Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22. Mai 2024 (Aktenzeichen: 4 StR 503/23) befasst sich mit der rechtlichen Bewertung eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB.
Sachverhalt
Das Landgericht Dresden hatte den Angeklagten K. unter anderem wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr verurteilt. Der Angeklagte versuchte, einer Polizeikontrolle zu entgehen, indem er sein Fahrzeug beschleunigte und auf den Gehweg lenkte, wodurch zwei Polizeibeamte gezwungen waren, zur Seite zu springen, um nicht verletzt zu werden.
Rechtliche Analyse
Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB)
Der BGH hob die Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr auf. Gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB wird ein Fahrzeugführer nur dann bestraft, wenn er das Fahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt. Dies bedeutet, dass der Täter den Verkehrsvorgang pervertieren und bewusst in die Sicherheit des Straßenverkehrs eingreifen muss:
Ein vorschriftswidriges Verhalten im fließenden Verkehr wird von § 315b StGB nur erfasst, wenn ein Fahrzeugführer das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren“, und es ihm darauf ankommt, hierdurch in die Sicherheit des Straßenverkehrs einzugreifen.
Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert zudem, dass durch den tatbestandsmäßigen Eingriff Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2023 – 4 StR 481/22 Rn. 31; Beschluss vom 11. November 2021 – 4 StR 134/21 Rn. 4; Beschluss vom 19. November 2020 ‒ 4 StR 240/20 Rn. 26; Beschluss vom 24. Oktober 2017 ‒ 4 StR 334/17 Rn. 3 f. und Beschluss vom 20. Oktober 2009 ‒ 4 StR 408/09 Rn. 4). Bei Vorgängen im fließenden Verkehr muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Absicht ferner hinzukommen, dass das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wurde (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2023 – 4 StR 481/22 Rn. 31; Beschluss vom 11. November 2021 – 4 StR 134/21 Rn. 4; Beschluss vom 16. März 2010 – 4 StR 82/10 Rn. 10; Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 237; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315b Rn. 9a mwN).
Subjektiver Tatbestand
Das Landgericht hatte den subjektiven Tatbestand teilweise nicht festgestellt und auch nicht beweiswürdigend unterlegt. Der Angeklagte hatte das Fahrzeug primär als Fluchtmittel genutzt, um sich der Polizeikontrolle zu entziehen. Es fehlte an der Feststellung, dass der Angeklagte das Fahrzeug bewusst als Nötigungsmittel einsetzte, um die Polizeibeamten zu gefährden. Zudem wurden keine tragfähigen Belege für einen bedingten Schädigungsvorsatz des Angeklagten erbracht:
Mangels näherer Feststellungen zur Distanz zwischen dem Fahrzeug und den Polizeibeamten sowie zu deren Sprung
vermag der Senat die Überzeugung des Landgerichts davon, dass der Angeklagte nicht ernstlich auf das Ausbleiben einer Kollision vertraute, nicht nachzuvollziehen. Dies gilt umso mehr, als es der Erfahrung entspricht, dass Polizeibeamte Kraftfahrern, die eine Polizeisperre durchbrechen wollen, ausweichen und Täter im Allgemeinen mit derartigen Fluchtreaktionen rechnen
Anforderungen an die Beweiswürdigung
Der BGH betonte, dass für einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr bei einem Vorgang im fließenden Verkehr ein bewusst zweckwidriger Einsatz des Fahrzeugs sowie ein bedingter Schädigungsvorsatz erforderlich sind. Es muss erkennbar sein, dass der Täter nicht ernsthaft auf das Ausbleiben einer Kollision vertraut hat. Die bloße Möglichkeit der Gefährdung reicht nicht aus.
Fazit und Auswirkungen
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht die hohen Anforderungen an die Feststellung eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Es muss klar nachgewiesen werden, dass der Täter das Fahrzeug bewusst zweckwidrig und mit Schädigungsvorsatz einsetzte. Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis, da sie die Anforderungen an die Beweisführung und die Differenzierung zwischen Fluchtverhalten und verkehrsfeindlicher Einstellung präzisiert.
Gerichte und Strafverteidiger müssen bei der Bewertung solcher Fälle sorgfältig die subjektive Tatseite und die konkreten Umstände des Tatgeschehens prüfen.
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