Ketamin: AMG oder NpSG?

BGH zur Einordnung von Ketamin nach AMG oder NpSG: Mit Urteil vom 28. November 2024 (Az. 3 StR 219/24) hat der Bundesgerichtshof eine grundlegende dogmatische Präzisierung zur strafrechtlichen Bewertung des Wirkstoffs Ketamin vorgenommen.

Im Zentrum der Entscheidung steht die Frage, ob Ketamin unter die Strafvorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG) oder des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes (NpSG) fällt – und welche Anforderungen an die tatrichterliche Subsumtion unter diese Normen zu stellen sind. Die Entscheidung illustriert exemplarisch die Schwierigkeiten bei der strafrechtlichen Einordnung sog. „Grauzonenstoffe“, die in verschiedenen Regelungssystemen erfasst werden können, und verdeutlicht die daraus resultierende Pflicht zur differenzierten Feststellung durch die Tatsacheninstanz.

Sachverhalt

Der Angeklagte hatte im Frühjahr 2023 zusammen mit Mittätern eine größere Menge Ketamin und 2C-B-Tabletten aus den Niederlanden nach Deutschland verbringen wollen. Die Drogen wurden bei einer Fahrzeugkontrolle kurz vor der Grenze sichergestellt. Das Landgericht Oldenburg verurteilte ihn unter anderem wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a BtMG) sowie wegen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (§ 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG), wobei es das Ketamin der arzneimittelrechtlichen Regelung unterstellte.

Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte legten Revision ein. Der BGH hob das Urteil auf, weil das Landgericht eine tragfähige Grundlage für die rechtliche Einordnung des Ketamins schuldig geblieben war.

Juristische Einordnung: Ketamin zwischen AMG und NpSG

Die zentrale Rechtsfrage war, ob Ketamin im konkreten Fall unter das AMG oder das NpSG fiel – ein Problem, das aus der Wechselwirkung zwischen den unterschiedlichen Zielrichtungen der beiden Normen entsteht.

Ketamin ist in mehrfacher Hinsicht geregelt: Es ist zum einen in Anlage 1 der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (AMVV) enthalten und fällt insoweit grundsätzlich unter das AMG. Zum anderen gehört es zur Stoffgruppe der Arylcyclohexylamine, die in Anlage 1 des NpSG ausdrücklich genannt ist. Das NpSG jedoch ist gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 NpSG nicht anwendbar auf Arzneimittel im Sinne des AMG.

Der BGH stellt deshalb klar: Es genügt nicht, den Stoff Ketamin pauschal einer strafrechtlichen Norm zu unterstellen. Entscheidend ist vielmehr die stoffliche Form und der Verwendungszusammenhang. Handelt es sich um ein nach Herstellung und Zweckbestimmung als Arzneimittel klassifizierbares Produkt im Sinne des § 2 AMG, findet das NpSG keine Anwendung. Dagegen kann Ketamin als sogenanntes „Reinsubstrat“, das ohne arzneiliche Zweckbestimmung vertrieben wird, durchaus dem NpSG unterfallen – mit völlig anderen Rechtsfolgen.

Diese Unterscheidung knüpft an die Rechtsprechung des EuGH und des BGH zur Definition von Arzneimitteln an. Insbesondere ist die bloße Eignung zur Erzeugung eines Rauschzustands nicht hinreichend, um eine arzneiliche Zweckbestimmung zu begründen. Vielmehr muss eine positive, gesundheitsbezogene Zweckrichtung erkennbar sein – die etwa beim illegalen Vertrieb reinen Ketamins in der Drogenszene regelmäßig fehlt.

Da das Landgericht keinerlei Feststellungen zur stofflichen Beschaffenheit oder zur intendierten Verwendung des Ketamins getroffen hatte, fehlte es an der nötigen Subsumtionsgrundlage. Der Schuldspruch nach § 95 AMG war damit rechtsfehlerhaft.

Auswirkungen auf die Strafzumessung und weitere Delikte

Die Entscheidung des BGH hatte überdies Auswirkungen auf die Verurteilung wegen der gleichzeitig gehandelten 2C-B-Tabletten. Diese waren tateinheitlich mit dem Ketaminvertrieb abgeurteilt worden. Die Aufhebung der einen Schuldfeststellung führte daher aus prozessualen Gründen auch zur Aufhebung der anderen – obwohl sie materiell-rechtlich nicht zu beanstanden war. In der neuen Hauptverhandlung wird das Gericht nun beide Aspekte neu bewerten müssen.

Zudem weist der BGH ausdrücklich darauf hin, dass der Sachverhalt eine Verabredung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 2 i.V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) nahelegt. Der Angeklagte hatte nicht nur Kauf und Transport organisiert, sondern auch die Fahrtroute bestimmt und den gesamten Vorgang koordiniert. Das Landgericht hatte diese rechtliche Möglichkeit nicht erörtert, obwohl die tatbestandlichen Voraussetzungen – insbesondere eine mittäterschaftliche Einbindung – erfüllt gewesen wären.

In ähnlicher Weise rügt der BGH die Strafzumessung: Der Wirkstoffgehalt der sichergestellten 2C-B-Tabletten war nicht belastbar festgestellt worden, obwohl das bei der Bemessung des Unrechts- und Schuldgehalts von Betäubungsmitteldelikten regelmäßig geboten ist. Auch dies erfordert eine neue Prüfung durch das Tatgericht.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Die Quintessenz: Die rechtliche Einordnung psychoaktiver Substanzen verlangt mehr als bloß chemisches Wissen – sie erfordert ein normsystematisches Verständnis und eine genaue Subsumtion unter konkurrierende Regelungskreise. Der vorliegende Beschluss des 3. Strafsenats leistet dazu einen substantiellen Beitrag.

Ergebnis

Der BGH betont mit dieser Entscheidung die Notwendigkeit präziser dogmatischer Arbeit bei der strafrechtlichen Bewertung von Stoffen im Grenzbereich zwischen Arzneimittel- und Betäubungsmittelrecht. Ketamin kann – je nach stofflicher Form und Zweckbestimmung – sowohl unter das AMG als auch unter das NpSG fallen. Eine bloße Feststellung, dass es sich „um Ketamin“ handelt, genügt in diesem Kontext nicht. Strafrichter sind gehalten, sich mit der konkreten Erscheinungsform und dem intendierten Verwendungszweck substantiiert auseinanderzusetzen – notfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen.

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Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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