Abfangen von Kunden durch Verteilen von Handzetteln vor Ladenlokal eines Konkurrenten

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (6 U 61/16) konnte sich zum wettbewerbswidrigen Abfangen von Kunden durch das Verteilen von Handzetteln äußern. Dies kann durchaus schnell zum Streit führen, weil sich der betreffende Ladeninhaber schnell abgegraben fühlen kann. Dabei reicht das Verteilen von Handzetteln in unmittelbarer Nähe zum Mitbewerber für sich genommen für eine Wettbewerbswidrigkeit nicht aus. Denn es ist wettbewerbskonform, wenn Kunden erst einmal die Möglichkeit gegeben wird, sich über ein alternatives Angebot zu informieren.

Damit es sich um ein wettbewerbsrechtlich relevantes Verhalten handelt müssen letztlich zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die angesprochenen Kunden müssen bereits dem Mitbewerber zuzurechnen sein und es muss in unangemessener Weise auf sie eingewirkt worden sein. Das OLG sah die Kunden als dem Mitbewerber zuzurechnen an, weil diese angesprochen wurden auf dem Weg zum konkreten Ladenlokal. Dies sei, so das OLG korrekt, in einem weiten Sinn zu verstehen um den entsprechenden Schutz zu gewährleisten. Dabei war das Vorgehen auch unzumutbar: „Die Grenze zur Unzumutbarkeit wurde im Streitfall aber schon dadurch überschritten, dass der Werbende an Autos herantrat, deren Fahrer und Beifahrer sich aufgrund der Verkehrslage dem Ansprechen und der Zettelverteilung nicht ohne weiteres entziehen konnten“. Dass dagegen der Werber nicht sofort als solcher zu erkennen war, war nicht schädlich.

Das bedeutet, es ist durchaus zulässig, Handzettel vor einem Ladenlokal eines Konkurrenten zu verteilen. Es muss aber genau geprüft werden, auf welche Art man an die Kunden heran tritt. Insbesondere muss es dem Kunden möglich sein, sich der Ansprache entziehen zu können, ein aggressives Element in der Ansprache sollte insoweit nicht zum Einsatz kommen. Anders herum besteht für Anbieter die Möglichkeit zur Gegenwehr, von Kunden auf dem Weg zum eigenen Angebot mehr als informativ angesprochen werden.

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Aus der Entscheidung:

Die Antragstellerin kann von der Antragsgegnerin gemäß §§ 8 I, 4 Nr. 4 UWG verlangen, es zu unterlassen, im Einfahrtsbereich ihres Geschäftsbetriebes gezielt und individuell Kunden anzusprechen und Handzettel zu verteilen.

a) Das Abwerben von Kunden gehört zum Wesen des Wettbewerbs und kann nur unter besonderen Umständen als unlauter angesehen werden. Ein unlauteres Abfangen von Kunden liegt nach ständiger Rechtsprechung des BGH nur dann vor, wenn sich der Werbende gewissermaßen zwischen den Mitbewerber und dessen Kunden stellt, um diesem eine Änderung seines Kaufentschlusses aufzudrängen (BGH GRUR 2011, 166 Rn. 30 [BGH 12.05.2010 – I ZR 214/07] – Rote Briefkästen m.w.N.). Es bedarf einer unangemessenen Einwirkung auf Kunden, die dem Mitbewerber bereits zuzurechnen sind (BGH WRP 2014, 424 Rn. 35 [BGH 22.01.2014 – I ZR 164/12] – wetteronline.de). Es müssen also zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die angesprochenen Kunden müssen bereits dem Mitbewerber zuzurechnen sein (dazu b); es muss in unangemessener Weise auf sie eingewirkt worden sein (dazu c).

b) Die Antragsgegnerin hat Verbraucher angesprochen, die auf dem Weg zum Geschäft der Antragstellerin waren und damit als ihre Kunden anzusehen waren. Der Begriff des zum Kauf entschlossenen Kunden darf nicht zu eng verstanden werden. Auch vorgelagerte geschäftliche Entscheidungen, wie das Betreten eines Geschäftslokals werden erfasst (Köhler in Köhler/Bornkamm, 34. Aufl., § 4 Rn. 4.25). Zwischen den Parteien ist teilweise streitig, in welchen Bereichen sich der Mitarbeiter der Antragsgegnerin mit seinen Werbeflyern aufhielt. Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts hat der Mitarbeiter der Antragsgegnerin Passanten in dem gelb markierten Bereich auf dem Google-Earth-Ausdruck, Bl. 70 d.A., angesprochen. Dieser Bereich erfasst unter anderem den rot markierten Zufahrtsweg zum Geschäft der Antragstellerin. Unerheblich ist, dass an diesem Weg noch weitere Betriebe, z.B. eine B-Schule und ein C-Studio, angesiedelt sind. Trotzdem erreichte die Antragsgegnerin auf diese Weise nahezu sämtliche Kunden, die auf dem Weg zur Antragstellerin waren. Die Aktion zielte offensichtlich auch gerade darauf ab.

