Keine Einziehung oder Beschlagnahme von Daten auf Webserver als „Schriften“

Der Vollständigkeit halber nehme ich hier die Entscheidung des Landgerichts Hamburg (629 Qs 34/13) auf, die sich mit der oder von Schriften hinsichtlich Daten beschäftigt und zu Recht feststellt, dass die §§74ff. StGB hier grundsätzlich nicht in Betracht kommen.

Aus der Entscheidung:

Die Voraussetzungen einer späteren Einziehung von Server (dazu unter a) oder Daten (dazu unter b) gem. § 74 StGB liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift können Gegenstände, die zur Begehung einer Straftat gebraucht worden sind, eingezogen werden.

a) Als ein solcher Gegenstand kommt zunächst der Server der STRATO AG in Berlin in Betracht. Denn dieser wird für die Verbreitung der Dokumente im Internet „gebraucht“. Nach den weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift – normiert in § 74 Abs. 2 StGB – ist aber die Einziehung des Servers (und damit eine Löschungsanordnung betreffend die darauf befindlichen Daten als Minusmaßnahme gem. dem Rechtsgedanken des § 74b Abs. 2 StGB) nur zulässig, wenn er entweder dem Beschuldigten gehört oder zusteht oder der Server seiner Art und den Umständen nach die Allgemeinheit gefährdet oder die Gefahr besteht, dass er der Begehung rechtswidriger Taten dienen wird.

Keine dieser Voraussetzungen ist erfüllt. Der vom Beschuldigten genutzte Speicherplatz auf den Servern der STRATO AG gehört nicht dem Beschuldigten. „Gehören“ meint Eigentum im Sinne des Bürgerlichen Rechts (LK-Schmidt, 12. Aufl. 2007, § 74 Rn. 23). Dass der Beschuldigte kraft seines vermutlich bestehenden Vertrags mit der STRATO AG deren Server für die Veröffentlichung seiner Homepage nutzen darf, führt zu keiner Änderung der dinglichen Rechtslage nach §§ 929 ff. BGB. Verträge, durch die der Anbieter auf seinem Server dem Kunden Speicherplatz zur Verfügung stellt (sog. „Web-Hosting“-Vertrag), weisen dienst-, rniet- und werkvertragliche Aspekte auf (BGH NJW 2010, 1449). Eine Übertragung des Eigentums ist typischerweise weder geschuldet noch in den Verträgen geregelt. Der Speicherplatz steht dem Beschuldigten auch nicht im Sinne des § 74 Abs. 2 Nr. 1, 2. Alt. StGB zu. Denn „zustehen“ ist definiert als die quasi-dingliche Inhaberschaft von Rechten; bloße schuldrechtliche Ansprüche auf den Gegenstand bleiben außer Betracht (BGH MDR 1969, 722; LK-Schmidt a.a.O. Rn. 44; Schönke/Schröder-Eser, 28. Aufl. 2010, § 74 Rn. 22).

Auch die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB liegen nicht vor. Allgemeingefährlichkeit (Alt. 1) scheidet ohne weiteres aus. Die begründete Besorgnis, dass der Server auch nach einer gedachten strafrechtlichen Verurteilung des Beschuldigten der Begehung rechtswidriger Taten dienen wird (so zu Alt. 2 LK-Schmidt a.a.O., Rn. 56), besteht ebenfalls nicht: Weder diente der Server in der Vergangenheit wiederholt der Begehung rechtswidriger Taten, noch ist ein hartnäckiges Verharren des Beschuldigten im Gesetzesungehorsam zu erwarten. Dies wäre jedoch für die Annahme, der Beschuldigte werde ohne die Einziehung bei jeder sich bietenden Gelegenheit in gleicher Weise wieder straffällig werden, erforderlich (vgl. OLG Koblenz VRS 49 [1975] 134, 136).

