Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) vom 7. August 2024 (5 A 885/21) rückt ein sensibles Thema in den Fokus: die erkennungsdienstliche Behandlung von Heranwachsenden. Im zugrunde liegenden Fall wurde ein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln (20 K 960/20) abgelehnt. Der Beschluss beleuchtet die rechtlichen Maßstäbe, unter denen die erkennungsdienstliche Behandlung zulässig ist, und liefert wertvolle Einblicke in die Bewertung der Verhältnismäßigkeit und Prognoseentscheidungen bei jungen Menschen.
Sachverhalt
Ein Heranwachsender war durch eine jugendliche Verfehlung in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden geraten. Im Raum stand die Frage, ob die erkennungsdienstliche Behandlung – wie das Erfassen von Fingerabdrücken oder das Anfertigen von Lichtbildern – gerechtfertigt sei. Die Vorinstanz hatte die Maßnahmen bestätigt, woraufhin der Kläger im Berufungsverfahren deren Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit infrage stellte.
Rechtliche Würdigung
Erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 81b StPO
Die Grundlage für die erkennungsdienstliche Behandlung ergibt sich aus § 81b Abs. 1 2. Alt. der Strafprozessordnung (StPO). Nach dieser Vorschrift ist eine erkennungsdienstliche Behandlung zulässig, wenn sie zur „Gefahrenabwehr“ oder „Aufklärung zukünftiger Straftaten“ erforderlich ist. Dabei muss eine Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an der Verbrechensbekämpfung und dem Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person erfolgen.
Verhältnismäßigkeit der Maßnahme
Das OVG NRW hat im Beschluss betont, dass die Maßnahme nur dann gerechtfertigt ist, wenn eine hinreichende Prognose besteht, dass der Betroffene auch künftig straffällig werden könnte. Die reine Möglichkeit einer erneuten Straftat genügt nicht – vielmehr sind konkrete Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr erforderlich. Im vorliegenden Fall sah das Gericht keine überzeugenden Argumente, die gegen die Annahme einer zukünftigen Gefährdung sprachen. Es stellte zudem klar, dass das jugendliche Alter des Betroffenen allein kein Ausschlusskriterium für die Maßnahme darstellt.
Persönlichkeitsrecht versus Sicherheitsinteressen
Besonders herausfordernd bei der Beurteilung solcher Fälle ist die Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Heranwachsenden und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte ist im Grundgesetz (Art. 2 Abs. 1 GG) verankert und wiegt bei jungen Menschen besonders schwer, da sie sich in einer prägenden Entwicklungsphase befinden. Das Gericht betonte jedoch, dass dieses Recht nicht uneingeschränkt gilt, wenn gewichtige öffentliche Interessen, wie die Prävention von Straftaten, betroffen sind.
Anforderungen an den Antrag auf Berufungszulassung
Neben den materiell-rechtlichen Aspekten beleuchtet der Beschluss auch prozessuale Anforderungen. Für eine Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO müssen erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung dargelegt werden. Dies umfasst insbesondere eine substantiierte Auseinandersetzung mit der Prognoseentscheidung des Gerichts – eine Anforderung, die im vorliegenden Fall nicht erfüllt wurde.
Implikationen für die Praxis
Bedeutung für die Jugendstrafrechtspflege
Der Beschluss verdeutlicht, dass die erkennungsdienstliche Behandlung nicht automatisch bei jeder jugendlichen Verfehlung angeordnet werden darf. Vielmehr sind die individuellen Umstände des Einzelfalls – insbesondere die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten – entscheidend. Für die Jugendstrafrechtspflege bedeutet dies, dass eine stärkere Differenzierung erforderlich ist, um unverhältnismäßige Eingriffe in die Rechte junger Menschen zu vermeiden.
Prävention und Datenschutz
Die Entscheidung zeigt auch die Bedeutung des Datenschutzes im Spannungsfeld zwischen Sicherheitsinteressen und Persönlichkeitsrechten auf. Erkennungsdienstliche Daten sollten nur dann erhoben werden, wenn ein klarer Mehrwert für die Kriminalitätsbekämpfung besteht und der Eingriff verhältnismäßig ist.
Fazit
Der Beschluss des OVG NRW zum Thema erkennungsdienstliche Behandlung von Heranwachsenden zeigt das Spannungsfeld von Sicherheitsinteressen und Persönlichkeitsrechten. Er macht deutlich, dass staatliche Maßnahmen sorgfältig abgewogen und rechtlich fundiert sein müssen, insbesondere wenn sie junge Menschen betreffen.
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