VG Sigmaring: Keine Veröffentlichung von Hygienemängeln in Gaststätte

Das Verwaltungsgericht Sigmaring (2 K 4346/12) hat sich gegen die Veröffentlichung von Hygienemängeln bei einer Gaststätte durch die Behörde im Internet ausgesprochen. Dies mit einer im Vergleich zur sonstigen Rechtsprechung abweichenden Begründung: Die Verordnung (EG) 178/2002 könnte die Publikation solcher Mängel abschliessend regeln, so dass die gesetzliche Grundlage in Deutschland unzulässig wäre. Letztlich lässt das Gericht die Frage aber offen und begründet das Schutzbedürfnis Betroffener damit, dass diese Frage umstritten ist und dieser Streit schon ausreicht, um eine Veröffentlichung zu verhindern.

Letztlich im Ergebnis ist, wenn auch mit abweichender Begründung, eine erneute Entscheidung zu erkennen, die sich gegen Veröffentlichungen von Hygienemängeln ausspricht. Insgesamt ist weiterhin die Möglichkeit für Betroffene als sehr gut zu bezeichnen, wenn diese sich gegen behördliche Veröffentlichungen bei Hygienemängeln in Gaststätten oder Betriebsstätten (wie Bäckereien) wehren möchte.


Aus den Gründen:

Allerdings hat die Kammer Bedenken, ob § 40 Abs. 1a LFGB mit Art. 10 der höherrangigen Verordnung (EG) 178/2002 vereinbar ist.

Gemäß Art. 10 der Verordnung (EG) 178/2002 unternehmen, wenn ein hinreichender Verdacht besteht, dass ein Lebensmittel oder Futtermittel ein Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier mit sich bringen kann, die Behörden, unbeschadet der geltenden nationalen oder Gemeinschaftsbestimmungen über den Zugang von Dokumenten, je nach Art, Schwere und Ausmaß des Risikos geeignete Schritte, um die Öffentlichkeit über die Art des Gesundheitsrisikos aufzuklären; dabei sind möglichst umfassend das Lebensmittel oder Futtermittel oder die Art des Lebensmittels oder Futtermittels, das möglicherweise damit verbundene Risiko und die Maßnahmen anzugeben, die getroffen wurden oder werden, um dem Risiko vorzubeugen, es zu begrenzen oder auszuschalten.

In Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, ob Art. Art. 10 der Verordnung (EG) 178/2002 eine abschließende Regelung im Sinne einer Vollharmonisierung der Regelungen zur Information der Öffentlichkeit über Beanstandungen von - und Futtermitteln darstellt, über die nationales Recht nicht hinausgehen darf (vgl. Voit, Die Befugnis zur Information der Öffentlichkeit bei täuschenden, aber die Gesundheit nicht gefährdenden Lebensmitteln, LMuR 2012, 9; Becker/Ambrock, Anm. zum Vorlagebeschluss des LG München I, LMuR 2012, 35) oder ob nur Mindestvorgaben für die Information der Öffentlichkeit gemacht werden, die durch nationale Regelungen auch erweitert werden können (so VG Regensburg, Beschluss vom 23.10.2012 – RO 5 E 12.1580 -, Juris unter Verweis auf die Entscheidung des VG München, Beschluss vom 13.09.2012 – M 22 E 12.4275 -, Juris).

Im Fall einer abschließenden Regelung durch Art. 10 der Verordnung (EG) 178/2002 wäre eine Information der Öffentlichkeit nur bei hinreichendem Verdacht eines Risikos für die Gesundheit von Mensch und Tier zulässig. § 40 Abs. 1a LFGB sieht jedoch – wie bereits ausgeführt – eine Information der Öffentlichkeit auch unterhalb dieser Schwelle, nämlich auch beim Verdacht einer Täuschung oder eines „bloßen“ Hygieneverstoßes in nicht unerheblichem Ausmaß ohne gleichzeitige Gesundheitsgefährdung vor.

Zwar spricht nach Auffassung des Gerichts viel dafür, dass die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 nur allgemeine Ziele und Grundsätze vorgibt und Spielraum für nationale Regelungen belässt. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass das Landgericht München dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorgelegt hat, ob Art. 10 VO (EG) Nr. 178/2002 einer nationalen Regelung entgegensteht, durch die eine Information der Öffentlichkeit über ein Lebens- bzw. Futtermittel und das Lebens- bzw. Futtermittelunternehmen, unter dessen Namen oder Firma das Lebens- bzw. Futtermittel hergestellt, behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, ermöglicht wird, wenn die Information nicht ein gesundheitsschädliches, sondern lediglich ein zum Verzehr ungeeignetes, insbesondere ekelerregendes Lebensmittel betrifft. Das betrifft zwar nicht Regelung des § 40 Abs. 1a LFGB, sondern bezieht sich auf § 40 Abs. 1 Nr. 4 LFGB. Die Problematik der Information der Öffentlichkeit ohne Vorliegen eines Gesundheitsrisikos stellt sich im vorliegenden Verfahren aber gleichermaßen (vgl. ebenso VG München, Beschluss vom 03.12.2012 – M 18 E 12.5736 -, Juris). Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist – soweit ersichtlich – bislang nicht ergangen.

Angesichts dieser komplexen, noch offenen Rechtsfragen überwiegt derzeit das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers das Informationsinteresse der Öffentlichkeit, so dass dem Antrag stattzugeben war.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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