b) Die Einziehung der Daten über § 74 StGB ist ebenfalls nicht möglich. Daten sind keine Gegenstände im Sinne dieser Vorschrift, und sie sind auch keine Gegenstände im Sinne des § 111 b Abs. 1 S. 1 StPO. Beim Zugriffsobjekt nach den §§ 111 b Abs. 1 S. 1 StPO und 74 StGB handelt es sich um Sachen, Forderungen, Immaterialgüterrechte und sonstige Vermögensrechte (KK-Nack, 6. Aufl. 2008, § 111 b Rn. 3; SK-Rogall, 4. Aufl. 2010, § 111 b Rn. 8). Daten fallen in keine dieser Kategorien. Daten sind, wenn sie auf der Festplatte eines Servers gespeichert sind, magnetische Polungszustände, die nicht greif- oder sichtbar sind und ohne einen Datenträger nicht existieren. Soweit in Rechtsprechung (BVerfG NJW 2005, 1917, 1920) und Literatur (etwa Park, Handbuch und Beschlagnahme, 2. Aufl. 2009, Rn. 771) davon die Rede ist, dass „Daten“ beschlagnahmt werden können, geht es durchgehend um die Beschlagnahme zu Beweissicherungszwecken gem. §§ 94 ff. StPO. So stellt das BVerfG (a.a.O. S. 1919 a.E.) auf „die Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten als Beweisgegenstände im Strafverfahren“ [Hervorhebung durch die Kammer] ab. In Fällen der Sicherstellung zur Beweissicherung besteht anerkanntermaßen ein praktisches Bedürfnis, Daten zu „beschlagnahmen“, um den Inhalt von Datenspeichern bei Beschuldigten kopieren und auswerten zu können (vgl. Kemper NStZ 2005, 538, 540). Dieses Bedürfnis besteht im Zusammenhang mit den §§ 111 b ff. StPO, 74 ff. StGB, in denen es (auch) um spätere Strafe und Vermögensabschöpfung geht, nicht – jedenfalls nicht, wenn die Daten keinen eigenständigen Wert verkörpern.

Nicht zuletzt hielte es die Kammer unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten – Rechtsgedanke des § 74b Abs. 1 StGB – auch für ausgeschlossen, bei einem Rechtsanwalt während eines laufenden Verfahrens (Gustl M…) Daten zu konfiszieren, die für die Mandatsvertretung notwendig sind. Genau dies würde aber passieren, wenn man eine vorläufige Sicherstellung der Daten über die §§ 111 b ff. StPO, 74 ff. StGB zuließe. Einziehungsgegenstand wären dann denklogisch nicht nur die konkreten Daten, die die Links auf der Homepage des Beschuldigten ausmachen, also diejenigen auf dem Server der „STRATO AG“, sondern auch anderenorts beim Beschuldigten gespeicherte Scans der fünf Dokumente: In dem Moment, in dem man die Daten an sich als inkriminiert und damit als Einziehungsgegenstand betrachtet, müsste man nämlich sämtliche beim Beschuldigten existenten Dateien mit Scans der fünf Dokumente im Visier haben. So würde man bei Druckwerken, etwa mit kinderpornographischem Material, schließlich auch vorgehen; man würde selbstverständlich alle Exemplare des Druckwerks einziehen. Der Beschuldigte dürfte die Daten, also Scans, dann auch nicht mehr auf seinem eigenen Laptop oder einem privaten USB-Stick speichern. Diese Auswüchse hielte die Kammer von § 74 StGB nicht für gedeckt.

