Filesharing-Abmahnung: Auskunftsanspruch durch BGH erheblich ausgeweitet

Beim (I ZB 80/11) hat man sich mit dem urheberrechtlichen nach §101 UrhG beschäftigt – und eine Entscheidung getroffen, die auf erhebliche Kritik gestoßen ist. Teilweise wurde dem BGH gar „Unfähigkeit“ attestiert, mindestens blinde Gefolgschaft einer Urheberrechtslobby. Dabei sollte man durchaus fair bleiben und fragen, wem an dieser Stelle der Vorwurf gebührt…

Im Folgenden in aller Kürze einige erläuternde Worte zur Entscheidung des BGH sowie die Prognose, was das wohl bedeuten wird in Zukunft.

Worum geht es?

Der Auskunftsanspruch im Urheberrecht

Es gibt im §101 II UrhG einen „Auskunftsanspruch“:

In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung oder in Fällen, in denen der Verletzte gegen den Verletzer erhoben hat, besteht der Anspruch […] gegen eine Person, die in gewerblichem Ausmaß
[…] rechtsverletzende Dienstleistungen in Anspruch nahm […]

Derjenige, der hier gewerblich eine Dienstleistung anbietet, die rechtsverletzend in Anspruch genommen wurde, ist der Internet-Provider, über den Betroffene Filesharing betrieben haben. Durch den Auskunftsanspruch können die Rechteinhaber, mit richterlichem Beschluss, beim Provider anfragen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt Anschlussinhaber zu einer bestimmten war. In der Praxis geht es hier nicht um einzelne IP-Adressen, sondern um (Excel-/CSV-)Tabellen, die zwischen Anwälten, Richtern und Providern weiter gereicht werden, man munkelt von monatlich 10.000enden Anfragen in diesem Zusammenhang. Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten: Ohne diesen Auskunftsanspruch, der seit dem 01.09.2008 existiert, gäbe es das bekannte massenhafte Abmahnen von Filesharern nicht. Insofern ist auch der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten (Ende 2009) und dem beginn der Abmahnwellen seit 2009 zu erkennen.

Gewerbliches Ausmaß

Allerdings verblieb ein Problem: Während beim Diensteanbieter von einem „gewerblichen Ausmaß“ die Rede war, war hinsichtlich der Rechtsverletzung lediglich eine „Offensichtlichkeit“ gefordert. Das verwundert schon insofern, als in Absatz 1, wo es auch um Rechtsverletzungen geht genommen wird, eine „gewerbliche Rechtsverletzung“ vorausgesetzt wird. Hierzu entstand sodann folgender Streit:

  1. Muss die Rechtsverletzung auch in „gewerblichem Ausmaß“ begangen worden sein – oder reicht tatsächlich jede, solange die Rechtswidrigkeit „offensichtlich“ ist?
  2. Sofern ein gewerbliches Ausmaß vorliegt, sind besondere Kriterien nötig, oder ist Filesharing schlechthin ein gewerbliches Ausmaß?

Frage 1 war zwar bisher weiter umstritten, aber im grossen und ganzen war die Rechtsprechung sich bisher einig: Ein gewerbliches Ausmaß muss auch bei der Rechtsverletzung vorliegen. Sodann kam es auf Frage 2 an, wo speziell das OLG München die Auffassung vertrat, dass jede Rechtsverletzung beim Filesharing schlechthin gewerblich ist. die andere „grosse Richtung“ fand sich beim OLG Köln, wo man dagegen der Meinung war, es braucht hierzu spezielle Kriterien. Insbesondere komme es darauf an, dass das Werk innerhalb einer „relevanten Verwertungsphase“ getauscht wurde. Eine solche war innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nach Veröffentlichung zu sehen. Sprich: Bei aktuellen Werken gab es Auskunft, sonst nicht. Die Folge: Jedenfalls im Bereich Köln (Telekom!) gab es bisher nur Auskunft bei aktuellen Werken, die Reichweite möglicher Filesharing-Abmahungen war damit ein wenig eingegrenzt. Oder verständlich: Die aktuelle Bravo Hits konnte man Abmahnen, bei der Bravo Hits 1 gab es keine Auskunft.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hatte sich nun zu diesen Streitfragen zu äußern und hat bereits bei Frage 1 festgestellt, dass es auf eine gewerblichkeit der Rechtsverletzung gar nicht ankommt (womit sich Frage 2 gar nicht erst stellt).

Im Kern geht es hierbei um eine Auslegungsfrage, nämlich darum, wie das Gesetz zu verstehen, auszulegen ist. Eine solche Auslegung unterliegt nicht freier Willkür, sondern hat sich an wissenschaftichen Maßstäben zu orientieren (dazu bei Wikipedia). Üblicherweise gibt es verschiedene Auslegungsmethoden, die der BGH auch alle der Reihe nach „abklappert“. Die recht starken Auslegungsmethoden der wörtlichen Bedeutung, der Systematik sowie unter Berücksichtigung des Unionsrechts führen beim BGH dazu, dass die Norm unzweideutig ist und gerade keine gewerblichkeit der Verletzungshandlung fordert. Dazu gibt es nicht viel zu sagen: Selbst Laien brauchen die Norm nur einmal zu lesen um zu erkennen, dass sich aus dem Wortlaut dieses Kriterium bei der Verletzungshandlung nicht ergibt. Die Betrachtung des Unionsrechts ist ebenfalls sauber und begegnet hier keinen Bedenken.

