Mit Beschluss vom 19. Dezember 2024 (2 StR 389/24) hob der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main auf, das zwei Angeklagte wegen versuchten Totschlags verurteilt hatte. Grund für die Aufhebung war ein Verstoß gegen § 189 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), da die in der Hauptverhandlung tätigen Dolmetscher nicht vereidigt worden waren. Die Entscheidung verdeutlicht, welche Bedeutung der ordnungsgemäßen Übersetzung in Strafprozessen zukommt und welche Konsequenzen formelle Fehler für ein Verfahren haben können.
Sachverhalt
Das Landgericht Frankfurt am Main hatte zwei Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung für schuldig befunden. Der Angeklagte S. erhielt eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten, während der Angeklagte J. zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt wurde. Beide legten Revision ein.
Der Angeklagte S., der der deutschen Sprache nicht mächtig war, machte geltend, dass die für ihn tätigen Dolmetscher für die paschtunische Sprache nicht vereidigt gewesen seien. Während der mehrtägigen Hauptverhandlung übersetzten zwei Dolmetscher abwechselnd für ihn, ohne dass das Gericht ihre allgemeine Beeidigung überprüfte oder sie individuell vereidigte.
Der Angeklagte J. rügte hingegen eine unzureichende Beweiswürdigung durch das Landgericht, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob er tatsächlich mit Tötungsvorsatz gehandelt hatte.
Rechtliche Analyse
1. Die Bedeutung der Dolmetschervereidigung in Strafverfahren
Nach § 189 Abs. 1 GVG ist jeder Dolmetscher in der Hauptverhandlung zwingend zu vereidigen. Eine Ausnahme besteht nur, wenn der Dolmetscher bereits allgemein beeidigt ist und sich ausdrücklich darauf beruft. Die Beeidigung dient dazu, den Dolmetscher auf seine besondere Verantwortung für die korrekte Übersetzung hinzuweisen und ihm die Tragweite seiner Tätigkeit bewusst zu machen.
Im vorliegenden Fall hatten die Dolmetscher jedoch fälschlicherweise behauptet, allgemein beeidigt zu sein. Das Landgericht überprüfte dies nicht und verzichtete auf eine individuelle Vereidigung. Damit lag ein klarer Verfahrensfehler vor.
2. Auswirkungen des Verfahrensfehlers auf das Urteil
Der BGH stellte fest, dass das Urteil auf der fehlenden Vereidigung beruhte. Ein Verstoß gegen § 189 GVG ist zwar kein absoluter Revisionsgrund, führt aber regelmäßig zur Aufhebung des Urteils, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein vereidigter Dolmetscher sorgfältiger übersetzt hätte.
In Ausnahmefällen kann ein Urteil trotz fehlender Vereidigung Bestand haben, wenn andere Umstände die Zuverlässigkeit der Übersetzung belegen. Solche „Qualitätssurrogate“ waren hier jedoch nicht ersichtlich, da die Dolmetscher nicht nur formell, sondern auch materiell nicht beeidigt waren.
3. Fehlerhafte Beweiswürdigung
Neben der Dolmetscherproblematik hob der BGH das Urteil auch hinsichtlich des Angeklagten J. auf, weil die Beweiswürdigung unzureichend war. Das Landgericht hatte J. eine Mittäterschaft über § 25 Abs. 2 StGB (sukzessive Mittäterschaft) zugerechnet, ohne sich mit entlastenden Umständen auseinanderzusetzen.
Besonders problematisch war, dass J. versucht hatte, die Situation zu deeskalieren und weitere Gewalt zu verhindern. Zudem fehlten Feststellungen dazu, ob er überhaupt erkannte, dass seine eigenen Handlungen eine tödliche Wirkung haben könnten.
Der BGH kritisierte zudem, dass das Landgericht ein verkürztes Urteil nach § 267 Abs. 4 StPO abgefasst hatte, obwohl die Beweiswürdigung in diesem Fall eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Tatumständen erforderte.
Fazit
Die Entscheidung des BGH zeigt die strengen formellen Anforderungen an Strafverfahren. Die fehlende Vereidigung von Dolmetschern stellt einen erheblichen Verfahrensfehler dar, der regelmäßig zur Aufhebung eines Urteils führt. Zudem verdeutlicht das Urteil die hohen Anforderungen an die Beweiswürdigung bei Mittäterschaftskonstellationen. Das Verfahren muss nun vor einer anderen Strafkammer neu verhandelt werden – dieses Mal mit ordnungsgemäß vereidigten Dolmetschern und einer umfassenderen Beweiswürdigung.
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