Ein Unternehmensleiter beantragte die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen und bat um Verfahrenskostenstundung, um die Gerichtskosten nicht sofort zahlen zu müssen. Dabei erklärte er, wie gesetzlich gefordert, dass er in den letzten fünf Jahren nicht wegen einer sogenannten Insolvenzstraftat (wie Insolvenzverschleppung oder Bankrott) zu einer erheblichen Strafe verurteilt wurde. Tatsächlich war er aber kurz zuvor wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung und mehrfachen Bankrotts zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt worden.
Die Einzelstrafen betrugen:
- 130 Tagessätze für Insolvenzverschleppung
- 4×70 Tagessätze für Bankrott
Das Insolvenzgericht hob daraufhin die Stundung der Verfahrenskosten auf, weil es meinte, der Schuldner habe falsche Angaben gemacht: Die Verurteilung zu einer so hohen Gesamtstrafe sei verschwiegen worden.
Die Rechtsfrage
Die zentrale Streitfrage war, ob das Insolvenzgericht die verschiedenen Einzelstrafen für Insolvenzstraftaten und andere Taten zu einer fiktiven Gesamtstrafe zusammenrechnen darf, um zu prüfen, ob die gesetzliche Schwelle (mehr als 90 Tagessätze) erreicht wird. Diese Schwelle entscheidet darüber, ob ein Versagungsgrund für die Restschuldbefreiung vorliegt — also ob der Schuldner nach Abschluss des Verfahrens von seinen Restschulden befreit wird.
Die Insolvenzgerichte hatten bisher teils die Auffassung vertreten, dass sie eine solche „fiktive“ Gesamtstrafe selbst bilden dürfen, um den Versagungsgrund zu bejahen.
Entscheidung des BGH
Der BGH (IX ZB 8/25) hat nun klargestellt:
- Das Insolvenzgericht darf keine fiktive Gesamtstrafe bilden.
- Es darf nur auf das schauen, was das Strafgericht tatsächlich entschieden hat.
- Maßgeblich ist die Einzelstrafe für die jeweilige Insolvenzstraftat oder die tatsächliche Gesamtstrafe, wenn sie ausschließlich aus solchen Taten besteht.
Im konkreten Fall lag zwar eine Gesamtstrafe von 180 Tagessätzen vor — diese umfasste aber neben Insolvenzstraftaten auch andere Straftaten. Für die entscheidende Insolvenzverschleppung betrug die Einzelstrafe 130 Tagessätze, somit war die Schwelle von 90 Tagessätzen überschritten. Das Gericht hätte also allein auf diese Einzelstrafe abstellen müssen — eine fiktive Zusammenrechnung war unzulässig.
Mit dieser Entscheidung stärkt der BGH die Rechtssicherheit für Schuldner und ihre Berater: Das Insolvenzgericht darf nicht eigenständig die Strafen „neu zusammenrechnen“. Entscheidend bleibt, was das Strafgericht rechtskräftig entschieden hat. Für das Management unterstreicht dies die Bedeutung von Transparenz und exakter Angaben bei Insolvenzanträgen — auch bei strafrechtlichen Vorbelastungen.
Bedeutung für die Praxis
Für Manager, Unternehmer und deren Berater bedeutet das:
- Wer eine Insolvenz beantragt, muss Angaben zu Vorstrafen sorgfältig und wahrheitsgemäß machen.
- Es zählt nicht eine beliebige Addition von Strafen durch das Insolvenzgericht, sondern nur die tatsächlich im Strafurteil festgestellten Einzel- oder Gesamtstrafen.
- Bei Unsicherheiten sollten Betroffene unbedingt frühzeitig straf- und insolvenzrechtlichen Rat einholen, um spätere Streitigkeiten über die Versagung der Restschuldbefreiung zu vermeiden.
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