2. Die Voraussetzungen für eine Einziehung gem. § 74d StGB liegen ebenfalls nicht vor. Die Sicherstellung durch Beschlagnahme der Daten selbst kommt auch im Rahmen dieser Vorschrift nicht in Betracht. Insoweit gelten die obigen Ausführungen entsprechend. In Betracht kommt allenfalls eine Beschlagnahme der Datenträger, denn auf die zum Abruf über das Internet bereitgehaltenen Inhalte dürfte die für Schriften geltende Sondervorschrift (dazu z.B. Schönke/Schröder-Eser, StGB, 28. Aufl. 2010, § 74d Rn. 1 f.; LK-Schmidt, StGB, 12. Aufl. 2007, § 74d Rn. 1) des § 74d StGB grundsätzlich anwendbar sein. Die Vorschrift verweist auf § 11 Abs. 3 StGB. Danach stehen den Schriften Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen in denjenigen Vorschriften gleich, die auf diesen Absatz verweisen. Bei Servern handelt es sich um Datenspeicher im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB. So sind digitalisierte Fotos, die ins Internet gestellt werden, Datenspeicher – genauer: auf einem Speichermedium gespeicherte Daten – gemäß § 11 Abs. 3 StGB (BGH, Urt. v. 27. Juni 2001 – 1 StR 66/01; zit. nach juris). Nichts anderes kann für die im vorliegenden Fall über das Internet abrufbaren digitalisierten Texte gelten. Die in § 74d StGB formulierten übrigen Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt, und zwar weder diejenigen nach Abs. 1 (dazu unter a), noch diejenigen nach Abs. 3 (dazu unter b).

a) Die Voraussetzungen des § 74d Abs. 1 S. 1 StGB liegen nicht vor.

Es handelt sich bei den Scans nicht um Schriften bzw. diesen gem. § 11 Abs. 3 StGB gleichgestellte Objekte, „die einen solchen Inhalt haben, dass jede vorsätzliche Verbreitung in Kenntnis ihres Inhalts den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen würde“. Mit dieser in § 74d Abs. 1 StGB statuierten Voraussetzung werden alle Fälle ausgenommen, in denen das Verbreiten der Schrift nicht mit Rücksicht auf ihren Inhalt, sondern mit Rücksicht auf andere Tatsachen, z.B. auf ihre äußere Gestalt oder auf Zeit, Ort oder die besondere Art der Verbreitung, unter Strafe gestellt ist (LK-Schmidt, 12. Aufl. 2007, § 74d Rn. 6; RGSt 66, 145). Das ist hier der Fal!. Denn die Strafbarkeit nach § 353d Nr. 3 StGB setzt voraus, dass die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens öffentlich mitgeteilt werden, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist. Damit ist die Mitteilung nicht schlechthin verboten, sondern nur unter zusätzlichen Voraussetzungen, die sich ihrerseits nicht aus dem Inhalt der jeweiligen Schrift selbst ergeben.

b) Auch die Voraussetzungen des § 74d Abs. 3 StGB sind nicht erfüllt.

Zwar sind danach Schriften und gleichgestellte Objekte, die einen solchen Inhalt haben, dass die vorsätzliche Verbreitung in Kenntnis ihres Inhalts nur bei Hinzutreten weiterer Tatumstände den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen würde, einzuziehen. Grundsätzlich kommt die Anwendung von § 74d Abs. 3 S. 1 StGB in Fällen des § 353d Nr. 3 StGB also in Betracht. Die Einziehung scheitert vorliegend aber daran, dass die weiteren Voraussetzungen des § 74d Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB nicht gegeben sind. Denn danach kann die Einziehung nur angeordnet werden, wenn die Stücke sich im Besitz des Täters, Teilnehmers oder eines anderen befinden, für den der Täter oder Teilnehmer gehandelt hat, oder von diesen Personen zur Verbreitung bestimmt sind.

Das ist nicht der Fall. Die Stücke – hier, weil Daten in Rede stehen, die Festplatten, auf denen die Dateien gespeichert sind – befinden sich im Besitz der STRATO AG. Diese ist vorliegend weder Täter noch Teilnehmer. Der allein als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommende Beschuldigte selbst hat keinen, auch keinen mittelbaren, Besitz an den Datenträgern.

Dritte sind nur dann von der Vorschrift erfasst, wenn der Täter oder Teilnehmer für sie gehandelt hat, oder wenn sie den Tatbeteiligten zur Verbreitung bestimmt haben (MüKo-Joecks, 2. Aufl. 2012, § 74d Rn. 22). Das ist vorliegend auch nicht der Fal!. Zwar mag die STRATO AG für den Beschuldigten gehandelt haben. Der umgekehrte Fall, dass der Beschuldigte für die STRATO AG gehandelt hat, und der Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 74d Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB wäre, ist jedoch ersichtlich nicht gegeben.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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