Telefonlisten: Das Anrufen von Richtern gefährdet die öffentliche Sicherheit

Es gibt keinen Anspruch auf Kenntnisnahme der Telefonliste eines Gerichts nach dem Informationsfreiheitsgesetz.

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts NRW (8 A 1943/13) fordert einfach zu bissigem Spott heraus, dabei ist sie im Kern durchaus diskutabel, denn der Ansatz ist keineswegs falsch oder zu verurteilen, auch wenn die Argumentation des Gerichts an einem ganz erheblichen Tatsachen- und Denkfehler krankt.

Es ging darum, dass ein Rechtsanwalt die Durchwahlnummern zu den Richtern im Justizzentrum Aachen erhalten wollte. Als er diese nicht erhielt, klagte er die Herausgabe der Telefonliste des Justizzentrums ein, gestützt auf das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen. Das Verwaltungsgericht Aachen (8 K 532/11) hatte der noch stattgegeben, das OVG hat das Begehr dann in der Berufung zurückgewiesen.

Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht von Interesse, da sie Grundlagen des Informationsfreiheitsgesetzes NW behandelt. Schade ist, dass nicht thematisiert wurde, ob überhaupt eine Herausgabe der richtige Weg ist oder nicht mitunter eine reine Gewährung der Einsichtnahme ausreichend wäre. Auf eine künstliche Differenzierung zwischen Verwaltungstätigkeit und Tätigkeit der Rechtsprechung lässt sich das OVG glücklicherweise nicht ein, sondern stuft kurzerhand die Telefonliste als amtliche Information ein, zu der auch grundsätzlich der Zugang zu gewähren ist.

Nun kommt aber der entscheidende Aspekt: Das unmittelbare Anrufen der Richter, so das OVG NW, ist in der Lage die öffentliche Sicherheit zu gefährden. Der Richter am Telefon als gefährdete öffentliche Sicherheit, diese Wortwahl muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Gefährdung der öffentlichen Sicherheit

Wie zu Eingangs bemerkt: Es lädt einfach zu bissigem Spott ein, ist aber gleichwohl keineswegs so abwegig, wie es zuerst klingt. Man muss dazu in §6 S.1a InfoG NW blicken, wo man liest

Der Antrag auf Informationszugang ist abzulehnen, soweit und solange (…) das Bekanntwerden der Information die (…) öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere die Tätigkeit der Polizei, des Verfassungsschutzes, der Staatsanwaltschaften oder der Behörden des Straf- und Maßregelvollzugs einschließlich ihrer Aufsichtsbehörden beeinträchtigen würde (…)

Da steht im Kern alles: Das Gesetz definiert bereits „die Tätigkeit“ bestimmter Behörden als solche als Unterfall der öffentlichen Sicherheit. Und wenn „die Tätigkeit“ auch nur gefährdet werden würde, dann ist auch die öffentliche Sicherheit gefährdet. Hier setzt nun das OVG an und führt aus, warum das unerwartete angerufenwerden des Richters diesen Fall betrifft:

An eine „Beeinträchtigung“ der öffentlichen Sicherheit sind keine hohen Anforderungen gestellt. Im Unterschied zu § 6 Satz 1 Buchst. b IFG NRW setzt der hier einschlägige Buchst. a keine erhebliche Beeinträchtigung voraus, sondern lässt eine einfache Beeinträchtigung genügen. Eine solche liegt vor, wenn nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgut konkret zu erwarten sind. (…)

Im Streitfall würde es die Funktionsfähigkeit des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 6 Satz 1 Buchst. a IFG NRW beeinträchtigen, wenn die Telefondurchwahlnummern der Richterinnen und Richter Dritten zugänglich gemacht würden. Dazu ist nicht erforderlich, dass das Gericht seiner Funktion überhaupt nicht mehr gerecht werden könnte, also die gerichtliche Arbeit im Ganzen „lahm gelegt“ würde. Nachteilige Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit staatlicher Stellen sind vielmehr schon dann gegeben, wenn deren organisatorische Vorkehrungen zur effektiven Aufgabenerledigung gestört werden und die Arbeit der betroffenen Amtsträger dadurch beeinträchtigt bzw. erschwert wird. (…)

Die Erhaltung der aufgabengemäßen Funktionsfähigkeit umfasst auch die Verhinderung und Abwehr äußerer Störungen des Arbeitsablaufs. Das Funktionieren der Gerichte und Behörden hängt – nicht anders als bei Selbstständigen oder in der sonstigen Privatwirtschaft – entscheidend auch von der effektiven Organisation der Arbeitsabläufe ab. Es ist Aufgabe der staatlichen Stellen, im Rahmen der rechtlichen Vorgaben durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die ihnen zugewiesenen Aufgaben mit den zur Verfügung stehenden personellen und sächlichen Mitteln sachgerecht und effektiv erledigt werden können.

