EncroChat, europäische Rechtshilfe und die Reichweite von § 261 StPO

BGH zur Beweisverwertung in einem Geldwäscheverfahren: Die Diskussion um die Verwertbarkeit von -Daten bleibt ein Brennglas für grundsätzliche Fragen des Strafverfahrensrechts: Wie weit reicht die Bindung des Gerichts an den „Inbegriff der “? Welche Maßstäbe gelten bei der Beweisverwertung ausländischer Daten, wenn diese auf Grundlage europäischer Ermittlungsanordnungen übermittelt wurden? Und: Ist der Zeitpunkt der Verwertung oder der der Beweiserhebung entscheidend, wenn es um die Frage der Verhältnismäßigkeit geht?

Der Beschluss des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 13. Februar 2025 (Az. 5 StR 491/23) gibt auf all diese Fragen klare und dogmatisch fundierte Antworten – und hebt zugleich das freisprechende Urteil des Landgerichts Hamburg in einem Geldwäscheverfahren auf, weil das Gericht ein rechtsfehlerhaft angenommenes zu Grunde gelegt hatte.

Der Fall: Geldwäsche durch Verwahrung von Drogengeldern – gestützt auf EncroChat-Kommunikation

Die Angeklagte war vom Landgericht Hamburg vom Vorwurf der Geldwäsche freigesprochen worden. Die Strafkammer hielt die Verwendung der über EncroChat gewonnenen Kommunikationsinhalte für unzulässig. Dabei handelte es sich um verschlüsselte Kurznachrichten, die französische Ermittlungsbehörden im Rahmen eines eigenen Strafverfahrens erhoben und anschließend – auf Grundlage europäischer Ermittlungsanordnungen – den deutschen Behörden zur Verfügung gestellt hatten.

Konkret ging es darum, dass die Angeklagte 100.000 Euro Bargeld aus einem Marihuana-Geschäft ihres Lebensgefährten aufbewahrt und teilweise verwendet haben soll. Die Kommunikation über EncroChat enthielt Hinweise, dass sie über Herkunft und Zweck des Geldes informiert war. Das Landgericht verweigerte jedoch die inhaltliche Verwertung dieser Nachrichten und argumentierte, die Beweisverwertung sei unzulässig, da die ihr angelastete Geldwäsche nicht zu den Katalogtaten des § 100b Abs. 2 zähle, die eine solche tiefgreifende Überwachung rechtfertigen würden.

Der hebt diese Entscheidung auf – und stellt fest, dass das Landgericht den zentralen Beweis, der in die Hauptverhandlung eingeführt worden war, unter Verstoß gegen § 261 StPO nicht verwertet habe.

Dogmatische Schärfung: § 261 StPO verpflichtet zur Berücksichtigung aller eingeführten Beweise

Zentraler Ausgangspunkt der Entscheidung ist der Grundsatz des „Inbegriffs der Hauptverhandlung“ (§ 261 StPO). Er verpflichtet das Gericht, alle ordnungsgemäß eingeführten Beweise bei seiner Überzeugungsbildung zu berücksichtigen. Ausnahmen davon – etwa in Form von Beweisverwertungsverboten – sind nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Regelung oder in gravierenden Einzelfällen anzunehmen. Das Landgericht hatte einen solchen Fall angenommen, weil es meinte, dass die EncroChat-Daten für das gegenständliche Verfahren wegen Geldwäsche nicht mehr verwendet werden dürften – eine Annahme, die der BGH nicht teilt.

Entscheidend ist für den Senat, dass die Daten nicht von deutschen Behörden selbst erhoben wurden, sondern durch französische Ermittlungsbehörden und auf Basis französischen Rechts. Die Frage, ob diese Daten in einem deutschen Strafverfahren verwertet werden dürfen, richtet sich ausschließlich nach deutschem Recht – und konkret danach, ob die deutschen Ermittlungsbehörden die Daten rechtmäßig erhalten haben und ob sie mit dem ursprünglich verfolgten Tatverdacht zusammenhängen. Das war hier der Fall.

Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hatte – gestützt auf Europäische Ermittlungsanordnungen – die Übermittlung der EncroChat-Daten durch das Strafgericht Lille erwirkt. Diese Übermittlung war nach Maßgabe der europäischen 2014/41/EU rechtmäßig. Der Verdacht bezog sich auf bandenmäßigen Drogenhandel – eine unstreitige Katalogtat im Sinne von § 100b Abs. 2 StPO. Dass sich der Verdacht gegen die Angeklagte später nicht in dieser Schwere bestätigte und letztlich nur ein Geldwäschevorwurf übrigblieb, ändert nichts daran, dass die ursprüngliche Beweisgewinnung und auch ihre spätere prozessuale Verwendung rechtmäßig waren.

Keine zeitlich gestaffelte Verwertungsgrenze

Ein besonders wichtiger Aspekt des Urteils ist die Klarstellung, dass für die Verwertbarkeit nicht auf den Zeitpunkt der richterlichen Bewertung in der Hauptverhandlung abzustellen ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob im Zeitpunkt des Erlasses der Ermittlungsmaßnahme ein hinreichender Verdacht für eine Katalogtat vorlag – was durch die Inhalte der EncroChat-Kommunikation auch für die Angeklagte gegeben war. Der BGH weist explizit darauf hin, dass ein späterer Rückgang der Verdachtslage – etwa weil sich die Tat als rechtlich weniger gravierend herausstellt – die bereits rechtmäßig erhobenen Beweise nicht entwertet. Andernfalls wäre eine effektive Verfolgung organisierter Kriminalität kaum möglich, da Ermittlungsmaßnahmen stets unter Unsicherheiten hinsichtlich ihrer künftigen gerichtlichen Bewertung stehen.

Europäische Ermittlungsanordnung und innerstaatliche Wertung

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Verhältnis zwischen europäischem Recht und deutschem Strafverfahrensrecht. Die Richter stellen klar, dass eine europäische Ermittlungsanordnung auch dann rechtmäßig ist, wenn sie Beweismittel betrifft, die bereits im Besitz ausländischer Behörden sind – und dass dabei lediglich ein hypothetisch vergleichbarer innerstaatlicher Fall vorliegen muss. Dabei geht es nicht darum, ob sämtliche Bedingungen der deutschen Beweiserhebung erfüllt wären, sondern nur darum, ob der Empfang und die Verwendung dieser Daten in einem innerstaatlichen Verfahren zulässig wären. Die Antwort war hier eindeutig: Die Verwendung wäre auch nach § 161 StPO, der die Befugnis zur Beweisanforderung regelt, möglich gewesen.

Entsprechend gilt: Ein Beweisverwertungsverbot kann aus der Tatsache, dass die EncroChat-Daten ursprünglich durch eine Maßnahme gegen andere Personen gewonnen wurden, nicht hergeleitet werden. Solange die erlangten Erkenntnisse dieselbe prozessuale Tat betreffen, steht ihrer Verwertung nichts entgegen.

Ergebnis

In der Kernaussage markiert die Entscheidung des Bundesgerichtshofs einen weiteren Meilenstein in der Fortentwicklung des deutschen Beweisverwertungsrechts im Kontext digitaler Ermittlungen und internationaler Rechtshilfe. Sie bekräftigt die Bindung des Gerichts an den Inbegriff der Hauptverhandlung und setzt ein klares Signal gegen verfahrensverkürzende Interpretationen von Verwertungsverboten, die auf einer späteren Umqualifizierung der Tat basieren.

Für die Praxis bedeutet das: Wo Beweise rechtmäßig – auch im Ausland – erhoben und korrekt eingeführt wurden, sind sie vom Gericht zu würdigen. Das Strafverfahren verliert sonst seine verlässliche Struktur. Der Fall zeigt zugleich, wie zentral die präzise dogmatische Arbeit an den Schnittstellen von Europarecht, Beweisrecht und technikgestützter Strafverfolgung heute geworden ist – und wie wenig Raum dabei für verfahrensökonomische Abkürzungen bleibt.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung.
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht - zertifizierter Experte in Krisenkommunikation & Cybersecurity)
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