Grenzen journalistischer Bewertung

Das Landgericht (LG) Berlin II hat mit Beschluss vom 20. Februar 2025 (Az. 27 O 36/25 eV) eine medienrechtlich relevante Entscheidung getroffen. Im Kern ging es um die Frage, ob die Bezeichnung einer politischen Rede als „nicht mit Fakten unterlegt“ eine zulässige Meinungsäußerung oder eine unzulässige darstellt.

Der Antragsteller, ein hochrangiges Mitglied einer politischen Partei, wollte eine gegen eine Berichterstattung erwirken, die eine Aussage aus seiner Rede auf einem Bundesparteitag als unbelegt darstellte. Das Gericht lehnte dies mit der Begründung ab, dass es sich um eine Meinungsäußerung handle, die vom grundrechtlichen Schutz der Presse- und gedeckt sei.

Sachverhalt

Der Antragsteller hatte auf einem Parteitag eine Aussage über den Ursprung des Coronavirus getätigt und dabei behauptet, das Virus stamme nicht aus , sondern aus einem US-amerikanischen Labor. Eine Zeitung griff diese Aussage in einem Bericht auf und bewertete sie als „nicht mit Fakten unterlegt“. Der Antragsteller sah sich dadurch in seinem verletzt und verlangte die Unterlassung der Äußerung.

Seine Argumentation beruhte darauf, dass die Berichterstattung impliziere, er habe eine nachweislich falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt. Dies sei ehrverletzend und stelle eine unzulässige Tatsachenbehauptung dar. Die Gegenseite hielt dagegen, dass die Einstufung einer Aussage als „nicht mit Fakten unterlegt“ eine Meinungsäußerung sei, die im Rahmen der zulässig sei.

Rechtliche Bewertung

1. Abgrenzung zwischen Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung

Das LG Berlin II stellte in seiner Entscheidung klar, dass die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung eine zentrale Rolle für die Frage der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Äußerung spielt.

Tatsachenbehauptungen sind dem Wahrheitsbeweis zugänglich, also objektiv überprüfbar. Sie können – sofern unwahr – untersagt werden, da an der Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen kein schutzwürdiges Interesse besteht. Meinungsäußerungen hingegen genießen einen umfassenderen Schutz nach Art. 5 Abs. 1 GG und können nur in Ausnahmefällen beschränkt werden, etwa wenn sie Schmähkritik oder Formalbeleidigungen enthalten.

Das Gericht entschied, dass die Formulierung „nicht mit Fakten unterlegt“ kein objektiv überprüfbares Faktum darstellt, sondern eine wertende Einschätzung des journalistischen Autors. Damit sei die Äußerung dem Bereich der Meinungsfreiheit zuzuordnen.

2. Rechtfertigung durch die Pressefreiheit

Art. 5 Abs. 1 GG schützt nicht nur die reine Meinungsäußerung, sondern auch die journalistische Freiheit der Berichterstattung und Bewertung politischer Äußerungen.

Das Gericht betonte, dass Journalisten im Rahmen einer sachlichen Auseinandersetzung mit politischen Debatten weitreichende Spielräume für die Einordnung von Aussagen haben. Gerade in politischen Diskussionen sei es von grundlegender Bedeutung, dass unterschiedliche Einschätzungen und Wertungen möglich bleiben, selbst wenn diese für die betroffene Person unangenehm seien.

3. Fehlen eines Unterlassungsanspruchs

Da die Bewertung als „nicht mit Fakten unterlegt“ eine zulässige Meinungsäußerung darstellte, verneinte das Gericht einen nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.

Ein solcher Anspruch wäre nur gegeben, wenn eine unzulässige Tatsachenbehauptung oder eine rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverletzung vorläge. Beides sah das LG Berlin II nicht als gegeben an. Auch eine etwaige mittelbare Wirkung auf die politische Glaubwürdigkeit des Antragstellers ändere daran nichts, da die Meinungsfreiheit vorrangig sei.

Bedeutung der Entscheidung

Das Urteil ist ein klares Bekenntnis zur Meinungs- und Pressefreiheit und setzt Maßstäbe für die journalistische Bewertung politischer Aussagen.

Es macht deutlich, dass Medien eine breite Freiheit genießen, um Äußerungen politischer Akteure einzuordnen und zu bewerten, solange dies nicht willkürlich oder nachweislich unwahr ist. Die Entscheidung stärkt damit die Position der Presse, sich kritisch mit politischen Aussagen auseinanderzusetzen, ohne befürchten zu müssen, durch Unterlassungsklagen eingeschränkt zu werden.

Für Politiker und öffentliche Persönlichkeiten bedeutet das Urteil, dass sie mit kritischer journalistischer Einordnung ihrer Aussagen rechnen müssen, solange diese auf einer vertretbaren Grundlage beruht.

Fazit

Das LG Berlin II hat klargestellt, dass die Bewertung einer politischen Aussage als „nicht mit Fakten unterlegt“ eine zulässige Meinungsäußerung ist und somit dem Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit unterfällt.

Die Entscheidung stärkt die journalistische Freiheit und betont die Bedeutung eines offenen Diskurses in einer demokratischen Gesellschaft. Wer in der Öffentlichkeit steht und sich zu kontroversen Themen äußert, muss damit rechnen, dass seine Aussagen hinterfragt und kritisch eingeordnet werden – ein wesentliches Element der politischen Debattenkultur.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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