Das Landgericht Mannheim (2 O 73/20 ZV II) hat entschieden, dass in Patentstreitsachen die Anordnung eines Geheimnisschutzes im Zwangsmittel- und Ordnungsgeldverfahren in Betracht kommt, soweit geheimhaltungsbedürftige Informationen dort erstmals eingeführt werden sollen.
Dieser prozessuale Geheimnisschutz ist verfahrensbezogen. Vorkehrungen für künftige Verfahren können mit ihm nicht getroffen werden. Diese bleiben dem künftigen Verfahren vorbehalten. Und: Der Umstand, dass der Gläubiger einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Herausgabe der zu schützenden Informationen hat, schließt die Anordnung eines verfahrensrechtlichen Geheimnisschutzes nicht aus.
Ist der Schuldner rechtskräftig zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung verurteilt worden, die teilweise Gegenstand des prozessualen Geheimnisschutzes sein sollen, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn der prozessuale Geheimnisschutz lasse die materiell-rechtliche Reichweite der Verurteilung unberührt.
Hinweis: Das OLG Karlsruhe (6 W 39/22) hat die Entscheidung bestätigt, dabei aber den prozessualen Teil hinsichtlich des GeschGehG offen gelassen.
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So führt das Gericht aus:
Demnach kommt im Rahmen der entsprechenden Anwendung der §§ 16 bis 20 GeschGehG gem. § 145a PatG in Patentstreitsachen eine Anordnung von Geheimnisschutz auch im Zwangsmittel- und Ordnungsgeldverfahren in Betracht, soweit dort erstmals geheimhaltungsbedürftige Informationen eingeführt werden sollen. Eine Einschränkung des verfahrensrechtlichen Geheimnisschutzes auf das Erkenntnisverfahren lässt sich § 145a PatG nicht entnehmen.
(1) Der Wortlaut des § 145a PatG erstreckt die entsprechende Anwendung der Vorschriften des verfahrensrechtlichen Geheimnisschutzes des GeschGehG u.a. auf Patentstreitsachen und nimmt hiervon – wegen des durch das Düsseldorfer Verfahren bereits vorhandenen Schutzes (vgl. Regierungsbegründung, BR-Drucks 19/25821, S. 57) – allein selbstständige Beweisverfahren aus. Der Begriff der Patentstreitsache ist weit zu verstehen. Er umfasst das Zwangsvollstreckungsverfahren und zwangsvollstreckungsrechtliche Klagen (vgl. Benkard PatG/Grabinski/Zülch, 11. Aufl. 2015, PatG § 143 Rn. 6; Kaess in: Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 9. Aufl. 2020, § 143 Rn. 57; BeckOK PatR/Kircher, 21. Ed. 15.7.2021, PatG § 143 Rn. 15 aE). Eine Einschränkung der Anordnungsmöglichkeit auf Patentstreitsachen mit Ausnahme der Zwangsvollstreckung lässt sich dem Wortlaut des § 145a PatG daher nicht entnehmen.
(2) Die Gesetzesmaterialen führen zu keinem anderen Ergebnis.
Zwar heißt es in den Materialien zum GeschGehG (BT-Drs. 19/4724, S. 37 unten), eine Schutzentscheidung könne nur in einem kontradiktorischen Verfahren durch das Gericht der Hauptsache im Sinne von § 20 Absatz 6 GeschGehG erlassen werden; weder könne ein Antrag auf eine Schutzentscheidung erstmals im Verfahren der Zwangsvollstreckung gestellt werden, noch könne eine solche Entscheidung aufgrund der notwendigen umfassenden Interessensabwägung im streng formalisierten Verfahren der Zwangsvollstreckung durch Organe der Zwangsvollstreckung erlassen werden. Ob diese Erwägungen auch für ein Zwangs- oder Ordnungsmittelverfahren Gültigkeit beanspruchen sollen, in dem das Prozessgericht als Vollstreckungsgericht erst nach Anhörung des Gegners in einem kontradiktorischen Verfahren entscheidet und in das erstmals zu schützende Informationen eingeführt werden sollen, für deren Einführung im Erkenntnisverfahren keine Veranlassung bestand, kann dahinstehen. Aus den angeführten Gründen stünde jedenfalls eine fehlende Anordnungsmöglichkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren in Geschäftsgeheimnisstreitsachen einer Anordnung in patentrechtlichen Zwangs- oder Ordnungsmittelverfahren nicht ohne weiteres entgegen.
Die für die Reichweite der entsprechenden Anwendung allein maßgeblichen Gesetzesmaterialien zu § 145a PatG sprechen gegen eine Einschränkung der Möglichkeit, verfahrensrechtlichen Geheimnisschutz anzuordnen, auf Erkenntnisverfahren in Patentstreitsachen.