Dazu gehört auch die Möglichkeit, Telefonanrufe sachgerecht so zu steuern, dass ein effektives Arbeiten sichergestellt wird. Es ist eine allgemeine Erkenntnis der Arbeitspsychologie, dass anspruchsvolle, schöpferische Leistungen nicht oder nur schwer möglich sind, wenn der Arbeitsfluss durch Telefonanrufe unterbrochen wird und der Angerufene jeweils eine gewisse Zeit braucht, um sich wieder in die unterbrochene Arbeit hineinzufinden und seine volle Konzentration zu erreichen. Ungefilterte, direkte Telefonanrufe werden deshalb als erheblicher Störfaktor für konzentriertes Arbeiten angesehen. Nicht die Kommunikation als solche ist eine „Störung“, sondern die des Arbeitsablaufs zu jedem beliebigen Zeitpunkt und aus jedem beliebigen Anlass. Vielfach werden deshalb sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Dienst die Durchwahlnummern nicht „nach außen“ bekannt gegeben, sondern lediglich eine oder mehrere Sammelnummern für das jeweilige Sekretariat oder die jeweilige Geschäftsstelle. Es ist deshalb auch in Anwaltskanzleien oder Arztpraxen überwiegend üblich, dass Anrufe zunächst über das Sekretariat geleitet werden. Bei Gerichten kommt es darüber hinaus auch immer wieder zu wiederholten Anrufen von Personen mit querulatorischer Neigung.

Die Entscheidung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts Aachen, Durchwahlnummern von Richtern nicht allgemein bekannt zu geben, sondern lediglich die Telefonnummern der Service-Einheiten, dient dem Ziel, ein effektives und störungsfreies Arbeiten sicherzustellen. Anrufer sollen gezielt geführt, ihre Telefonanrufe nach sachlichen Anliegen sortiert und fachkompetent beantwortet werden. Dies ist eine wichtige Aufgabe der Service-Einheiten der Gerichte. Sie sollen bestimmte Anfragen selbstständig beantworten und andere Anrufe je nach Anliegen und Erreichbarkeit der Richter weiterleiten. Die Service-Einheiten können auch Auskunft dazu geben, wann ein Richter zu erreichen ist oder ob er momentan z. B. durch eine Beratung an der Annahme von Anrufen gehindert ist.

Durch die Herausgabe der Telefonliste wird die bewusste, im Interesse der Arbeitseffizienz getroffene Maßnahme, dass Richter nicht unmittelbar von jedem angerufen werden sollen, vereitelt. Der geltend gemachte Informationszugangsanspruch zielt darauf, die gerichtsintern vorgesehenen Arbeitsabläufe zu umgehen und den direkten Zugang zum Richter zu erreichen. Damit wird nicht mehr der freie Informationszugang zu staatlichen Dokumenten im Sinne einer besseren Kontrolle der Staatstätigkeit und einer höheren Transparenz des staatlichen Handelns angestrebt, sondern die gerichtsinterne Arbeitsorganisation soll umgangen werden.

Da steht nun viel richtiges, ganz viel falsches und teilweise wurde einfach etwas Lebenswirkliches vergessen. Man mag mutmaßen, ob diese Fehler tatsächlich versehentlich unterlaufen sind, oder ob hier einfach zielgerichtet „zur Rettung“ des eigenen Alltags gearbeitet wurde.

Bevor nun mitlesende Richter sich ungerecht behandelt fühlen: Natürlich ist es vollkommen richtig, was das Gericht zum Arbeitsablauf ausführt, insbesondere dazu, dass auch wir Anwälte dafür sorgen, in Ruhe arbeiten zu können. Wenn man mitten in einem Arbeitsablauf steckt braucht man schlichtweg nicht das klingelnde Telefon. Und das gilt für Ärzte genauso wie für Anwälte und Richter, keine Diskussion.

Doch genau hier beginnt der erste Denkfehler: Es geht schliesslich um eine Telefonliste. Und die macht nur Sinn, wenn sie – wie das Gericht selber festgestellt hat – zumindest intern Verwendung findet. Man ist also durch das Verheimlichen der Liste nicht vor Störungen geschützt, sondern nur durch Störungen von außen. Feststellungen dazu, wie sich hier eine Quote verhält gibt es nicht, die Ausführungen zu Störungen durch Bürger gehen sowieso an der Sache vorbei, da es um die Einsichtnahme eines Rechtsanwalts geht. Dabei wäre dann zu prüfen, ob die Einsichtnahme an ein Organ der Rechtspflege ggfs. mit der Auflage der Nicht-Weitergabe kombiniert werden kann und ob dies dann anders zu behandeln ist als die Anfrage eines Bürgers (im Rahmen der Prüfung ob eine Gefährdung vorliegt). All das unterlässt das OVG, was ich als schwerwiegenden Fehler betrachte.

