Mit Urteil vom 23. Januar 2025 (Az. 3 StR 149/24) hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs eine Entscheidung von erheblicher dogmatischer wie auch gesellschaftlicher Tragweite getroffen. Im Zentrum steht ein rechtsmotivierter Brandanschlag aus dem Jahr 1991 auf ein bewohntes Asylbewerberheim, bei dem ein Mensch getötet und zahlreiche weitere verletzt wurden. Die juristische Bewertung des Tatgeschehens durch das Oberlandesgericht Koblenz – insbesondere im Hinblick auf den Tötungsvorsatz, die Mordmerkmale sowie die Bemessung einer Jugendstrafe – wurde vom BGH in vollem Umfang bestätigt.
Tatgeschehen und rechtlicher Kontext
Der damals 20-jährige Angeklagte verübte in der Nacht vom 18. auf den 19. September 1991 einen Brandanschlag auf eine Unterkunft für Asylbewerber in Rheinland-Pfalz. Der Anschlag war motiviert durch eine fremdenfeindliche Gesinnung und gespeist von einem in der Skinhead-Szene verankerten Gewaltkult. Unter dem Eindruck der damaligen Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen wurde die Idee einer „Reinigung“ der örtlichen Verhältnisse in nationalistischer Rhetorik gerechtfertigt. Der Täter wollte das Heim unbewohnbar machen und die ausländischen Bewohner vertreiben – ihre mögliche Tötung nahm er billigend in Kauf.
Die Tat war gezielt geplant, ausgeführt mit einem Kanister Benzin, und hatte dramatische Folgen: Ein Bewohner erlitt tödliche Verbrennungen, andere sprangen aus Fenstern, zogen sich Brüche und andere Verletzungen zu. Das Gebäude brannte teilweise aus. Der Täter wurde vom Oberlandesgericht Koblenz wegen Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung und mit zwölf tateinheitlichen Fällen des versuchten Mordes verurteilt.
Bedingter Tötungsvorsatz im Fokus
Der BGH bestätigt zunächst die Feststellungen und Würdigung des Tatgerichts hinsichtlich des bedingten Tötungsvorsatzes. Dabei betont er die Notwendigkeit einer umfassenden Gesamtschau, die objektive Gefährlichkeit der Handlung, die konkrete Tatausführung, psychische Disposition des Täters sowie dessen Motivlage berücksichtigt. Für das Vorliegen eines Eventualvorsatzes genügt, dass der Täter den Erfolgseintritt als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigend in Kauf nimmt oder sich um eines übergeordneten Ziels willen damit abfindet.
In Bezug auf die Personen, die sich im Eckzimmer des Hauses aufhielten, verneinte das Gericht den Tötungsvorsatz, da der Täter davon ausging, diese würden wach sein, den Brand rechtzeitig bemerken und sich über den unverschlossenen Haupteingang oder ein Fenster retten können. Der BGH sieht hierin keinen Rechtsfehler, denn die Annahme, dass der Täter einen Todeseintritt bei diesen Personen für fernliegend hielt, ist im Rahmen der tatrichterlichen Beweiswürdigung plausibel hergeleitet.
Mordmerkmale: Heimtücke, gemeingefährliche Mittel, niedrige Beweggründe
Die tatbestandliche Qualifikation des vollendeten Mordes stützt sich auf drei Mordmerkmale, die der BGH bestätigt:
- Heimtücke lag vor, da die überwiegende Mehrheit der Bewohner in einem Moment arg- und wehrloser Nachtruhe angegriffen wurde. Die Tat war darauf ausgelegt, Überraschung und Wehrlosigkeit auszunutzen.
- Gemeingefährliche Mittel bejahte das OLG zu Recht: Die Verwendung eines Brandmittels in einem bewohnten Gebäude, ohne Kontrolle über die Ausbreitung, stellt ein typisches Beispiel eines gemeingefährlichen Tatmittels dar.
- Niedrige Beweggründe manifestierten sich in der rassistischen, menschenverachtenden Gesinnung des Täters. Ziel war nicht lediglich Sachbeschädigung, sondern die „Vertreibung“ der als minderwertig betrachteten Menschen. Der BGH macht deutlich, dass derartige Tatmotive als sittlich auf tiefster Stufe stehende Beweggründe einzuordnen sind – und damit „niedrig“ im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB.
Eine Grausamkeit der Tat – etwa aufgrund des qualvollen Todes des Opfers nach stundenlangem Überlebenskampf – hätte als viertes Mordmerkmal hinzutreten können. Der BGH sieht aber keinen Anlass, hierauf ausdrücklich abzustellen, da dies am Schuldspruch nichts geändert hätte.
Besonderheiten der Sanktionierung: Anwendung des Jugendstrafrechts
Trotz der Schwere der Schuld sprach das Gericht eine Jugendstrafe aus. Der Täter war zur Tatzeit noch Heranwachsender, das Verfahren wurde aber erst Jahrzehnte später abgeschlossen. Der BGH akzeptiert, dass dem Erziehungsgedanken – bei einem heute über 50-jährigen Angeklagten – keine dominante Rolle mehr zukommt. Gleichwohl ist die Anwendung des Jugendstrafrechts auf das Alter zum Tatzeitpunkt bezogen, weshalb eine Jugendstrafe grundsätzlich eröffnet ist (§§ 105 ff. JGG).
Das Urteil ist daher auch in der Strafzumessung revisionsfest. Eine etwaige Falschbelastung eines Dritten durch den Angeklagten wurde nicht strafschärfend gewertet – zu Recht, da die Grenzen zulässiger Verteidigung nicht überschritten wurden.
Signalwirkung und § 120 Abs. 2 GVG
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Feststellung des BGH, dass die Tat – auch mit Blick auf eine mögliche Nachahmungsgefahr – geeignet war, das Vertrauen in die innere Sicherheit der Bundesrepublik zu erschüttern und ein Klima der Angst zu schaffen. Dies rechtfertigte die Zuständigkeit des OLG als Staatsschutzsenat gemäß § 120 Abs. 2 Satz 1 GVG. Die explizite Bezugnahme auf das Bedrohungspotenzial rechter Gewalt gibt der Entscheidung eine klare kriminalpolitische Dimension.
Die Schlussfolgerung: Der Fall belegt nicht nur, wie sorgfältig Gerichte die Grenzen des Tötungsvorsatzes ausloten müssen, sondern auch, dass das Strafrecht auf rechtsextreme Gewalt mit klarer Dogmatik und normativer Entschiedenheit antworten kann. Die Verantwortung für solche Taten bleibt – unabhängig vom Zeitablauf – bestehen.
Ergebnis
Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Sie zeigt erstens die hohe Differenzierung, mit der Gerichte bei der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes vorgehen müssen – insbesondere bei Branddelikten, wo objektive Gefährdung und subjektive Inkaufnahme des Erfolgs nicht zwangsläufig deckungsgleich sind. Zweitens unterstreicht sie die Bedeutung der Mordmerkmale zur dogmatischen Einordnung von politisch motivierter Gewalt. Drittens verdeutlicht sie, dass auch Jahrzehnte alte Taten einer rechtsstaatlichen Aufarbeitung zugänglich sind – und dass strafrechtliche Sanktionierung auch dann noch legitim und notwendig ist, wenn Täter längst aus ihrer Szene ausgestiegen sind.
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