BGH zur Steuerhinterziehung durch Umsatzsteuerbetrugsketten

Mit Beschluss vom 19. Februar 2025 (1 StR 482/24) hat der (BGH) ein Urteil des Landgerichts Bochum teilweise aufgehoben, das sich mit der strafrechtlichen Aufarbeitung von Umsatzsteuerhinterziehung im Zusammenhang mit sogenannten Umsatzsteuerbetrugsketten befasste. Die Entscheidung bietet aufschlussreiche Einblicke in die Anforderungen, die an die Feststellungen des Tatgerichts in Fällen der gestellt werden. Zugleich rückt sie ein strafrechtsdogmatisch und wirtschaftlich relevantes Phänomen in den Fokus: den organisierten Umsatzsteuerbetrug mittels Briefkastenfirmen.

Sachverhalt

Der Angeklagte war und Mehrheitsgesellschafter einer , die im Handel mit Speichermedien tätig war. Im Zeitraum von April bis Dezember 2018 ließ er das Unternehmen in eine betrügerische Umsatzsteuerstruktur einbinden. Über Rechnungen zweier faktisch nicht lieferfähiger Firmen – die lediglich als Briefkastenfirmen fungierten – wurde Vorsteuer geltend gemacht, obwohl keine tatsächlichen Lieferbeziehungen bestanden. Der Angeklagte erkannte die fehlende Verfügungsmacht dieser Gesellschaften, nahm aber dennoch die von ihnen ausgestellten Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis entgegen und machte die darin enthaltene Vorsteuer geltend.

Rechtliche Würdigung

Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen vollendeter sowie versuchter Steuerhinterziehung in insgesamt neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Der BGH hob das Urteil jedoch in acht Fällen sowie im Strafausspruch auf. Die Begründung: Das Landgericht habe die für eine sachgerechte rechtliche Prüfung notwendigen Feststellungen nicht in hinreichendem Maße getroffen.

Insbesondere kritisiert der BGH, dass die Kammer nur einen Ausschnitt aus den jeweiligen Umsatzsteuervoranmeldungen wiedergab – nämlich den zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuerbetrag – ohne dabei die vollständige Saldierung mit den übrigen steuerpflichtigen Umsätzen der GmbH zu erfassen. Da das Unternehmen auch reguläre Umsätze, etwa aus dem Verkauf von Mobiltelefonen und der Vermittlung von Telekommunikationsverträgen, erzielte, sei es erforderlich gewesen, die jeweiligen Steuererklärungen vollständig darzustellen. Nur so könne beurteilt werden, ob eine zu niedrige Zahllast erklärt oder ein zustimmungspflichtiges Vorsteuerguthaben erschlichen wurde.

Zudem verweist der Senat auf die ständige Rechtsprechung, wonach bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO der „wesentliche Inhalt“ der abgegebenen Steuererklärung festzustellen ist, insbesondere der Umfang steuerpflichtiger Umsätze und der geltend gemachten Vorsteuerbeträge. Fehlen diese Angaben, sei nicht erkennbar, ob überhaupt eine im Sinne des § 370 AO vorliege.

Die Entscheidung markiert einen wichtigen Referenzpunkt für künftige Verfahren im Bereich der Steuerhinterziehung mit komplexen Gestaltungsmissbräuchen. Sie verdeutlicht, dass das Strafgericht bei wirtschaftsstrafrechtlichen Sachverhalten nicht nur steuerliche Grundkenntnisse, sondern auch ein tiefes Verständnis für die logische Struktur von Steuererklärungen aufbringen muss. Die Quintessenz lautet: Ohne präzise Feststellungen zu den Besteuerungsgrundlagen ist eine rechtssichere Verurteilung wegen Steuerhinterziehung nicht möglich. Diese dogmatisch fundierte Korrektur trägt zur Fortentwicklung des Steuerstrafrechts ebenso bei wie zur Sicherung rechtsstaatlicher Verfahrensstandards.


Analyse und Bewertung

Hier werden die hohen Anforderungen betont, welche die Rechtsprechung an die Darstellung der Besteuerungsgrundlagen in steuerstrafrechtlichen Urteilen stellt. Insbesondere wird deutlich, dass pauschale Feststellungen zur Steuerverkürzung nicht ausreichen, wenn komplexe betriebliche Strukturen und Mischformen aus legalen und illegalen Umsätzen vorliegen.

Darüber hinaus zeigt der Fall exemplarisch, welche Schwierigkeiten sich im Spannungsfeld von Steuerrecht und Strafrecht ergeben, wenn es um die Bewertung vermeintlich formaler Rechnungen geht, deren tatsächliche wirtschaftliche Substanz fehlt. Die Einordnung als „Briefkastenfirma“ ist nicht bloß ein beschreibendes Element, sondern entscheidend für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug im Sinne von § 15 UStG. Der BGH bestätigt insoweit erneut, dass das materielle Steuerrecht bei der strafrechtlichen Würdigung den maßgeblichen Prüfungsmaßstab liefert.

Bemerkenswert ist zudem, dass der BGH in seiner Entscheidung keinerlei Zweifel daran lässt, dass auch die fehlerhafte Beurteilung der Beweislage durch das Tatgericht ein revisionsrechtlich beachtlicher Mangel sein kann – selbst wenn die tatsächlichen Feststellungen an sich bestehen bleiben dürfen. Dies schärft das Bewusstsein für die differenzierte Rolle, die zwischen Tatsachen- und Werturteilen zu ziehen ist.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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