GWB: Zum räumlich relevanten Markt

Der räumlich relevante Markt im Sinne der Zusammenschlußkontrolle nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist nach ökonomischen Gesichtspunkten abzugrenzen. Dieser Markt ist daher nicht notwendig auf den Geltungsbereich des Gesetzes beschränkt (Aufgabe von BGHZ 131, 107 – Backofenmarkt). Hat ein Unternehmen auf dem in dieser Weise  abgegrenzten Markt eine beherrschende Stellung, kommt ihm auch in jedem Teilgebiet dieses Marktes eine beherrschende Stellung zu.

BGH, Beschluss vom 5.10.2004, Az: KVR 14/03

Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Bestimmung des sachlichen Marktes das sogenannte Bedarfsmarktkonzept maßgebend. Danach sind einem (Angebots-)Markt alle Produkte zuzurechnen, die aus der Sicht der Nachfrager nach Eigenschaft, Verwendungszweck und Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs austauschbar sind (BGH, Urt. v. 19.3.1996 – KZR 1/95, WuW/E 3058, 3062 – Pay-TV-Durchleitung, m.w.N.). Hierbei ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Im Streitfall ist für die Frage der Austauschbarkeit nicht darauf abzustellen, ob ein Staubsaugerbeutelmodell durch ein anderes ersetzt werden kann; dies ist im Hinblick darauf, daß ein Beutel nach Schnitt, Volumen und Verschlußmechanismus stets nur auf einen Staubsaugertyp zugeschnitten ist, praktisch nie der Fall. Zu fragen ist vielmehr, ob ein Beutelhersteller, der bislang ein Marktsegment bedient (beispielsweise einen Gerätehersteller mit den für seine Gerätemodelle erforderlichen Beuteln beliefert), zur Erzielung eines besseren Preises bereit und in der Lage ist, seine Produktion kurzfristig umzustellen, um das andere Segment zu bedienen (beispielsweise ein Beutelsortiment anzubieten, das für den Einzelhandel von Interesse ist). Damit kommt es vorliegend für die Marktabgrenzung entscheidend auf die Produktions- und Angebotsumstellungsflexibilität der Beutelhersteller an (vgl. Bechtold, GWB, 3. Aufl., § 19 Rdn. 6). Diesen Gesichtspunkt der Flexibilität hat das Beschwerdegericht bei seiner Abgrenzung der verschiedenen Absatzwege nicht in den Blick genommen. Dies ist nachzuholen. Dabei ist zu beachten, daß den Beutelherstellern auch innerhalb eines Absatzweges eine erhebliche Flexibilität abverlangt wird, wenn sie ihre Produktion beispielsweise von der Belieferung eines Geräteherstellers auf die Belieferung eines anderen Geräteherstellers oder auch nur auf einen neuen Gerätetyp umstellen möchten. Andererseits wäre es denkbar, daß der Einzelhandel sich von vornherein nur mit kompletten Sortimenten eindeckt, die für jeden gängigen Staubsaugertyp den passenden Beutel enthalten, und daß kleinere Hersteller mit der Produktion einer solchen Vielzahl von Beuteln überfordert wären.

b) Hinsichtlich des räumlich relevanten Marktes ist das Beschwerdegericht in Übereinstimmung mit dem von einem ökonomisch bestimmten Markt ausgegangen, der Westeuropa (EWR) umfaßt. Diese Beurteilung läßt auch bei Berücksichtigung der von der Rechtsbeschwerdeerwiderung erhobenen Gegenrügen keinen Rechtsfehler erkennen.

Mit Recht hat das Beschwerdegericht darauf abgestellt, daß keine Umstände ersichtlich sind, die einen in einem Mitgliedstaat ansässigen Staubsaugerbeutelhersteller daran hindern, sein Produkt in einem anderen Mitgliedstaat abzusetzen. Der Marktgegenseite – sei es der Handel oder seien es die Gerätehersteller – ist es nicht verwehrt, den Bedarf nach Staubsaugerbeuteln bei einem Hersteller nachzufragen, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist. Dies wird nicht zuletzt dadurch belegt, daß das Marktvolumen in Westeuropa zu etwa drei Vierteln auf deutsche Hersteller entfällt, von denen die meisten einen Großteil ihres Umsatzes im westeuropäischen Ausland erwirtschaften.

