Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich im Beschluss vom 8. Oktober 2024 (Az. 5 StR 382/24) mit einer zentralen Frage des Sexualstrafrechts befasst: Können K.O.-Tropfen, die mittels einer Pipette verabreicht werden, als gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB qualifiziert werden? Diese Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die strafrechtliche Bewertung von besonders schweren sexuellen Übergriffen und klärt die systematische Einordnung gefährlicher Mittel im Strafrecht.
Sachverhalt
Der Angeklagte wurde vom Landgericht Dresden wegen eines besonders schweren sexuellen Übergriffs sowie gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Er hatte einer Frau bewusstseinsverändernde Tropfen (Gamma-Butyrolacton, kurz GBL) heimlich in ein Getränk gegeben, um sie sexuell gefügig zu machen. Die Tropfen wurden mit einer Pipette dosiert und dem Opfer in einem Getränk serviert. Die Strafkammer bewertete die Pipette als gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB.
Die Revision des Angeklagten führte zur teilweisen Aufhebung des Urteils. Der BGH entschied, dass weder die Tropfen selbst noch die Pipette als gefährliches Werkzeug angesehen werden können.
Rechtliche Analyse
1. Keine Werkzeugqualität von K.O.-Tropfen
Der BGH stellte klar, dass Flüssigkeiten wie GBL keine Werkzeuge im Sinne der Norm darstellen können. Nach allgemeinem Sprachgebrauch und der Rechtsprechung des BGH umfasst der Werkzeugbegriff nur feste Gegenstände, die für eine spezifische Bearbeitung oder Einwirkung gestaltet sind. Flüssigkeiten, die erst im Körper wirken, erfüllen diesen Begriff nicht, da sie keine unmittelbare äußere Einwirkung entfalten.
2. Pipette als bloßes Hilfsmittel
Auch die Pipette, die zur Dosierung der Tropfen verwendet wurde, wurde nicht als gefährliches Werkzeug anerkannt. Die Pipette hatte keinen direkten Kontakt mit dem Körper des Opfers und war lediglich ein Hilfsmittel zur Verabreichung der Tropfen. Ein gefährliches Werkzeug setzt jedoch voraus, dass der Gegenstand unmittelbar von außen auf den Körper einwirkt und dabei eine erhebliche Verletzung verursachen kann.
3. Relevanz für die Strafzumessung
Der BGH stellte fest, dass das Verhalten des Angeklagten dennoch unter andere Straftatbestände fällt. Das heimliche Verabreichen von K.O.-Tropfen erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung durch Beibringung eines gesundheitsschädlichen Stoffes (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Die Bewertung als gefährliches Werkzeug hätte jedoch einen strengeren Strafrahmen zur Folge gehabt, der hier nicht angewandt werden konnte.
Bedeutung der Entscheidung
Präzisierung des Werkzeugbegriffs
Die Entscheidung verdeutlicht die klare Abgrenzung zwischen Werkzeugen und anderen Mitteln wie Flüssigkeiten oder Gasen im Strafrecht. Diese Unterscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Strafrahmenwahl und den Unrechtsgehalt der Tat.
Schutz der Wortlautgrenze
Der BGH betonte die Bedeutung der Wortlautgrenze gemäß Art. 103 Abs. 2 GG. Eine erweiternde Auslegung des Begriffs „Werkzeug“ hätte die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit strafrechtlicher Normen verletzt.
Signalwirkung für die Praxis
Für die gerichtliche Praxis bedeutet die Entscheidung eine Sensibilisierung für die präzise Subsumtion strafrechtlicher Tatbestände. Sie fordert, alternative Strafnormen, wie hier die Beibringung von gesundheitsschädlichen Stoffen, bei der Strafzumessung angemessen zu berücksichtigen.
Fazit
Die Entscheidung des BGH vom 8. Oktober 2024 setzt klare Maßstäbe für die Bewertung gefährlicher Werkzeuge im Strafrecht. Sie stärkt die rechtsstaatliche Verlässlichkeit durch eine enge Auslegung strafrechtlicher Begriffe und bietet Orientierung für den Umgang mit komplexen Fallkonstellationen, wie der Verabreichung von K.O.-Tropfen.
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