Vertrieb von Gleitsichtbrillen über das Internet – Werbung als „hochwertig“ und „individuell“ zulässig

Ein Online-Anbieter von Brillen und Kontaktlinsen darf Gleitsichtbrillen vermarkten, auch wenn die Brille allein aufgrund von Angaben aus dem Brillenpass hergestellt und nicht individuell beim Optiker angepasst wird. Die Werbung für die Brillen als „hochwertig“ und „individuell“ ist zulässig. Dies hat der 6. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in einem vor kurzem veröffentlichten Urteil entschieden und die des Zentralverbandes der Augenoptiker gegen den Online-Anbieter weitgehend zurückgewiesen.

Zum Sachverhalt

Das beklagte Unternehmen vermarktet über das Internet Brillen, Kontaktlinsen, Zubehör und Pflegemittel. Der Besteller einer Gleitsichtbrille wählt dabei über das Internet die Brillenfassung aus und gibt für die Brillengläser die Daten aus seinem Brillenpass ein, insbesondere die Sehstärke. Nach Erhalt der Brille hat der Kunde die Möglichkeit, die Brille bei Nichtgefallen binnen vier Wochen kostenfrei zurückzugeben. Beworben wurde die Gleitsichtbrille unter anderem wie folgt: „Hochwertige Gleitsichtbrillen mit Qualitätsgläsern“ und „individuelle Gleitsichtbrillen, bestehend aus einer modischen Kunststoff-Fassung und Premium-Gleitsichtgläsern in Optiker-Qualität“. Der Zentralverband der Augenoptiker klagte daraufhin und wollte vor Gericht ein Verbot der online-Vermarktung der Gleitsichtbrillen und der Werbung erreichen.

Aus den Gründen

Die Vermarktung der Gleitsichtbrillen über das Internet und die Werbung sind zulässig. Bei den Gleitsichtbrillen besteht nicht der begründete Verdacht, dass die Brillen die Sicherheit und Gesundheit ihrer Anwender bei sachgemäßer Anwendung gefährden (§ 4 Medizinproduktegesetz – MPG), auch wenn die Brillen nur auf der Grundlage der Daten aus dem Brillenpass hergestellt und nicht weitere individuelle Parameter des Brillenträgers ermittelt werden. Der klagende Augenoptikerverband trägt selbst nicht vor, dass durch die Verwendung der streitigen Gleitsichtbrillen konkrete Gesundheitsschäden, etwa in Form von Kopfschmerzen, Hals- oder Nackenproblemen aufgetreten sein sollen. Auch wenn die Rückgabequote von 10 bis 12% ein gewisses Indiz für das Auftreten konkreter Beschwerden sein kann, so sind die Beschwerden dann offenbar jeweils rechtzeitig bemerkt worden. Beschwerden, die so rechtzeitig und deutlich bemerkt werden, dass die Brille zurückgegeben wird, können aber kaum zu einer wirklichen Gefährdung führen. Allerdings muss das beklagte Unternehmen den Hinweis erteilen, dass nicht optimal angepasste Gleitsichtbrillen bei Benutzung im Straßenverkehr gefährlich sein können, da sie den Überblick über den seitlichen Straßenverkehr beeinträchtigen können.

Die Bewerbung der Gleitsichtbrillen ist nicht irreführend. Die Bezeichnungen der Gleitsichtbrillen als „hochwertig“ und als „Premium“ sind nichtssagend und können deshalb auch einen verständigen und informierten Verbraucher nicht täuschen. Die Bezeichnung der Gleitsichtbrillen als „individuell“ ist zutreffend, weil die Brillengläser anders als bei Fertigbrillen immerhin anhand der vom Kunden mitgeteilten individuellen Werte aus dem Brillenpass angefertigt werden. Auch der Hinweis auf „Optikerqualität“ ist nicht zu beanstanden. Der Kunde weiß, dass dem beklagten Unternehmen anders als einem Optiker zur Anfertigung der Brille nur die Daten aus dem Brillenpass zur Verfügung stehen und folglich das Gestell mit Gläsern nicht dem Gesicht des Kunden angepasst werden kann. Der aufmerksame Verbraucher wird sich deshalb nur vorstellen, dass die Qualität der vom beklagten Unternehmen erstellten Brillen derjenigen entspricht, die ein Optiker ohne Kundenkontakt, also nur auf Grundlage der Daten des Brillenpasses leisten könnte.

(Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 29.09.2014, Aktenzeichen 6 U 2/14; Quelle: Pressemitteilung des Gerichts)

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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