Gegen diese Auslegung stehen letztlich bestenfalls der berühmte (und nicht wirklich existierende) „Wille des Gesetzgebers“ im Zuge der rechtshistorischen Auslegung. Hier ist an dieser Stelle nur kurz fest zu halten, dass das Gesetzgebungsverfahren keinen Zweifel daran lässt, dass „der Gesetzgeber“ auch bei der Verletzungshandlung eine Gewerblichkeit fordern wollte. Wer das ausführlich nachlesen möchte, greift auf die sehr lange Ausführung von Oliver Garciá´zurück, hier zu finden, die keinerlei Bedenken begegnet.

Aber: Der BGH ist an dieses Ergebnis nicht gebunden! Hier ist als erstes zu sehen, dass die historische Auslegung eine eher schwache ist. Hintergrund ist dabei, dass in einem Rechtsstaat die Gesetze so angewendet werden, wie sie formuliert isnd – und nicht Gerichte hier Dinge hineininterpretieren, die da so nicht stehen – andernfalls bewegt man sich in den Raum von Willkür, da das geschriebene Recht keine Relevanz mehr hat.
Vollkommen zu Recht weist der BGH zudem darauf hin, dass der „Wille des Gesetzgebers“ nicht das ist, was subjektiv wirklich gewollt war und sich aus den Unterlagen ergibt. Vielmehr wird seit je her mit dem BVerfG auf den „objektivierten Willen des Gesetzgebers“ abgestellt, was durchaus Kontrovers im Ergebnis werden kann (dazu bei Wikipedia, brauchbar aufbereitet). Letztlich kann man sich den Mund fusselig reden, und ich selbst habe es schon oft genug geschrieben: Wenn „der Gesetzgeber“ irgend etwas will, dann muss er es auch in das Gesetz schreiben und nicht in irgendwelche anderen Unterlagen. Das Ergebnis beim BGH mag (rechtspolitisch) Kritik begegnen, aber es ist nicht nur vertretbar, sondern aus der Sichtweise juristischer Arbeit gerade zu naheliegend. „Der Gesetzgeber“ mag ein anderes Ergebnis gewollt haben, er hat es aber schlichtweg nicht ins Gesetz geschrieben.

Die Konsequenzen der Entscheidung

Auf das bisher bekannte „Abmahn-Modell“ wird diese Entscheidung eher wenig Auswirkungen haben. Bedeutsam ist sie vielmehr für die Frage zukünftiger neuer Abmahnungen: Natürlich ist auch der „Tausch“ der Bravo Hits 1 bisher abmahnfähig gewesen. Allerdings kam man mangels Auskunft nicht an die Daten der Anschlussinhaber. Diese Hürde ist nun genommen, jedenfalls der Auskunft steht nach dieser BGH-Entscheidung nichts mehr im Wege, gleich wie alt das urheberrechtlich geschützte Werk ist. Es bietet sich damit jedenfalls die tatsächliche Möglichkeit, sehr viel mehr als früher abzumahnen.

Ob man deswegen mit neuen Abmahnwellen rechnen muss, ist m.E. aber nicht gesagt – es mag naheliegend sein, dass irgendwelche vergangenen Pop-Sternchen von früher nun versuchen, hier noch etwas Umsatz zu erzielen, zwingend ist es nicht. Interessanter fände ich dies eher bei älteren Filmen, die ja gerade in der heutigen zeit in restaurierten Fassungen auch nach 50 Jahren noch einen gewissen Markt haben (wobei hinsichtlich neuer, restaurierter Fassungen die marktrelevante Phase sowieso betroffen war!). Hier gilt daher nur: Abwarten und nicht tauschen.

Auf der anderen Seite werden ältere Werke gleichwohl nicht mit aktuellen Werken vergleichbar sein: Man mag sie zwar abmahnen können, doch stellt sich dann jedes Mal die Frage nach dem angemessenen Streitwert bzw. Schadensersatz. Irgendein vergessener B-Movie aus den 50ern wird m.E. vollkommen anders zu bewerten sein als etwa aktuelle Kinofilme, die noch vor Erscheinen auf DVD angeboten werden. Insofern ist an die Entscheidung des Landgerichts Hamburg (308 O 710/09, hier besprochen) zu denken, die bei älteren Liedern einen stark geminderten Schadensersatzanspruch in Höhe von 15 Euro erkannte.

Fazit

  1. Es sind nun inhaltlich mehr Abmahnungen möglich, aber keineswegs zwingend
  2. Wenn bei älteren Werken Abmahnungen folgen sollten, ist die Frage nach angemessenem Schadensersatz vollkommen neu zu stellen, bisherige Rechtsprechung nicht blind zu übertragen
  3. Wer Vorwürfe platzieren möchte, tut das bitte beim Gesetzgeber, nicht beim BGH
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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