c) Es liegt eine unangemessene Einwirkung vor. Die Frage der Unangemessenheit hängt insbesondere von den eingesetzten Mitteln ab. Es ist eine Gesamtabwägung aller Umstände erforderlich.

aa) Das Verteilen von Handzetteln in unmittelbarer Nähe zum Mitbewerber reicht für sich genommen nicht aus (Köhler in Köhler/Bornkamm, aaO, § 4 Rn. 4.29; anders noch die frühere Rechtsprechung, die von einem überholten Verbraucherleitbild ausging, vgl. BGH GRUR 1986, 547, 548 – Handzettelwerbung). Es ist wettbewerbskonform, wenn Kunden die Möglichkeit gegeben wird, sich über ein alternatives Angebot zu informieren. Das Landgericht hat daher zu Recht dem ursprünglichen Antrag nicht entsprochen, mit dem das Verteilen von Handzetteln in einem Umkreis von 100 m zum Geschäftslokal der Antragstellerin verboten werden sollte.

bb) Die Unangemessenheit der Mittel ist u. a. zu bejahen, wenn die potentiellen Kunden im Sinne des § 7 UWG unzumutbar belästigt werden (BGH GRUR 2009, 416 Rn. 16 [BGH 02.10.2008 – I ZR 48/06] – Küchentiefstpreis-Garantie). Davon ist nach den Gesamtumständen im vorliegenden Fall auszugehen. Dass der betroffene Mitbewerber auch nach § 7 UWG vorgehen kann, schließt den Anspruch aus § 4 Nr. 4 UWG nicht aus (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm, aaO, § 4 Rn. 4.25).

(1) Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann insoweit nicht auf die fehlende Erkennbarkeit des Zettelverteilers als Werbender abgestellt werden. Eine unzumutbare Belästigung ist zwar anzunehmen, wenn Passanten durch eine Person gezielt und individuell angesprochen werden, die nicht sofort als Werbender erkennbar ist (vgl. BGH GRUR 2004, 699, 701 [BGH 01.04.2004 – I ZR 227/01] – Ansprechen in der Öffentlichkeit I; Senat, GRUR 2008, 353 Rn. 34). Der Senat hat an die sofortige Erkennbarkeit auch strenge Anforderungen gestellt und dem Beklagten insoweit eine sekundäre Darlegungslast zugewiesen (Senat, aaO, Rn. 54). Im Streitfall besteht jedoch für die Feststellung des Landgerichts, der Verteiler sei weder durch seine Kleidung noch auf andere Weise als Werbender erkennbar gewesen (LGU 15), keine ausreichende Grundlage. Die Antragstellerin weist in der Berufungserwiderung zu Recht darauf hin, dass die fehlende Erkennbarkeit von keiner Partei vorgetragen wurde (Bl. 253, 254 d.A.). Die zur Akte gelangten Fotos, auf die das Landgericht seine Feststellung allein stützt (Bl. 37 d.A.), sind in diesem Punkt nicht hinreichend ergiebig und deutlich.

(2) Die Grenze zur Unzumutbarkeit wurde im Streitfall aber schon dadurch überschritten, dass der Werbende an Autos herantrat, deren Fahrer und Beifahrer sich aufgrund der Verkehrslage dem Ansprechen und der Zettelverteilung nicht ohne weiteres entziehen konnten. Wie auf den Fotos erkennbar ist, hatte sich teilweise eine Fahrzeugschlange gebildet, die die Fahrzeuge zum Stehenbleiben oder Langsamfahren zwang (Bl. 37 d.A.). In einer derartigen Situation ist es schwierig dem Werbenden auszuweichen. Es liegt nahe, dass viele Autofahrer den Handzettel allein deshalb entgegennehmen, um nicht unhöflich zu erscheinen. Andere haben Sorge, im Fall des Ignorierens beschimpft oder anderweitig stärker bedrängt zu werden. Ob der Werbende zusätzlich sogar noch an die Scheiben klopfte, um die Fahrer zum Öffnen zu bewegen und sie individuell ansprechen zu können, ist nicht von entscheidender Bedeutung. Das Verhalten der Antragsgegnerin stellt sich als unzumutbare Belästigung der Kunden der Antragstellerin dar. Die Antragstellerin wurde dadurch gezielt behindert. Es kommt hinzu, dass die Aktion am …12., einem für den Verkauf von frischen Xwaren besonders wichtigen Umsatztag stattfand.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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