BVerfG zur medizinischen Zwangsbehandlung bei Patientenverfügung

Wieder einmal konnte sich das BVerfG zur medizinischen Zwangsbehandlung äussern, diesmal zum Verhältnis zur Patientenverfügung. Dabei hebt das BVerfG hervor, dass jede medizinische Behandlung einer Person gegen ihren natürlichen Willen in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingreift. Dieses Grundrecht schützt die körperliche Integrität der Person und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht. Zu seinem traditionellen Gehalt gehört der Schutz gegen eine staatliche Zwangsbehandlung. Der in der medizinischen Zwangsbehandlung einer untergebrachten Person, etwa mit Neuroleptika liegende Grundrechtseingriff, wiegt dabei besonders schwer.

Aber: Ungeachtet der besonderen Schwere des mit ihr verbundenen Grundrechtseingriffs kann die Zwangsbehandlung einer untergebrachten Person natürlich dennoch gerechtfertigt sein:

Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten

Der Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten der untergebrachten Person stellt insoweit mit dem BVerfG keinen geeigneten Rechtfertigungsgrund dar, weil dieser auch dadurch gewährleistet werden kann, dass die Person unbehandelt im Maßregelvollzug verbleibt. Zur Rechtfertigung können jedoch die Grundrechte anderer Personen innerhalb der Maßregelvollzugseinrichtung herangezogen werden. Ein weiterer Verbleib des Betroffenen in der Maßregelvollzugseinrichtung kann diejenigen Personen nicht schützen, die ihm dort begegnen. Die aus den Grundrechten dieser Personen folgenden Schutzpflichten können einen Rechtfertigungsgrund für eine Zwangsbehandlung darstellen. Auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse der untergebrachten Person selbst können eine staatliche Schutzpflicht auslösen, die eine Zwangsbehandlung zu rechtfertigen vermag.

Abwägung vor Zwangsbehandlung

Eine Zwangsbehandlung darf als letztes Mittel aber nur eingesetzt werden, wenn mildere Mittel nicht (mehr) in Betracht kommen und eine weniger in die Grundrechte des Betroffenen eingreifende Behandlung mithin aussichtslos ist. Weiterhin ist erforderlich, dass der Betroffene krankheitsbedingt nicht einsichtsfähig ist oder sich nicht einsichtsgemäß verhalten kann und dass der Behandlung der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgegangen ist, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erlangen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fordert darüber hinaus, dass die Zwangsbehandlung im Hinblick auf das Behandlungsziel, dem sie dient, Erfolg verspricht und der zu erwartende Nutzen den möglichen Schaden einer Nichtbehandlung sowie die mit der Maßnahme verbundene Beeinträchtigung deutlich überwiegt.

Patientenverfügung hindert Zwangsbehandlung

Neu nun ist, dass eine Zwangsbehandlung zum Schutz der Grundrechte der untergebrachten Person dann nicht gerechtfertigt werden kann, wenn diese sie im Zustand der Einsichtsfähigkeit wirksam ausgeschlossen hat:

Sofern Betroffene mit freiem Willen über medizinische Maßnahmen zur Erhaltung oder Besserung der eigenen Gesundheit entscheiden können, besteht keine Schutz- und Hilfsbedürftigkeit, die Voraussetzung für eine staatliche Schutzpflicht ist. Der Einzelne ist grundsätzlich frei, über Eingriffe in seine körperliche Integrität und den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Diese Freiheit ist Ausdruck der persönlichen Autonomie des Einzelnen und als solche durch das allgemeine aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Dieses Grundrecht verstärkt durch die Inbezugnahme der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG den Gewährleistungsgehalt der körperlichen Unversehrtheit zu einer „Freiheit zur Krankheit“ und verleiht ihm dadurch ein besonderes Gewicht. Die Freiheitsgrundrechte schließen das Recht ein, von der Freiheit einen Gebrauch zu machen, der in den Augen Dritter den wohlverstandenen Interessen des Grundrechtsträgers zuwiderläuft. Das schließt die „Freiheit zur Krankheit“ und damit das Recht ein, auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn diese nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt sind und deren Unterlassen zum dauerhaften Verlust der persönlichen Freiheit führen kann.

Das bedeutet, wenn der Betroffene im Zustand der Einsichtsfähigkeit die Ablehnung einer medizinischen Zwangsbehandlung wirksam verfügt hat, darf sich der Staat deshalb jedenfalls zum Schutz des Betroffenen im Maßregelvollzug über diese Disposition nicht hinwegsetzen. Die Schutzpflicht des Staates tritt gegenüber dem Betroffenen insoweit zurück, so das BVerfG.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht.