Deepfakes und Prüfpflichten: OLG Frankfurt verschärft Verantwortung von Hostprovidern

Die digitale Öffentlichkeit ist anfällig für Missbrauch – insbesondere durch täuschend echte -Videos. In einer bemerkenswerten Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Beschluss vom 04.03.2025 – 16 W 10/25) klargestellt, welche Prüfpflichten ein Hostprovider nach einem ersten Hinweis auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Dritte auf seiner Plattform trifft. Die Entscheidung markiert einen weiteren Schritt hin zu einer präziseren Verantwortungszuschreibung im Zeitalter algorithmischer Verbreitungsmechanismen.

Sachverhalt

Der Antragsteller sah sich durch zwei Videos auf einer von der Antragsgegnerin betriebenen Social-Media-Plattform in seinem allgemeinen verletzt. In den Beiträgen wurde unter Nutzung seines Namens, Bildes und einer nachgeahmten Stimme suggeriert, er werbe für Produkte zur Gewichtsabnahme. Tatsächlich handelte es sich um Deepfake-Videos. Die Plattformbetreiberin entfernte ein erstes Video („Video 1“) nach Hinweis, ließ aber ein zweites, nahezu identisches („Video 2“) online. Der Antragsteller begehrte im Wege der einstweiligen Verfügung ein Verbot der Verbreitung solcher Inhalte.

Das Landgericht Frankfurt wies den Antrag zurück, das OLG Frankfurt hob diese Entscheidung teilweise auf und bestätigte in Teilen die Prüfpflicht der Plattformbetreiberin auch für sinngleiche Inhalte.

Rechtliche Analyse

1. Prüfpflicht ab Kenntnis – auch für kerngleiche Inhalte

Grundsätzlich haften Hostprovider nicht für fremde Inhalte (§§ 7–10 TMG, Art. 6 DSA). Die zentrale Einschränkung: Sobald ein Dienst Kenntnis von einem rechtswidrigen Inhalt erhält, muss er nicht nur diesen entfernen, sondern auch eigenständig nach sinngleichen Inhalten suchen. Das OLG Frankfurt bestätigte, dass die Plattformbetreiberin – nach dem Hinweis auf das erste Deepfake – verpflichtet war, nicht nur dieses, sondern auch inhaltlich vergleichbare Beiträge zu prüfen und ggf. zu sperren.

Damit bestätigt das Gericht ausdrücklich die Linie des EuGH in der Entscheidung Glawischnig-Piesczek/Facebook Ireland (EuGH, GRUR 2019, 1208), wonach sich diese Pflicht auf inhaltlich identische und sinngleiche Beiträge erstreckt, solange diese durch automatisierte Verfahren identifiziert werden können.

2. Zumutbarkeit der Maßnahmen

Die Plattformbetreiberin hatte argumentiert, dass eine autonome rechtliche Prüfung nicht automatisiert erfolgen könne. Das OLG entgegnete, dass es nicht auf eine vollständige juristische Bewertung ankomme, sondern auf die Fähigkeit, mittels KI sinngleiche Inhalte zumindest vorzufiltern. Da der Betreiberin solche technischen Mittel zur Verfügung standen – und sie diese auch gerichtsbekannt einsetzte –, wurde eine weitergehende Prüfpflicht für zumutbar erklärt. Letztlich wurde dann die bekannte Rechtsprechung zur in dem Umfeld rekurriert:

Grundsätzlich ist als mittelbarer Störer verpflichtet, wer, ohne unmittelbarer Störer zu sein, in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Beeinträchtigung des Rechtsguts beiträgt. Dabei kann als Beitrag auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügen, sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte (vgl. BGH, GRUR 2016, 104, Rn. 34 – Artikel auf Internetportal „recht§billig“; BGH, GRUR 2012, 311 – Blog-Eintrag, m.w.N.). Die Haftung als mittelbarer Störer darf nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, welche die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben. Sie setzt deshalb die Verletzung von Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfpflichten, voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als mittelbaren Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen des Einzelfalls eine Verhinderung der Verletzung zuzumuten ist (BGH, GRUR 2012, 311 – Blog-Eintrag; BGH, GRUR 2004, 860 – Internetversteigerung I; BGH, GRUR 2008, 702, Rn. 50 – Internetversteigerung III, BGH, GRUR 2016, 855, Rn. 22 – jameda.de m.w.N.).

Danach ist ein Hostprovider zur Vermeidung einer Haftung als mittelbarer Störer grundsätzlich nicht verpflichtet, die von den Nutzern in das Netz gestellten Beiträge vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Er ist aber verantwortlich, sobald er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt. Weist ein Betroffener den Hostprovider auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch den Nutzer seines Angebots hin, kann der Hostprovider verpflichtet sein, künftig derartige Störungen zu verhindern (BGH, GRUR 2012, 311 – Blog-Eintrag; BGH, GRUR 2016, 855, Rn. 23 – jameda.de m.w.N.).

