Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (9 L 541/14) hat entschieden, dass das Passivrauchen von Cannabis den Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertigen kann. Denn, so die Logik des Gerichts: Hält sich ein gelegentlicher Cannabis-Konsument in einem Raum auf, in dem andere erkennbar erheblich Cannabis konsumieren, liegt auch in einem sog. passiven Konsum ein bewusster Konsum.
Hinweise:
- Mit Rechtsprechung des BVerwG aus dem Jahr 2019 ist allerdings vor der Entziehung der Fahrerlaubnis erst eine MPU anzuordnen!
- Allgemeines zum Entzug der Fahrerlaubnis bei unwissentlichem Drogenkonsum
Passiver Konsum und aktiver Konsum von Drogen sind unterschiedlich zu bewerten
Die Entscheidung liegt – wie so häufig – an den Umständen des Einzelfalls. Das Verwaltungsgericht weist erst einmal darauf hin, dass grundsätzlich zwischem aktivem Konsum und passivem Konsum zu unterscheiden ist:
Die rechtliche Erwägung, das bloße Passivrauchen von Cannabis sei im Hinblick auf das Zusatzelement des unzureichenden Trennungsvermögens anders zu bewerten als der aktive Konsum dieses Betäubungsmittels, beruht auf der Überlegung, dass bei einem lediglich passiven Cannabiskonsum dieser dem Betroffenen weniger angelastet werden kann, weil er sich der oralen oder inhalativen Aufnahme der psychoaktiv wirkenden Substanz Tetrahydrocannabinol unter Umständen nicht bewusst war. Diesem Fahrerlaubnisinhaber kann nicht ohne weiteres vorgehalten werden, er sei in charakterlich-sittlicher Hinsicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr ungeeignet, weil er in Kenntnis des Cannabiskonsums und der dadurch bedingten Möglichkeit der Beeinträchtigung seiner fahreignungsrelevanten Eigenschaften und der erheblichen Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt und damit das vorrangige öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs den eigenen Interessen untergeordnet habe.
So ausdrücklich VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Mai 2004 – 10 S 427/04 –, ESVGH 54, 209 = juris Rn 7.
Ausnahme: Vorsätzliches Passivrauchen
Der durchschnittliche Konsument wird sich nun an den Kopf greifen, aber tatsächlich hat sich das Verwaltungsgericht hier nun im Ergebnis auf die Fahne geschrieben, dass das „vorsätzliche Passivrauchen“ anders zu behandeln sein soll. Denn wer trotz Kenntnis des (hier massiven) Konsums anwesend bleibt, der soll nicht privilegiert werden:
Ein solcher Fall der unbewussten Einnahme von Cannabis ist vorliegend aber nicht gegeben. Nach seinen eigenen Angaben war sich der Antragsteller der erheblichen inhalativen Aufnahme von Cannabis durchaus bewusst. In der mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren 9 K 1660/14 gab er an, er habe sich zwei Stunden in einem ca. 12 m² kleinen Wohnzimmer aufgehalten, in dem – von ihm wahrgenommen – alle anderen Personen in erheblichem Umfang Cannabis konsumierten. Ein Fahrerlaubnisinhaber, der – wie der Antragsteller– nicht erstmals mit Cannabis in Berührung kommt, sondern – wie er selbst zugibt – zumindest gelegentlicher Konsument dieses Betäubungsmittels ist, muss sich aber darüber im Klaren sein, dass er sich durch einen zweistündigen Aufenthalt in einer sehr stark cannabishaltigen Atmosphäre dem Risiko aussetzt, allein durch das Einatmen der mit Cannabis durchsetzten Luft sich eine erhebliche Menge von Cannabinoiden zuzuführen. Ein Fahrerlaubnisinhaber, der in solcher Kenntnis der erheblichen inhalativen Aufnahme von Cannabinoiden durch den Aufenthalt in einer stark cannabishaltigen Atmosphäre ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt und damit den öffentlichen Straßenverkehr gefährdet, ist wegen seiner unzureichenden Trennungsbereitschaft fahrungeeignet.
So ausdrücklich VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Mai 2004 – 10 S 427/04 –, ESVGH 54, 209 = juris Rn 7.
Streit ums Passivrauchen
Es ist übrigens nicht so selten, dass jemand seine Testergebnisse mit Passivrauchen erklären möchte. Üblicherweise wird dann darum gestritten, ob durch Passivrauchen überhaupt der jeweilige Wert erreicht werden kann, was Gerichte gerne kritisch sehen. Auch in der vorliegenden Entscheidung hält das Gericht damit nicht gerade hinterm Berg:
Offenbleiben kann dabei im Ergebnis, ob durch reinen passiven inhalativen Konsum überhaupt ein THC-Wert im Blutserum von 2,3 ng/ml und ein THC-COOH-Wert von 50 ng/ml Blutserum hervorgerufen werden kann. Dies gilt umso mehr, als dass der behauptete passive Konsum am Vortag geschehen sein soll, also jedenfalls 18 Stunden zurücklag. Dahinstehen kann auch, ob der von dem Antragsteller behauptete passive Konsum überhaupt stattgefunden hat, woran das Gericht durchgreifende Zweifel hat.
Der hier begangene Weg erspart dem Gericht Überlegungen zur Frage, ob überhaupt ein Passivkonsum stattgefunden hat: Wenn die „Umstände“ passen, wertet man den Passivkonsum schlicht als faktisches aktives Konsumieren.
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