In der aktuellen c’t (Ausgabe 4/2011, S.34, hier einzusehen) findet sich ein Artikel zur „Gebotsabschirmung“ bei eBay. Es handelt sich dabei um eine sehr schädliche Masche nach folgendem Muster: Ein Artikel steht bei eBay bei einem Preis von X Euro (zB 200 Euro). Unser „Betrüger“ bietet nun X+300 Euro (500 Euro), letztlich aber steht der Artikel danach bei X+1 Euro (201 Euro, ein Gebotsschritt höher). Nun wird von einem zweiten Account X+800 Euro (1000 Euro) geboten. Ob dieser Account ein Fake-Account des „Betrügers“ ist oder einfach ein Bekannter, mag dahin gestellt sein. Der Artikel steht danach jedenfalls bei X+301 Euro (501 Euro (das erste Gebot wird um einen Gebotsschritt erhöht).
Die Idee dahinter, die laut c’t auch funktionieren soll: Wenn man so bei Artikeln vorgeht, kann man den Preis hoch treiben auf ein Niveau, das uninteressant ist. Da man aber innerhalb von einer Stunde, auch bis kurz vor Gebotsende noch, sein Gebot zurückziehen kann, kann unser „Betrüger“ nun hingehen und das letzte (überzogene) Gebot kurz vor Auktionsende zurückziehen. Ergebnis: Kurz vor Auktionsende stürzt der Preis auf das erste Gebot ab (im Beispiel 201 Euro) und der Kaufvertrag kommt günstiger zustande als vielleicht zu erwarten war.
Die Masche ist gar nicht so neu, im eBay-Forum habe ich dazu einen Beitrag aus dem Jahr 2007 gefunden. Das Fazit dort:
Aber rein rechtlich gesehen hat der Höchstbietende den Anspruch auf den Artikel zu einem Höchstpreis, da Sie beim einstellen eines Artikels damit einverstanden sind, dass ein Artikel zum Höchstpreis verkauft wird.
Da gruselt es natürlich und im Ergebnis muss man dem widersprechen. Die Frage ist: Wie sieht es juristisch aus? Dabei ist der obige Sachverhalt erst einmal zu unterstellen, in der Praxis werden Sie durchaus Probleme haben, diesen Ablauf wirklich nachzuweisen. Im Regelfall werden Sie Indizien sammeln können, eine gute Darstellung dessen findet sich in der c’t am angegebenen Ort.
Zivilrechtlich, wenn ihr neues iPhone für 70 Euro den Inhaber gewechselt hat, werden Sie den Vertrag nicht erfüllen wollen. Die Frage lautet für Sie also vornehmlich: Wie komme ich aus dem Vertrag raus? Und viele haben inzwischen davon gehört, dass man „Kaufverträge bei Irrtum oder Täuschung anfechten kann“. Das mag für Laien so OK sein, tatsächlich aber fechten Sie keinen Kaufvertrag, sondern ihre Willenserklärung an. Das hat einige Konsequenzen, denn der Anfechtungsgrund muss in der Willenserklärung liegen, nicht irgendwo „drumherum“.
Das zeigt sich schon beim Blick auf den §119 I BGB, dem Irrtum, dort lesen Sie:
Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.
Wenn Sie sich nun den Ablauf einer eBay-„Auktion“ ansehen, ergibt sich da schnell ein Problem: Sie geben beim Einstellen des Artikels ihre Willenserklärung – ein Angebot – ab. Was danach läuft, geschieht ohne ihr Zutun, insbesondere der „Zuschlag“ nach Zeitablauf. Ob und wie viele Gebote eingehen, hat mit ihrem Angebot nichts zu tun. Einen Irrtum werden Sie hier nicht vorfinden. Anfechtbarkeit wegen Irrtums? Eher nicht.
Kommen wir zur „Täuschung“, geregelt im §123 BGB, da lesen Sie:
Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.
Mit dem Blick nach oben schwant da Übles: Die Willenserklärung liegt im Angebot, das Abschirmen hat damit aber nichts zu tun. Durch das Abschirmen wurden Sie nicht derart getäuscht, dass Sie bewegt wurden, überhaupt erst ihr Angebot abzugeben. Genau genommen hat das Abschirmen mit ihrer Entscheidung, den Artikel einzustellen, gar nichts zu tun. Anfechtung wegen Täuschung? Insofern wohl auch eher nicht. Ich denke, an diesem Punkt kann man gut widersprechen mit dem Argument, wer bei eBay Angebote einstellt, tut dies in der Erwartung, dass Bieter sich an die eBay-Grundsätze halten (die eine derartige Gebotsrücknahme ausdrücklich untersagen). Streng genommen hat die einseitige Erwartung in die AGB-Treue anderer allerdings nichts mit einer Täuschung zu tun (die eine Einwirkung auf den Willensprozess fordert). Hier wird man aber durchaus gut vertreten können, dass jeder bei der zwingenden eBay-Registrierung zusichert, die eBay-Regeln einzuhalten und dass dies auch der Grund ist, warum man vertrauensvoll sein Angebot bei eBay einstellt. Ich habe gewisse Probleme ein derart antizipiertes täuschen zu konstruieren, möchte aber nicht ausschliessen, dass man den Weg gehen würde.