Wie sich den Gesetzesmaterialien zu § 145a PatG entnehmen lässt, ging es dem Gesetzgeber bei der Anordnung der entsprechenden Anwendung der §§ 16 bis 20 GeschGehG auf Patentstreitsachen darum, dem besonderen Bedürfnis nach Geheimnisschutz gerade in Patentstreitsachen Rechnung zu tragen, weil dort bei den für Streitfragen relevanten Informationen häufig auch Geschäftsgeheimnisse betroffen seien und ihre Offenlegung vor Gericht notwendig zur Anspruchsbegründung oder zur Verteidigung sein könne. Als Beispiele nennen die Materialien u.a. die Offenlegung im Rahmen der Berechnung eines durch die Patentverletzung entstandenen Schadens oder bei einer Beweiserhebung nach § 139 Abs. 3 S. 2 PatG, dass die Herstellung eines Erzeugnisses auf einem anderen als dem patentgeschützten Verfahren beruht (vgl. Regierungsbegründung, BT-Drucks. 19/25821, S. 57). Das Bedürfnis nach Schutz von Geschäftsgeheimnissen stellt sich jedoch im Zwangsvollstreckungsverfahren gleichermaßen. So kann im Ordnungsmittelverfahren zur Durchsetzung einer Unterlassung oder im Zwangsmittelverfahren zur Erzwingung einer Auskunft zu prüfen sein, ob eine dort erstmals angeführte Ausführungsform so ausgestaltet ist, dass sie vom Verbotstenor bzw. der Verurteilung zur Auskunft erfasst ist (…)
Zwar sieht die Regelung des § 18 S. 2 GeschGehG vor, dass die Verpflichtungen aus der Anordnung des verfahrensrechtlichen Geheimnisschutzes entfallen, wenn das Gericht der Hauptsache das Vorliegen des streitgegenständlichen Geschäftsgeheimnisses durch rechtskräftiges Urteil verneint. Dementsprechend bestimmt § 20 Abs. 5 S. 4 GeschGehG, dass die Einstufung als geheimhaltungsbedürftig nach Abs. 16 Abs. 1 GeschGehG und die Anordnung der Beschränkung nach § 19 Abs. 1 GeschGehG nur gemeinsam mit dem Rechtsmittel in der Hauptsache angefochten werden können. Dem mag im originären Anwendungsbereich des verfahrensrechtlichen Geheimnisschutzes jeweils die Vorstellung zugrunde liegen, dass allein das Geschäftsgeheimnis des Klägers, aus dem er in der Geschäftsgeheimnissache vorgeht, Gegenstand des verfahrensrechtlichen Geheimnisschutzes sein kann.
Ob hieraus zu schließen ist, dass sich der verfahrensrechtliche Geheimnisschutz in seinem originären Anwendungsbereich auf das streitgegenständliche Geschäftsgeheimnis beschränkt, kann jedoch dahinstehen. Jedenfalls für die entsprechende Anwendung in Patentstreitsachen stellt § 145a S. 2 PatG ausdrücklich klar, dass der verfahrensrechtliche Geheimnisschutz dort für von beiden Parteien eingeführte Informationen zur Verfügung steht. Hiervon gehen die Gesetzesmaterialien zu § 145a PatG bereits vor der Aufnahme der Klarstellung aus. So identifizierte bereits der Regierungsentwurf bei Informationen zur Anspruchsbegründung und solchen zur Verteidigung gleichermaßen ein Schutzbedürfnis und wollte daher grundsätzlich alle vom Kläger und vom Beklagten im Rahmen seiner Verteidigung in das Verfahren eingeführte Informationen erfassen (vgl. Regierungsbegründung, Drucksache 19/25821, S. 57).
Allerdings kann nicht jede beliebige Information, die die Parteien in das Verfahren einführen möchten, zum Gegenstand des verfahrensrechtlichen Geheimnisschutzes gemacht werden. Vielmehr muss es sich um eine Information handeln, die aus Sicht einer vernünftigen Partei Bezug zum Streitstoff hat. Hierzu zählen nach dem Vorstehenden nicht nur Informationen zur Anspruchsbegründung, sondern auch diejenigen Informationen, die der Gegner zum Zwecke der Verteidigung zum Streitstoff machen möchte (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander, 39. Aufl. 2021, GeschGehG § 16 Rn. 25; BeckOK GeschGehG/Gregor, 8. Ed. 15.3.2021, GeschGehG § 16 Rn. 21).
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