Am 11. September 2024 entschied der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH, 2 StR 498/23) über die Revisionen der Staatsanwaltschaft in einem Verfahren wegen Vergewaltigung. Das Urteil des Landgerichts Gera, das die Angeklagten freisprach, wurde teilweise aufgehoben und an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Der Fall wirft tiefgreifende Fragen zur rechtlichen Bewertung sexueller Handlungen unter Alkoholeinfluss und zur Beweiswürdigung auf.
Sachverhalt
Die beiden Angeklagten trafen in der Nacht des 8. August 2021 auf die erheblich alkoholisierte Nebenklägerin. Ob dieser Zustand durch eine Fremdeinwirkung (Verabreichung von „K.O.-Tropfen“) hervorgerufen wurde, konnte das Landgericht nicht klären.
Die Angeklagten brachten die Nebenklägerin in die Wohnung eines der beiden und hatten dort ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr. Die Nebenklägerin war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht in der Lage, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern. Die Angeklagten wurden jedoch freigesprochen, da das Landgericht Zweifel an den Tatvorwürfen hatte.
Rechtliche Analyse
1. Voraussetzungen des Tatbestands der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 StGB)
Der Straftatbestand setzt voraus, dass sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen der betroffenen Person vorgenommen werden oder diese in einem schutzlosen Zustand ist, der die freie Willensbildung und -äußerung ausschließt.
Problem 1: Alkoholisierung und „K.O.-Tropfen“
Das Landgericht hatte Zweifel daran, ob die Alkoholisierung tatsächlich zu einem Zustand der Schutzlosigkeit führte. Hier stellt sich die Frage, ob die Annahme eines entgegenstehenden Willens durch den objektiven Zustand der Nebenklägerin oder durch ihr Verhalten belegt werden muss.
Problem 2: Kenntnis der Angeklagten
Entscheidend ist auch, ob die Angeklagten die Schutzlosigkeit der Nebenklägerin erkannten oder hätten erkennen müssen. Hier hätte das Landgericht möglicherweise deutlicher auf Indizien eingehen müssen, wie etwa das Verhalten der Nebenklägerin vor und nach der Tat.
2. Beweiswürdigung
Die Aufhebung des Urteils durch den BGH basierte auf Mängeln in der Beweiswürdigung.
Problem 3: Widersprüchliche Aussagen
Die Nebenklägerin machte unterschiedliche Angaben, was ihre Handlungsfähigkeit und Erinnerung betrifft. Das Landgericht hätte intensiver prüfen müssen, ob diese Widersprüche durch äußere Einflüsse erklärbar sind oder die Glaubwürdigkeit generell infrage stellen.
Problem 4: Spurenauswertung
Das Urteil lässt offen, ob alle forensischen Befunde (z. B. DNA-Spuren) vollständig gewürdigt wurden. Unklar bleibt auch, ob der Zustand der Nebenklägerin medizinisch ausreichend untersucht wurde.
3. Fehlerhafte Adhäsionsentscheidung
Das Landgericht hatte über den Adhäsionsantrag (Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen) der Nebenklägerin nicht entschieden. Dies stellt einen Verfahrensmangel dar, der in der Neuverhandlung berücksichtigt werden muss.
Schlussfolgerung
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht die hohen Anforderungen an die Beweiswürdigung bei Sexualstraftaten. Das Landgericht hätte deutlicher herausarbeiten müssen, ob die Alkoholisierung der Nebenklägerin einen schutzlosen Zustand begründete und inwieweit die Angeklagten dies erkannten oder hätten erkennen müssen. Ebenso kritisch ist die unzureichende Würdigung der forensischen und medizinischen Beweise.
Die Rückverweisung gibt der neuen Strafkammer Gelegenheit, die offenen Fragen sachlich zu klären und eine tragfähige Grundlage für die Beurteilung des Sachverhalts zu schaffen. Dieses Urteil mahnt auch, dass bei komplexen Sexualstraftaten besondere Sorgfalt in der Beweisaufnahme und Würdigung geboten ist.
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