Nun ist das Thema damit keinesfalls „durch“. Interessant kann z.B. die Frage sein, ob man eine – auch berechtigte – Gebotsrücknahme als Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach §313 BGB ansehen kann. Ebenso kann man sinnieren, ob man vielleicht ein gesetzliches Verbot sieht, das hier umgangen wird (dann greift §134 BGB), ob man das ganze als Sittenwidrig einstuft (dann greift §138 BGB) und natürlich wird man zum unvermeidlichen §242 BGB gelangen (Verstoss gegen den Grundsatz von Treu und Glauben). Man sieht bis hier: Im absoluten Notfall würde man – wie auch immer – aus der Sache rauskommen. Es ist aber noch einfacher.
Die eBay-AGB sagen in §10 Nr.1 ausdrücklich:
Nach einer berechtigten Gebotsrücknahme kommt zwischen dem Mitglied, das nach Ablauf der Auktion aufgrund der Gebotsrücknahme wieder Höchstbietender ist und dem Anbieter kein Vertrag zustande. Anbieter und Höchstbietender können sich einigen, dass ein Vertrag zustande kommt.
Sprich: Eine berechtigte Gebotsrücknahme zerschiesst die gesamte Auktion, ein Vertrag soll nicht zustande kommen. Interessant, das nur am Rande, ist, dass eBay ausdrücklich darauf verweist, dass nur eine „gesetzliche Berechtigung“ zur Gebotsrücknahme ausreicht. Die auf den eBay-Seiten aufgezählten Gründe zur Gebotsrücknahme sind insofern nur als beispielhafte Konkretisierung der gesetzlichen Lage zu verstehen.
Im Ergebnis kommt also kein Kaufvertrag zu Stande. Ende gut, alles Gut? Was ist von dem Hinweis zu halten, man solle „Strafanzeige erstatten“, hat das Aussicht auf Erfolg?
Strafrechtlich denkt man sicherlich als erstes an den Betrug (§263 StGB). Ohne das im Detail auseinander zu nehmen: Der Betrug setzt die „Erregung eines Irrtums“ voraus. Aber: Wer soll hier irren? Nach Angabe des Angebots arbeitet alles vollautomatisch mit einem Computerscript. Man mag überlegen, ob durch die Rücknahme des Angebots der Verkäufer glaubt, es gäbe insgesamt kein besseres Gebot als das fingiert niedrige, das erscheint mir aber zu weit gegriffen. Interessanter wird es da, auf den Computerbetrug zu sehen (§263a StGB), den man – wider Erwarten – bei eBay eher selten antrifft.
Der relevante Tatbestand des Computerbetrugs (von mir zusammengekürzt) lautet wie folgt:
Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs durch […] unbefugte Einwirkung auf den Ablauf beeinflußt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Dass hier zielgerichtet der Ablauf und Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs beeinflusst wird, liegt auf der Hand. Annehmen kann man das schlicht bei jeder Eingabe von Daten in einen Datenverarbeitungsprozess. Entscheidend ist das Merkmal „unbefugt“ und die Frage, ob oben geschildertes Verhalten darunter zu verstehen ist. Bei der Auslegung dieses Merkmals gibt es eine Fülle von Ansichten.
Die engste Auslegung verlangt, dass ein entgegenstehender Wille des Rechtsgutsinhabers sich im Programm niedergeschlagen haben muss und gezielt umgangen wird. Hier kann man verschiedener Ansicht sein: Einmal ist durchaus vertretbar, festzustellen, dass die Gebotsrücknahme nun einmal eine vorgesehene Möglichkeit ist und eben davon auch Gebrauch gemacht wird. Andererseits – für mich überzeugender – ist zu erkennen, dass schon auf Grund der Programmstruktur, der Gestaltung des Auktionsablaufs, die Gebotsrücknahme ein besonderer Ausnahmefall sein soll, der eben nicht dem Gutdünken der Nutzer anheim gestellt sein soll. Mit gutem Grund wird man hier auch mit der engsten Auslegung eine fehlende Befugnis annehmen können. Die weitere Auslegung (die übrigens herrschend Auffassung, u.a. beim BGH, ist) verlangt einen „Täuschungscharakter“, eine vorgespiegelte Berechtigung, die vorliegend ja gerade nicht vorliegt. Problemlos wird man auch hier die Unbefugheit annehmen können.
Im Ergebnis sehe ich gute Chancen eines Computerbetrugs, eine der seltenen Gelegenheiten, diesem Delikt bei eBay zu begegnen. Daneben wird man noch eine Kuriosität thematisieren können, jedenfalls wenn ein Account unter gefälschten Nutzerdaten eingerichtet wurde: Den §269 StGB (Zunehmend in solchen Fällen bejaht, dazu umfassend Petermann in JuS 2010, 774 und im Ergebnis zustimmend das KG Berlin, (4) 1 Ss 181/09 (130/09)).
Sofern eine Strafbarkeit bejaht wird, wird man recht unkompliziert zu evt. Schadensersatzansprüchen gelangen über §823 II BGB. Allerdings, und das ist hier zu betonen, wird es im Strafverfahren haarig werden, wenn man den Sachverhalt stichhaltig zusammenführen möchte. Die Kollusive Zusammenarbeit zwei verschiedener Beteiligter dürfte dabei nahezu unmöglich zu beweisen sein (ausser sie haben es über Monate hinweg quasi täglich gemacht), wenn jemand mit einem Fake-Account gearbeitet hat, dürfte es zumindest möglich sein. Im Ergebnis betrachte ich obige Erwägungen zur Strafbarkeit aber eher sehr theoretischer Natur mit dem Fazit: Eine Strafanzeige mag in der Theorie nicht aus der Luft gegriffen sein, in der Praxis aber nicht weit führen.
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