Die nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV) erforderliche Prüfung, ob Erscheinungsmerkmale ausschließlich durch die technische Funktion des Erzeugnisses bedingt sind, ist für jedes den Gesamteindruck prägende Merkmal gesondert, anhand aller maßgeblichen objektiven Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.
Schutzbereich eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters
Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GGV gewährt das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster seinem Inhaber das ausschließliche Recht, es zu benutzen und Dritten zu verbieten, es ohne seine Zustimmung zu benutzen. Der Schutzumfang des Gemeinschaftsgeschmacksmusters erstreckt sich gemäß Art. 10 Abs. 1 GGV auf jedes Muster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt. Die Prüfung, ob ein Modell in den Schutzbereich eines Geschmacksmusters eingreift, erfordert die Bestimmung des Schutzumfangs des Geschmacksmusters sowie die Ermittlung und den Vergleich des Gesamteindrucks des Geschmacksmusters und des angegriffenen Modells.
Bei der Beurteilung des Schutzumfangs ist der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters zu berücksichtigen (Art. 10 Abs. 2 GGV). Eine geringe Musterdichte und damit eine große Gestaltungsfreiheit können zu einem weiten Schutzumfang des Geschmacksmusters führen. Der Schutzumfang hängt also vom Abstand des Geschmacksmusters zum vorbekannten Formenschatz ab. Dieser Abstand ist durch einen Vergleich des Gesamteindrucks des Klagemusters mit dem vorbekannten Formenschatz zu ermitteln. Je größer der Abstand, desto größer ist der Schutzumfang des Klagemusters. Der anerkannte Grundsatz, dass der Schutzumfang eines Geschmacksmusters von seinem Abstand zum vorbekannten Formenschatz abhängt, gilt auch für die Bestimmung des Schutzumfangs eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nach Art. 10 Abs. 2 GGV.
Begrenzung des Schutzbereichs bei technisch bedingter Form
Nach Art. 8 Abs. 1 GGV besteht ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster jedoch nicht an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind. Eine Übereinstimmung in solchen Merkmalen kann keine Verletzung des Schutzbereichs eines Geschmacksmusters begründen. Ihnen kann daher auch keine entscheidende Bedeutung für die Bestimmung des Gesamteindrucks eines Geschmacksmusters zukommen.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist bei der Beurteilung der Frage, ob Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, im Rahmen der Anwendung des Art. 8 Abs. 1 GGV darauf abzustellen, ob diese Funktion der allein bestimmende Faktor ist. Diese Bestimmung schließt den Geschmacksmusterschutz für Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses aus, wenn andere Erwägungen als die Notwendigkeit, dass dieses Erzeugnis seine technische Funktion erfüllt, insbesondere Erwägungen im Kontext der Erscheinungsform, bei der Wahl dieser Merkmale keine Rolle gespielt haben, und zwar auch dann, wenn es andere Muster gibt, mit denen dieselbe Funktion erfüllt werden kann.
Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand aller relevanten objektiven Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob die fraglichen Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses im Sinne dieser Bestimmung ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind. Bei dieser Beurteilung sind insbesondere das fragliche Geschmacksmuster, die objektiven Umstände, aus denen sich die Gründe für die Wahl der Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses ergeben, Angaben über seine Verwendung sowie das Bestehen alternativer Geschmacksmuster, mit denen dieselbe technische Funktion erfüllt werden kann, zu berücksichtigen, sofern für diese Umstände, Angaben oder Alternativen stichhaltige Beweise vorliegen.
Schutzausschluß: Darlegungs- und Beweislast
Die Darlegungs- und Beweislast für einen Schutzausschluss nach Art. 8 Abs. 1 GGV trägt die Partei, die sich darauf beruft; allerdings kommt eine sekundäre Darlegungslast des Designinhabers für in seiner Sphäre liegende Umstände in Betracht.
Die nach Art. 8 Abs. 1 GGV vorzunehmende Beurteilung, ob Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses nach den maßgeblichen objektiven Umständen des Einzelfalls ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, ist eine tatrichterliche Würdigung. Sie ist vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüfbar, ob das Tatgericht einen zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, nicht gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen und keine wesentlichen Umstände unberücksichtigt gelassen hat.
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