Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Beschluss vom 30. Januar 2024 (4 StR 191/23) die Verurteilung eines Angeklagten wegen Untreue in fünf Fällen aufgehoben und den Fall zur Neuverhandlung an das Landgericht zurückverwiesen. Im Zentrum der Entscheidung stehen zwei zentrale Fragen im Zusammenhang mit dem Tatbestand der Untreue: die Begründung einer Vermögensbetreuungspflicht und das Vorliegen eines Vermögensnachteils.
Sachverhalt
Der Angeklagte war faktischer Geschäftsführer der A. GmbH und der liechtensteinischen Au. AG. Er wurde beschuldigt, in mehreren Fällen Gelder aus den Mitteln der Au. AG für private Zwecke entnommen zu haben, darunter Zahlungen für Ferienwohnungen und Darlehen an seine Ehefrau. Das Landgericht Dortmund hatte dies als Untreue zum Nachteil der Anleger der A. GmbH gewertet. Diese hatten der A. GmbH in Form von „zertifizierten Nachrangdarlehen“ Kapital zur Verfügung gestellt.
Juristische Analyse: Vermögensbetreuungspflicht
Der BGH befasste sich eingehend mit der Frage, ob dem Angeklagten eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne von § 266 StGB oblag. Der Untreuetatbestand setzt voraus, dass der Täter eine besondere Verpflichtung zur Betreuung fremden Vermögens hat. Diese Pflicht muss über allgemeine Sorgfaltspflichten hinausgehen und eine eigenverantwortliche Entscheidungsbefugnis über das Vermögen des Geschädigten beinhalten.
Kein Betreuungsverhältnis durch Nachrangdarlehen
Das Gericht stellte fest, dass allein der Abschluss von Nachrangdarlehen keine solche Vermögensbetreuungspflicht begründet. Nachrangdarlehen ermöglichen es der darlehensnehmenden Gesellschaft, das Kapital nach eigenem Ermessen zu nutzen, ohne direkte treuhänderische Verpflichtungen gegenüber den Darlehensgebern. Diese haben lediglich das Recht auf Rückzahlung und Verzinsung, nicht aber auf eine Kontrolle der Mittelverwendung. Der BGH führte aus, dass der Darlehensnehmer grundsätzlich nicht treupflichtig ist und in eigenem Interesse über die Mittel entscheiden darf.
Zweckgebundene Darlehen als Sonderfall
Eine Vermögensbetreuungspflicht könnte jedoch ausnahmsweise dann entstehen, wenn das Darlehen ausdrücklich zweckgebunden ist, und der Darlehensnehmer verpflichtet wird, die Mittel im Interesse des Darlehensgebers zu verwenden. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn das Darlehen auftragsähnliche Elemente enthält und der Darlehensnehmer primär die Vermögensinteressen des Darlehensgebers wahren muss. Im vorliegenden Fall erkannte der BGH jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Darlehen der A. GmbH eine solche Zweckbindung aufwiesen. Die vom Landgericht genannten Exposés enthielten keine hinreichenden vertraglichen Vereinbarungen, die auf eine derartige Verpflichtung hinweisen würden.
Vermögensnachteil: Ein weiterer zentraler Punkt
Neben der Frage der Vermögensbetreuungspflicht befasste sich der BGH mit der Frage, ob durch die Zahlungen des Angeklagten ein Vermögensnachteil für die Anleger entstanden ist. Der Untreuetatbestand erfordert, dass durch das pflichtwidrige Verhalten des Täters ein tatsächlicher Vermögensschaden eintritt. Diese Minderung des Vermögens wird durch eine Gesamtsaldierung festgestellt, also einen Vergleich des Vermögens vor und nach der Tat.
Keine Identität zwischen Vermögen der GmbH und AG
Der BGH kritisierte, dass das Landgericht nicht ausreichend darlegte, ob durch die Zahlungen des Angeklagten tatsächlich ein Vermögensnachteil für die Anleger der A. GmbH entstanden war. Im Tatzeitraum bestanden keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür, dass das Vermögen der A. GmbH und der Au. AG identisch waren, da die Verschmelzung der beiden Gesellschaften erst nach den Tatzeitpunkten stattfand. Daher konnte nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Entnahmen aus der Au. AG das Vermögen der Anleger der A. GmbH unmittelbar beeinträchtigten.
Fazit: Eine Lücke in der Beweisführung
Der Beschluss des BGH verdeutlicht, dass der Tatbestand der Untreue eine klare und konkrete Vermögensbetreuungspflicht sowie einen nachweisbaren Vermögensnachteil erfordert. Das Landgericht konnte in diesem Fall weder die Pflicht des Angeklagten zur treuhänderischen Verwaltung der Anlegergelder noch einen konkreten Schaden für die Anleger nachweisen. Für die neue Verhandlung wird das Landgericht daher aufgefordert, genauere Feststellungen zur Frage der Zweckbindung der Darlehen sowie zur Identität der betroffenen Vermögen zu treffen.
Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie wichtig es ist, die rechtlichen Anforderungen an die Untreue genau zu beachten und eine lückenlose Beweisführung sicherzustellen, insbesondere wenn komplexe Finanzprodukte und Unternehmensstrukturen eine Rolle spielen.
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