Allerdings weist die Rechtsbeschwerdeerwiderung mit Recht darauf hin, daß die Marktverhältnisse im Europäischen Wirtschaftsraum sowohl hinsichtlich der Volumina als auch hinsichtlich der Marktanteile nicht als homogen bezeichnet werden können. Die von der Rechtsbeschwerdeerwiderung angeführten Unterschiede deuten indessen nicht auf Märkte hin, die räumlich jeweils auf einen Mitgliedstaat beschränkt wären. Denn für die angeführten Unterschiede lassen sich andere Erklärungen als die anführen, die räumlichen Märkte seien jeweils auf einen Mitgliedstaat beschränkt. So lassen sich die unterschiedlichen Volumina dadurch erklären, daß es Geräte gibt, die ohne Staubbeutel auskommen oder die mit einem wiederverwendbaren Stoffbeutel ausgerüstet sind, und daß solche Gerätetypen möglicherweise in manchen Gegenden Europas verbreiteter sind als in anderen. Soweit die Beutelhersteller die Gerätehersteller beliefern, hängt ihr Marktanteil in den Mitgliedstaaten davon ab, wie stark die Staubsauger des entsprechenden Herstellers in jenem Mitgliedstaat verbreitet sind. Schließlich läßt sich dem unstreitigen Sachverhalt entnehmen, daß die Belieferung des Einzelhandels ein umfassendes Sortiment voraussetzt und daß dieser Vertriebsweg – vor allem der Vertrieb über den Lebensmitteleinzelhandel – entscheidend durch eine eingeführte gefördert wird, über die nur die Melitta-Gruppe mit der Marke „Swirl“ verfügt, die bislang vor allem in Deutschland, nicht aber flächendeckend in Europa Bekanntheit erlangt hat.

c) Mit Recht rügt die Rechtsbeschwerde, daß die angefochtene Entscheidung schon die Grundsätze der Backofenmarkt-Entscheidung des Senats (BGHZ 131, 107) nicht hinreichend beachtet und die durch den Zusammenschluß bewirkte Verstärkung der Marktstellung der Melitta-Gruppe auf dem ökonomisch bestimmten Markt nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Der Senat ist in der erwähnten Entscheidung aus dem Jahre 1995 zwar davon ausgegangen, daß der räumlich relevante Markt nicht größer sein könne als der Geltungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Er hat dies daraus geschlossen, daß es für die Beurteilung eines Zusammenschlusses nach deutschem Recht allein darauf ankomme, ob zu erwarten sei, daß im Inland eine marktbeherrschende Stellung entstehe oder verstärkt werde. Dies folge aus dem – in § 130 Abs. 2 GWB zum Ausdruck gebrachten – Zweck des Gesetzes, den Wettbewerb auf dem inländischen Markt zu schützen. Dieser allgemeine Gesetzeszweck bestimme auch den Schutzzweck des § 36 GWB und beschränke diesen – und damit auch den Anwendungsbereich der Norm – auf den Schutz der inländischen Marktstruktur. Damit werde zugleich der räumliche Markt, auf dem die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung durch einen Zusammenschluß verhindert werden solle, normativ auf das Inland als den größtmöglichen räumlich relevanten Markt beschränkt (BGHZ 131, 107, 113 – Backofenmarkt, m.w.N.). Der Senat hat dabei jedoch die Augen nicht vor dem Umstand verschlossen, daß der ökonomisch bestimmte räumlich relevante Markt über das Inland hinausreichen kann und daß in einem einheitlichen ökonomischen Markt die starke Präsenz eines Wettbewerbers in einem räumlichen Marktsegment stets die Chance bietet, diese Stellung auf andere Marktsegmente zu erstrecken. In der Backofenmarkt-Entscheidung wird diesem Gesichtspunkt dadurch Rechnung getragen, daß die Wirkung aktuellen oder potentiellen Wettbewerbs aus dem Ausland, dem sich ein Unternehmen auf dem inländischen Markt ausgesetzt sieht, den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechend in vollem Umfang berücksichtigt werden könne und müsse (BGHZ 131, 107, 115).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
Letzte Artikel von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht) (Alle anzeigen)
Benutzerbild von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht. Beachten Sie unsere Tätigkeit im Steuerstrafrecht, digitaler gewerblicher Rechtsschutz, IT-Sicherheitsrecht sowie Softwarerecht.