In seinem Beschluss vom 14. Januar 2025 (Az. 2 StR 508/24) setzte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit einem ebenso sensiblen wie juristisch anspruchsvollen Thema auseinander: der strafprozessualen Bewertung zulässigen Verteidigungsverhaltens im Rahmen der Entscheidung über eine Sicherungsverwahrung. Die Entscheidung betrifft damit einen Kernbereich der rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien, denn sie berührt die Frage, inwieweit sich ein Angeklagter verteidigen darf, ohne dass ihm dies im weiteren Verlauf – etwa bei der Gefährlichkeitsprognose – negativ ausgelegt wird.
Ausgangslage und rechtlicher Hintergrund
Der Angeklagte war wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Zusätzlich ordnete das Landgericht Aachen seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Diese Maßregel wurde im Revisionsverfahren durch den BGH aufgehoben, weil die Strafkammer bei der Gefährlichkeitsbeurteilung des Täters fehlerhaft auf dessen prozessuales Verhalten im Verfahren abgestellt hatte – genauer: auf sein konsequentes Leugnen der Tat und den Versuch, Zweifel an der Belastbarkeit der Aussagen der Nebenklägerin zu wecken.
Solches Verteidigungsverhalten ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich zulässig. Der Umstand, dass ein Angeklagter seine Täterschaft bestreitet, kann weder als Ausdruck mangelnder Reue noch als Indiz für eine erhöhte Rückfallgefahr ohne Weiteres herangezogen werden. Genau dies aber hatte das Landgericht im Rahmen seiner Gefährlichkeitsprognose getan und sich dabei auf die Einschätzung einer psychiatrischen Sachverständigen gestützt.
Juristische Analyse
Der BGH stellt klar, dass die Beurteilung der Gefährlichkeit einer Person gemäß § 66 StGB ausschließlich auf solchen Verhaltensweisen beruhen darf, die über das zulässige Verteidigungshandeln hinausgehen. Ein bloßes Leugnen, Bagatellisieren oder das Infragestellen der Glaubwürdigkeit von Zeugen – auch wenn dies aus Sicht des Gerichts als taktisch oder moralisch fragwürdig erscheinen mag – ist ein legitimes prozessuales Recht. Erst wenn die Grenze zur gezielten Falschbelastung, zur Verleumdung oder zur herabwürdigenden Diffamierung überschritten wird, kann daraus eine strafschärfende oder maßregelbegründende Folgerung gezogen werden.
Im vorliegenden Fall hatte der Angeklagte zwar Beweisanträge gestellt, mit denen er seine Anwesenheit am Tatort bestritt und auf das Verhalten der Nebenklägerin während ihrer Vernehmung hinwies. Eine gezielte Verleumdung oder herabsetzende Diffamierung konnte der BGH darin jedoch nicht erkennen. Die Rückschlüsse des Landgerichts auf eine fehlende Aufarbeitung und damit auf eine fortbestehende Gefährlichkeit des Täters beruhten somit auf einer unzulässigen Verwertung zulässiger Verteidigung.
Bedeutung für die strafrechtliche Praxis
Diese Entscheidung wirkt weit über den konkreten Einzelfall hinaus. Sie unterstreicht mit Nachdruck, dass sich der Strafprozess an die rechtsstaatlichen Grundpfeiler der Fairness und Verteidigungsgleichheit zu halten hat – und zwar auch dann, wenn es um schwerste Straftaten geht. Der Senat verweist damit nicht nur auf die normative Trennung von Strafzumessung und Verteidigungsstrategie, sondern stellt auch klar, dass das Recht auf Selbstverteidigung nicht implizit durch die Hintertür der Gefährlichkeitsprognose relativiert werden darf.
Zudem mahnt das Urteil zur sorgfältigen Differenzierung zwischen tatsächlich schädlichem Verhalten und dem legitimen Bemühen eines Angeklagten, seine Sicht der Dinge zur Geltung zu bringen. Gerade in Verfahren mit existenziellen Rechtsfolgen wie der Sicherungsverwahrung ist dieser Unterschied von erheblicher Tragweite.
Fazit
Die Schlussfolgerung des BGH ist unmissverständlich: Wer seine prozessualen Verteidigungsrechte in zulässiger Weise ausübt, darf daraus keinen Nachteil erleiden – auch nicht indirekt über eine Maßregel wie die Sicherungsverwahrung. Die Entscheidung wahrt somit nicht nur die Verteidigungsrechte des Angeklagten, sondern schützt auch die Integrität des Strafverfahrens. Für Gerichte bedeutet dies eine Verpflichtung zur Differenzierung, für Verteidiger eine Bestärkung ihres Mandats, und für die Öffentlichkeit ein Signal: Rechtsstaatlichkeit kennt auch im Umgang mit schwersten Vorwürfen keine Abkürzungen.
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