Feststellungen zur Schuldfähigkeit im Strafprozess

Der (BGH) hat am 13. Februar 2024 im Beschluss 5 StR 561/23 ein Urteil des Landgerichts Hamburg teilweise aufgehoben: Der Angeklagte war wegen und anderer Delikte verurteilt worden, doch der BGH sah Mängel in der Schuldfähigkeitsprüfung. Diese Entscheidung beleuchtet die rechtlichen Anforderungen an die Beurteilung der Schuldfähigkeit und die Rolle psychiatrischer Gutachten in solchen Verfahren.

Sachverhalt

Der Angeklagte, ein 25-jähriger Mann mit diagnostizierter Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Autismus-Spektrum-Störung (Asperger-Syndrom), wurde wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen, vorsätzlicher , Vergewaltigung und sexueller zu mehreren Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Das Landgericht Hamburg folgte in seiner Entscheidung den Einschätzungen eines psychiatrischen Sachverständigen, der keine erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten feststellte.

Rechtliche Analyse

  1. Grundlagen der Schuldfähigkeitsprüfung:
    Die Schuldfähigkeit eines Angeklagten muss vom Gericht eigenständig geprüft und bewertet werden. Dies umfasst die Beurteilung, ob zum Tatzeitpunkt eine krankhafte seelische Störung, tiefgreifende Bewusstseinsstörung, Schwachsinn oder eine schwere andere seelische Störung vorlag, die die Fähigkeit zur Einsicht oder Steuerung erheblich beeinträchtigte (§§ 20, 21 StGB).
  2. Fehler in der Schuldfähigkeitsprüfung:
    Der BGH bemängelte, dass das Landgericht keine eigene Prüfung und Bewertung der Schuldfähigkeit des Angeklagten vorgenommen hatte. Stattdessen hatte es sich ausschließlich auf das Gutachten des Sachverständigen gestützt. Eine eigenständige rechtliche Würdigung der Frage, ob die festgestellte Störung die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt erheblich beeinträchtigte, fehlte.
  3. Anforderungen an die Begründung:
    Wird eine schwere andere seelische Störung diagnostiziert, die Symptome von beträchtlichem Gewicht aufweist, muss das Gericht besonders sorgfältig begründen, warum dennoch keine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit vorlag. Der BGH betonte, dass eine solche Störung typischerweise zur Verminderung der Schuldfähigkeit führt und eine gegenteilige Entscheidung detailliert begründet werden muss.
  4. Konkretisierung und Widerspruchsfreiheit:
    Das Gericht muss darlegen, wie sich die festgestellte Störung konkret auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der jeweiligen Tatsituation ausgewirkt hat. Dies beinhaltet eine nachvollziehbare und widerspruchsfreie Darstellung der Auswirkungen der Störung auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit.
  5. Ergänzende Hinweise des BGH:
    Der BGH wies darauf hin, dass das neue Tatgericht konkrete Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens des Angeklagten feststellen müsse, die über die angeklagten Delikte hinausgehen. Zudem sei die tatbezogene Ausprägung der Störung in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise konkret darzulegen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass geplantes und geordnetes Vorgehen nicht zwingend gegen eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit spricht.

Fazit

Die Entscheidung des BGH im Fall 5 StR 561/23 unterstreicht die hohen Anforderungen an die Schuldfähigkeitsprüfung in Strafverfahren. Gerichte müssen psychiatrische Gutachten kritisch und eigenständig prüfen und ihre Entscheidungen zur Schuldfähigkeit detailliert begründen.

Insbesondere bei der Annahme schwerer seelischer Störungen sind konkrete und umfassende Darlegungen erforderlich, um sicherzustellen, dass die rechtlichen Kriterien für eine verminderte Schuldfähigkeit korrekt angewendet werden. Diese Entscheidung bietet wichtige Klarstellungen für die Praxis der Schuldfähigkeitsbewertung und die Anforderungen an gerichtliche Urteilsbegründungen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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