Wird eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten behauptet, wird sich eine Rechtsverletzung allerdings nicht stets ohne Weiteres feststellen lassen. Denn sie erfordert eine Abwägung zwischen dem Recht des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs.1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und dem durch Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK geschützten Recht jedenfalls des Providers auf Meinungs- und Medienfreiheit. Ist der Provider mit der Beanstandung eines Betroffenen konfrontiert, die so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer bejaht werden kann, ist eine Ermittlung und Bewertung des gesamten Sachverhalts unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den beanstandeten Beitrag Verantwortlichen erforderlich (BGH, GRUR 2012, 311 – Blog-Eintrag; BGH, GRUR 2016, 855, Rn. 24 – jameda.de m.w.N.).

3. Bestimmtheit des Unterlassungsantrags

Bemerkenswert ist auch die dogmatisch saubere Beurteilung der Bestimmtheit (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ). Der Antrag beschränkte sich nicht auf ein pauschales Verbot, sondern bezog sich konkret auf bestimmte URLs und Verletzungsformen. Der Senat akzeptierte dies als ausreichend bestimmt – eine Abkehr von einer Überdehnung der Prüfpflichten ist damit ebenfalls gewährleistet.

4. Auswirkungen des DSA?

Das Oberlandesgericht Frankfurt (Beschluss vom 04.03.2025 – 16 W 10/25) stellt ausdrücklich fest, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung des mittelbaren Störers mit den neuen Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 DSA (Digital Services Act) vereinbar ist.

Insoweit gilt: Mit ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haftet ein sogenannter „mittelbarer Störer“ nur dann, wenn er nach Kenntnis von einer konkreten Rechtsverletzung Prüf- und Handlungspflichten verletzt hat. Ein Hostprovider muss demnach Inhalte, die von Nutzern stammen, nicht proaktiv überwachen, wohl aber reagieren, wenn er konkret auf eine Rechtsverletzung hingewiesen wird. Das OLG bejaht die Kompatibilität dieser Grundsätze mit Art. 6 Abs. 1 DSA:

  • Art. 6 Abs. 1 DSA regelt, dass Hostingdienste nicht haften, wenn sie
    • keine tatsächliche Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten haben,
    • und nach Kenntniserlangung unverzüglich tätig werden, um die Inhalte zu sperren oder zu entfernen.

Das OLG Frankfurt betont insoweit:

Diese Rechtsprechung des Bundesgerichthofs zur Haftung des mittelbaren Störers steht auch in Einklang mit den Vorgaben des nunmehr geltenden Art. 6 Abs. 1 DSA.

Sowohl der BGH als auch der DSA gehen davon aus, dass ein konkreter Anlass (z. B. ein ausreichend bestimmter Hinweis durch einen Betroffenen) erforderlich ist, damit Prüfpflichten ausgelöst werden. Der Diensteanbieter muss dann nicht die gesamte Plattform durchforsten, sondern gezielt auf sinngleiche Inhalte reagieren – vorausgesetzt, diese lassen sich ohne tiefgreifende juristische Wertung (z. B. mit KI-gestützter Vorfilterung) erkennen. Die Argumentation des OLG Frankfurt ist juristisch stringent: Die bewährte Struktur der mittelbaren Störerhaftung bleibt auch unter der Geltung des DSA tragfähig. Sie wird durch europäisches Recht nicht verdrängt, sondern vielmehr bestätigt und systematisch eingeordnet. Damit entsteht ein kohärentes Zusammenspiel zwischen nationalem Unterlassungsrecht und europäischem Haftungsprivileg für Hosting-Anbieter.


Fazit

Die Kernaussage des Beschlusses des OLG Frankfurt (Az. 16 W 10/25) lautet: Plattformen, die einmal auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung hingewiesen wurden, müssen aktiv werden – und zwar auch gegenüber sinngleichen Inhalten. Die Zumutbarkeit wird dabei an tatsächlichen technischen Möglichkeiten gemessen, nicht an formalen Einwänden.

Für Hostprovider bedeutet dies eine Ausweitung ihrer Sorgfaltspflichten – für Betroffene digitaler Rufschädigung hingegen ein effektiverer Rechtsschutz. Der Beschluss setzt Maßstäbe für den Umgang mit Deepfakes und algorithmischer Verbreitung auf sozialen Plattformen – und verschiebt die Grenze der Neutralität digitaler Intermediäre in Richtung proaktiver Verantwortung.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!
Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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