Weiterhin hat das OVG vor der Tatsache, dass man betont hat wie wichtig der uneingeschränkt Störungsfreie Arbeitsablauf ist, fehlerhaft nicht geprüft, ob der jeweilige Richter sein Telefon sperren kann und damit Anrufe von sich aus unterbinden kann. Vielleicht sogar Hausexterne Anrufe zielgerichtet sperren kann. Solche Funktionen bieten alle modernen Systemtelefone und es war ein gravierender Fehler, hier keinerlei Feststellungen zu treffen. Dabei ist daran zu denken, dass es hier um ein Verwaltungsverfahren geht, also nicht der Beibringungsgrundsatz wie im Zivilprozess gilt. Spätestens hier ist die Entscheidung schlicht zu kurz und drängt den Verdacht auf, dass man (nachvollziehbar!) Ruhe haben wollte und die Entscheidung dann ergebnisorientiert formuliert hat.

Würde man diese Punkte sauber prüfen, könnte gleichwohl die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Raum stehen, ich kritisiere hier nicht zwingend das Ergebnis, sondern vielmehr die schlechten Ausführungen des OVG Dabei ist dann auch zu sehen, dass im Gesetz nicht nur steht, dass die Störung des Arbeitsablaufs eine Gefährdung darstellt, sondern schon die Aussicht dass die Tätigkeit gestört werden würde – man kann auf dem Weg also tatsächlich zu einem entsprechenden Ergebnis kommen.

Personenbezogene Daten

Zu Recht stuft das OVG die Liste als ein und verweist auf die Rechtsprechung zur Interessenabwägung:

Bei den im Telefonverzeichnis unter Namensnennung eingetragenen dienstlichen Telefonnummern handelt es sich um personenbezogene Daten im Sinne des § 3 Abs. 1 DSG NRW (…) Der in Buchst. e genannten Ausnahmetatbestand ist ebenfalls nicht erfüllt. Danach greift der Schutz personenbezogener Daten als Ablehnungsgrund nicht ein, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Kenntnis der begehrten Informationen geltend macht und überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Person der Offenbarung nicht entgegenstehen. Insoweit hat der Kläger schon kein rechtliches Interesse an der Kenntnis der begehrten Telefonnummern geltend gemacht. Ein rechtliches Interesse erfordert nach der Rechtsprechung des Senats, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit Rechtsverhältnissen des Auskunftsbegehrenden besteht. Die Kenntnis der Daten muss zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich sein.

Dagegen lässt sich nichts sagen, insbesondere wenn man bedenkt, dass das Interesse des Anrufers sich im jeweiligen Fall auf eine konkrete Person bezieht, die Liste aber alle vorhandenen Personen erfasst. Da muss man nicht lange diskutieren: Selbst bei einer allgemeinen Interessenabwägung ist nicht zu erkennen, warum bei einer derartigen Schieflage das Interesse des die Information begehrenden überwiegen sollte.

Es gibt aber einen anderen Aspekt: Mit §9 Abs.3 IFG NW ist hinsichtlich personenbezogener Daten folgendes zu beachten:

Dem Antrag auf Informationszugang soll in der Regel stattgegeben werden, soweit sich die Angaben auf Namen, Titel, akademischen Grad, Berufs- und Funktionsbezeichnung, Büroanschrift und Rufnummer beschränken und die betroffene Person als Amtsträger an dem jeweiligen Vorgang mitgewirkt hat (…)

Auch damit kann man schon begrifflich nicht erreichen, alle Telefonnummern zu erhalten. Aber die Kenntnisnahme der einen Rufnummer des einen hiermit befassten Richters ist damit durchaus eröffnet. Dies war aber nicht Verfahrensgegenstand.

Fazit

Eine wichtige Entscheidung, deren Ergebnis man durchaus teilen kann und hierbei auch ernsthaft und offen die Argumnte zum Arbeitsablauf würdigen sollte. Inhaltlich aber geht es am entscheidenden Punkt in eine falsche Richtung, die Entscheidung ist in der Begründung unvollständig und aus meiner Sicht eindeutig Ergebnisorientiert. Dabei ist die Stellung des Anwalts als „Organ der Rechtspflege“ nicht nur Floskel, sondern auch in diesem Zusammenhang zwingend zu berücksichtigen. Solange Entscheidungen in diesem Bereich das nicht tun, darf man sich nicht wundern, wenn es Spott hagelt.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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