Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 29. Mai 2024 (3 StR 507/22) eine bedeutende Entscheidung zur Anwendung von Blankettstrafvorschriften und den damit verbundenen Herausforderungen getroffen.
Insbesondere ging es um die Problematik der Bezugnahme auf EU-Verordnungen im Rahmen des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und die rechtlichen Implikationen, die sich aus der zeitweiligen Anpassungslosigkeit nationaler Regelungen an europäisches Recht ergeben können. Diese Entscheidung ist von erheblicher Relevanz für die Praxis, da sie die Anforderungen an die Bestimmtheit von Strafvorschriften und die Bedeutung des Meistbegünstigungsprinzips (lex mitior) verdeutlicht.
Sachverhalt
Der Angeklagte war vom Landgericht Oldenburg wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht in einem Unternehmen gemäß § 130 Abs. 1 OWiG zu einer Geldbuße von 10.000 Euro verurteilt worden. Gegen dieses Urteil legten sowohl der Angeklagte als auch die Einziehungsbeteiligte Revision ein. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand die Frage, ob das Unterlassen einer Aufsichtsmaßnahme, die zur Verhinderung von Zuwiderhandlungen gegen Pflichten nach der EU-Anti-Folter-Verordnung hätte führen sollen, auch dann bußgeldbewehrt war, wenn die nationale Umsetzung dieser Verordnung zeitweilig lückenhaft war.
Rechtliche Analyse
Blankettvorschriften und Bestimmtheitsgrundsatz
Blankettstrafvorschriften sind gesetzliche Regelungen, die zur Bestimmung des strafbaren Verhaltens auf andere Rechtsnormen verweisen. Im vorliegenden Fall bezieht sich § 18 Abs. 4 AWG auf die EU-Anti-Folter-Verordnung.
Ein zentrales Problem solcher Vorschriften ist die Sicherstellung der Bestimmtheit, wie sie Art. 103 Abs. 2 GG fordert. Der BGH stellte fest, dass eine dynamische Verweisung auf EU-Recht, die auch künftige Änderungen automatisch inkorporiert, dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht widerspricht, solange die Bezugnahme klar und nachvollziehbar ist.
Anwendung des lex-mitior-Grundsatzes
Ein weiteres wesentliches Element der Entscheidung war die Anwendung des lex-mitior-Grundsatzes nach § 4 Abs. 3 OWiG. Dieser Grundsatz besagt, dass das mildeste Gesetz anzuwenden ist, wenn sich die Rechtslage nach der Tat ändert. Im vorliegenden Fall war die EU-Anti-Folter-Verordnung 2005 durch eine neue Verordnung ersetzt worden, ohne dass das nationale Recht unmittelbar angepasst wurde.
Dies führte zu einer temporären Ahndungslücke, in der das Verhalten des Angeklagten nicht mehr bußgeldbewehrt war. Der BGH entschied, dass diese Lücke gemäß dem lex-mitior-Grundsatz zur Anwendung kommen muss, was zur Folge hatte, dass das Verhalten des Angeklagten nicht mehr sanktioniert werden konnte.
Fazit und Auswirkungen
Das Urteil des BGH hebt die Bedeutung der klaren und präzisen Formulierung von Blankettstrafvorschriften hervor und betont die Notwendigkeit, nationale Regelungen zügig an Änderungen im EU-Recht anzupassen. Gleichzeitig bestätigt die Entscheidung die Bedeutung des lex-mitior-Grundsatzes für die Sicherstellung der Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Angeklagten vor rückwirkenden Verschärfungen des Strafrechts.
Für die Praxis bedeutet dies, dass Unternehmen und ihre Aufsichtspersonen stets die aktuelle Rechtslage im Blick behalten müssen, insbesondere wenn es um die Einhaltung von Vorschriften geht, die auf EU-Recht verweisen. Zudem sollten Gesetzgeber sicherstellen, dass nationale Regelungen zeitnah an europäische Änderungen angepasst werden, um Rechtsunsicherheiten und Ahndungslücken zu vermeiden.
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