in ihren wettbewerblichen Rechten verletzt und beantragte eine einstweilige Verfügung. Sie machte geltend, dass keine formwirksame Bevollmächtigung für die Kündigung des Altvertrags im Sinne von § 312h Nr. 2 BGB vorliege.
Die Antragsgegnerin hingegen behauptete, der Kunde habe digital unterschrieben und reichte zur Glaubhaftmachung Gesprächsprotokolle, Mitschnitte auf CDs und eine eidesstattliche Versicherung ein. Das Landgericht erließ dennoch die begehrte Verfügung – das Kammergericht wies die Berufung nun einstimmig zurück.
Rechtliche Analyse
1. § 312h BGB als Marktverhaltensvorschrift
Das Gericht bestätigt zunächst, dass § 312h BGB – insbesondere dessen Nr. 2 – eine Marktverhaltensregel im Sinne des § 3a UWG darstellt. Ein Unternehmer, der im Rahmen eines Wechsels von Energieversorgern für den Kunden kündigt, benötigt eine ausdrückliche Vollmacht in Textform (i.S.v. § 126b BGB). Fehlt diese, liegt ein Verstoß gegen gesetzliche Verbraucherschutzpflichten vor, der zugleich eine unlautere geschäftliche Handlung (§ 3 Abs. 1, § 4 Nr. 4 UWG) begründen kann.
Die Vorschrift soll insbesondere verhindern, dass Verbraucher durch vorzeitige Kündigungen des Altvertrags unter faktischen Druck geraten, den Neuvertrag nicht zu widerrufen – weil sie sonst ohne Versorgung dastünden. Die Textform wirkt dabei als Warnfunktion: Sie verdeutlicht dem Verbraucher, dass er sich rechtlich binden könnte.
2. Die Beweisfrage – elektronische Beweismittel im einstweiligen Rechtsschutz
Besondere Brisanz entfaltet der Fall durch die Frage der Beweisaufnahme: Die Antragsgegnerin reichte CDs mit Gesprächsmitschnitten ein, die ihre Behauptung stützen sollten. Doch das Gericht erklärte diese Beweise für unberücksichtigt – aus mehreren Gründen:
a) Kein Abspielgerät – kein Augenschein
Die CD wurde zum Verhandlungstermin mitgebracht, ein Abspielgerät jedoch nicht. Damit war der Augenschein nicht „sofort“ möglich, wie es § 294 Abs. 2 ZPO im Eilverfahren zwingend verlangt. Die Beweisaufnahme musste unterbleiben – das Gericht ist nicht verpflichtet, CD-Player im Sitzungssaal bereitzuhalten. Eine digitale Audioaufnahme ist zwar grundsätzlich tauglich, muss aber technisch verwertbar sein. Dass viele Gerichte keine CD-Laufwerke mehr vorhalten, ist dem Rechtsanwender bekannt und muss einkalkuliert werden.
b) Verspätung und Nachlässigkeit
Weitere CDs und eidesstattliche Versicherungen wurden zu spät (nach Schluss der mündlichen Verhandlung) eingereicht und unterlagen daher dem Ausschluss gemäß § 531 Abs. 2 ZPO. Auch im Verfügungsverfahren gelten die Regeln über neue Verteidigungsmittel in der Berufung – Nachlässigkeit ist auch hier beachtlich.
c) Mangelnde Substanz
Selbst wenn man die Mitschnitte verwerten würde, so das KG, ergäbe sich daraus keine Textform-Vollmacht im Sinne des § 126b BGB. Es blieb unklar, welches Dokument wann, wie und mit welchem Inhalt unterzeichnet worden sein soll. Die angeblich geleistete Unterschrift wich außerdem deutlich von den bekannten Unterschriften des Verbrauchers ab.
In einer digitalisierten Rechtswirklichkeit bleibt die formale Präzision zentral. Das KG Berlin erinnert daran, dass Verbraucherschutz auch technisches Verantwortungsbewusstsein verlangt – sowohl bei der Vertragsgestaltung als auch bei der Beweisführung. Wer auf die Möglichkeiten der Fernkommunikation setzt, darf deren prozessuale Anforderungen nicht unterschätzen. Digital ist zulässig – aber nur dann, wenn es auch gerichtsfest ist.
Fazit
Das Kammergericht Berlin setzt mit dieser Entscheidung gleich zwei prägnante Signale:
- Digitale Vertragsabwicklung unterliegt klaren Formvorgaben. Wer im Auftrag eines Verbrauchers kündigt, muss zwingend eine Textformvollmacht einholen – ein bloßes Telefonat genügt nicht.
- Beweisführung in Eilverfahren erfordert technische Sorgfalt. Wer sich auf digitale Beweismittel stützen will, muss ihre sofortige Verwertbarkeit gewährleisten. Eine Audio-CD ohne Abspielgerät bleibt unbeachtet. Die Beweislast trifft nicht das Gericht, sondern die Partei, die sich auf das Beweismittel beruft.
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