BGH zu verbotenen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge: Anforderungen an den Vorsatz

Zu den Anforderungen an den Vorsatz bei § 315d StGB hat der Bundesgerichtshof (Az. 4 StR 246/24) eine aktuelle Entscheidung getroffen: Die zentrale Frage war in diesem Verfahren, ob der Angeklagte bei einem tödlichen Unfall im Rahmen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit bedingtem Tötungs- oder Körperverletzungsvorsatz handelte oder ob lediglich Fahrlässigkeit vorlag.

Der BGH hob das Urteil des Landgerichts Landau in der Pfalz teilweise auf, weil die Feststellungen zur inneren Tatseite – insbesondere zur Frage des Vorsatzes – nicht den rechtlichen Anforderungen genügten. Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Sachverhalt

Der damals 19-jährige Angeklagte fuhr im Juli 2019 mit einem BMW 740d auf einer Bundesstraße in Rheinland-Pfalz. Die Straße war aufgrund eines vorangegangenen Starkregens nass, vereinzelt standen Pfützen auf der Fahrbahn.

An einer Ampel traf er auf einen anderen Fahrer mit einem hochmotorisierten Audi A8. Nachdem die Ampel auf Grün sprang, beschleunigte der Audi zunächst auf 120 km/h. Der Angeklagte folgte, wechselte die Spur und gab Vollgas. Sein Ziel war es, seine Mitfahrer zu beeindrucken.

Auf gerader Strecke erreichte er mindestens 179 km/h, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit nur 100 km/h betrug. Kurz vor einer leichten Linkskurve, in der die Geschwindigkeit auf 90 km/h begrenzt war, verlor er wegen Aquaplanings die Kontrolle über sein Fahrzeug.

Das Auto schleuderte, prallte gegen einen Baum und kam völlig zerstört zum Stillstand. Zwei Mitfahrer auf der Rückbank starben sofort. Ein dritter erlitt schwerste Verletzungen und ist dauerhaft pflegebedürftig. Der Beifahrer und der Angeklagte selbst überlebten mit Knochenbrüchen.

Das Landgericht Landau verurteilte den Angeklagten wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge (§ 315d Abs. 2, 5 StGB) in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) und schwerer Körperverletzung (§ 226 StGB) zu einer Jugendstrafe von vier Jahren. Gegen das Urteil legte der Angeklagte Revision ein und argumentierte, dass ihm kein Vorsatz hinsichtlich der Verletzungen seiner Mitfahrer nachgewiesen werden könne.

Rechtliche Würdigung durch den BGH

1. Anforderungen an den Vorsatz bei verbotenen Kraftfahrzeugrennen

Das Landgericht hatte festgestellt, dass der Angeklagte bedingten Verletzungsvorsatz hatte, weil ihm die „massive Gefährlichkeit seines Handelns“ bewusst gewesen sei. Der BGH hielt diese Feststellung für nicht tragfähig.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH setzt bedingter Vorsatz zwei Elemente voraus:

  • Wissenselement: Der Täter muss erkennen, dass seine Handlung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Folge (z. B. einen Unfall mit schweren Verletzungen) nach sich zieht.
  • Willenselement: Der Täter muss den Erfolg billigend in Kauf nehmen oder sich zumindest mit ihm abfinden.

Das Landgericht hatte zwar festgestellt, dass der Angeklagte mit hoher Geschwindigkeit unter riskanten Bedingungen fuhr, aber es hatte nicht ausreichend geprüft, ob er tatsächlich mit einer schweren Kollision rechnete oder darauf vertraute, dass nichts passieren würde.

2. Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit

Der BGH betonte, dass es bei extrem riskantem Verhalten im Straßenverkehr immer einer differenzierten Betrachtung bedarf.

Einerseits ist die objektive Gefährlichkeit eines Rennens ein starkes Indiz für Vorsatz. Andererseits spricht eine hohe Eigengefährdung des Täters oft gegen eine vorsätzliche Herbeiführung des Unfalls.

Das Landgericht hatte nicht ausreichend gewürdigt, dass der Angeklagte sich selbst erheblich in Gefahr brachte. Wenn ein Fahrer davon ausgeht, dass er ein riskantes Manöver unbeschadet übersteht, spricht das eher für bewusste Fahrlässigkeit als für Vorsatz.

3. Unzureichende Feststellungen zur subjektiven Tatseite

Ein weiteres Problem war, dass das Landgericht keine hinreichenden Feststellungen zu den Vorstellungen des Angeklagten im Tatmoment getroffen hatte.

  • War ihm bewusst, dass sich Aquaplaning in der Kurve bilden konnte?
  • Ging er davon aus, dass er das Fahrzeug noch kontrollieren könnte?
  • War ihm bewusst, dass er mit 179 km/h in eine Gefahrenstelle fuhr, oder vertraute er auf die technische Ausstattung seines Wagens?

Diese Fragen hätte das Landgericht umfassender untersuchen müssen. Weil die Feststellungen dazu fehlten, konnte der BGH nicht abschließend beurteilen, ob der Schuldspruch Bestand haben konnte.

Folgen für die Praxis

Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung von Autorennen mit tödlichem Ausgang:

  • Gerichte müssen Vorsatz und Fahrlässigkeit noch differenzierter prüfen.
  • Nicht jede extreme Raserei bedeutet automatisch bedingten Tötungs- oder Verletzungsvorsatz.
  • Hohe Eigengefährdung kann gegen Vorsatz sprechen, wenn der Täter ernsthaft darauf vertraut, den Unfall zu vermeiden.
  • Die subjektiven Vorstellungen des Fahrers müssen konkret ermittelt werden.

Fazit

Der BGH hat mit diesem Beschluss die Anforderungen an die Beweiswürdigung bei verbotenen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge weiter geschärft. Das Urteil des Landgerichts wurde teilweise aufgehoben, weil es den Vorsatz des Angeklagten nicht tragfähig begründet hatte. Die Sache wird neu verhandelt.

Diese Entscheidung zeigt, dass auch in Fällen rücksichtsloser Raserei Vorsatz nicht leichtfertig angenommen werden darf. Eine exakte Einzelfallprüfung bleibt unerlässlich, um zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz zu unterscheiden.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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