BGH zur Zeugenaussage eines behandelnden Arztes im Unterbringungsverfahren: In seinem Beschluss vom 10. März 2025 (5 StR 682/24) hat der Bundesgerichtshof eine dogmatisch bedeutsame Klarstellung zum Zeugnisverweigerungsrecht von Ärzten im Zusammenhang mit der einstweiligen Unterbringung eines Beschuldigten nach § 126a StPO getroffen.
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, ob ein behandelnder Arzt im Maßregelvollzug als Zeuge zur psychischen Verfassung des Angeklagten aussagen darf, obwohl dieser seine Einwilligung zur Entbindung von der Schweigepflicht widerrufen hatte. Die Antwort des BGH ist eindeutig – und stützt sich auf eine konsequent strafprozessuale Auslegung des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO.
Hintergrund: Zeugenaussage eines Behandlers trotz Widerrufs
Der Angeklagte war wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Das Landgericht hatte zudem seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Bereits im Ermittlungsverfahren war er gemäß § 126a Abs. 1 StPO einstweilig untergebracht worden. Der behandelnde Arzt aus dem Maßregelvollzug wurde vom Gericht als Zeuge geladen, um – neben einem externen Sachverständigen – Angaben zur psychischen Verfassung und zum Therapieverlauf zu machen. Unmittelbar vor der Vernehmung widerrief der Angeklagte die zuvor durch seine Betreuerin erteilte Entbindung von der Schweigepflicht. Die Strafkammer wies den Arzt jedoch darauf hin, dass sie ihn auch ohne Schweigepflichtentbindung für aussagepflichtig halte. Der Arzt sagte aus – die Verteidigung rügte die Verwertung.
Dogmatische Einordnung durch den BGH
Der 5. Strafsenat hält die Verwertung der Aussagen des Arztes für zulässig und lehnt ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO ausdrücklich ab. Maßgeblich sei, dass der Arzt seine Wahrnehmungen im Rahmen einer Maßnahme tätigte, zu deren Duldung der Beschuldigte verpflichtet war – konkret: der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO. Diese Unterbringung diene – so der Senat – nicht nur der Sicherung, sondern explizit auch der Vorbereitung einer psychiatrischen Begutachtung. Sie habe daher eine vergleichbare Funktion wie eine Untersuchung nach § 81 StPO, bei der Ärzte ebenfalls nicht unter das Zeugnisverweigerungsrecht fallen.
Die vom Gericht beauftragte Beobachtung und Behandlung im Maßregelvollzug begründe damit eine originär staatlich initiierte Aufklärungssituation. Die hieraus resultierenden Erkenntnisse unterlägen nicht der ärztlichen Schweigepflicht im Sinne des § 203 StGB, weil sie gerade im Rahmen hoheitlicher Ermittlungsmaßnahmen zustande gekommen seien. Der Arzt agiere in dieser Konstellation gewissermaßen als „Beobachtungsorgan“ des Gerichts – unabhängig davon, ob er selbst als Sachverständiger bestellt sei oder nur als Zeuge aussage.
Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten
Der BGH räumt der Strafrechtspflege in diesem Kontext einen Vorrang gegenüber dem Schutz des ärztlichen Vertrauensverhältnisses ein. Dies sei aus rechtsstaatlichen Gründen notwendig, da die Gerichte nur anhand einer möglichst vollständigen Tatsachengrundlage über die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB und deren Vollstreckung entscheiden könnten. Das Interesse des Beschuldigten an der Vertraulichkeit seiner Gespräche mit dem Arzt trete hier zurück – jedenfalls soweit die Erkenntnisse im Zusammenhang mit einer strafprozessual veranlassten Unterbringung gewonnen wurden.
Explizit betont der Senat, dass diese Einsichtsfreiheit auch unabhängig davon besteht, ob der behandelnde Arzt vom Gericht als Sachverständiger oder – wie im vorliegenden Fall – als einfacher Zeuge geladen wird. Die Funktion des Arztes im Rahmen der einstweiligen Unterbringung begründe die Offenbarungspflicht. Eine weitergehende Differenzierung sei dogmatisch nicht haltbar.
Ergebnis
Der BGH schafft mit dieser Entscheidung eindeutige Verhältnisse: Ein im Maßregelvollzug behandelnder Arzt unterliegt in Bezug auf seine Wahrnehmungen während der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO nicht der ärztlichen Schweigepflicht. Der Grund liegt in der originär hoheitlichen Zielsetzung der Maßnahme – der gerichtlichen Entscheidungsfindung zur Schuldfähigkeit und Unterbringungsbedürftigkeit. Die Aussagepflicht ergibt sich unmittelbar aus dem Amtshandlungscharakter der Maßnahme.
Diese Entscheidung dürfte erhebliche praktische Relevanz entfalten – nicht nur für forensische Psychiatrien, sondern auch für Gerichte, die sich bei der Frage nach der Unterbringung auf möglichst verlässliche Aussagen von Behandlern stützen müssen. Die Konklusion lautet: Im Spannungsverhältnis zwischen Aufklärung und Schweigepflicht hat das staatliche Erkenntnisinteresse – unter den Bedingungen des Maßregelvollzugs – Vorrang.
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