Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Beschluss vom 4. Juni 2024 (Az.: 2 StR 51/23) die Anforderungen an die Besorgnis der Befangenheit eines Richters sowie die Bedeutung von Verfahrensabsprachen zwischen Gericht und Verteidigung konkretisiert. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob eine absprachewidrige Verfahrensgestaltung durch die Vorsitzende zu einer berechtigten Besorgnis der Befangenheit führen kann. Die Entscheidung fügt sich in die bestehende Rechtsprechung ein und ist im Lichte weiterer Urteile zu ähnlichen Sachverhalten zu betrachten.
Sachverhalt und Verfahrensgang
In einem umfangreichen Betrugsverfahren hatte die Vorsitzende Richterin Fristen zur Stellung von Beweisanträgen und zur Durchführung von Plädoyers angesetzt, die mit den Verteidigern zuvor getroffene Absprachen ignorierten. Diese Maßnahmen wurden während der urlaubsbedingten Abwesenheit eines Verteidigers ergriffen, was diesen an der effektiven Verteidigung hinderte. Die Angeklagten leiteten hieraus die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden ab, da ihre Handlungen als parteilich zugunsten einer Verfahrensbeschleunigung interpretiert wurden.
Das Landgericht hatte die Befangenheitsanträge zurückgewiesen. Der BGH hob das Urteil jedoch wegen eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 3 StPO auf und verwies die Sache an eine andere Kammer zurück.
Rechtliche Analyse
1. Besorgnis der Befangenheit: Maßstäbe
Der BGH bekräftigte seine bisherige Rechtsprechung: Ein Richter gilt als befangen, wenn aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten der Eindruck entsteht, dass die Unparteilichkeit des Gerichts beeinträchtigt ist. Entscheidend ist dabei, ob der Richter durch sein Verhalten nachvollziehbare Zweifel an seiner Objektivität weckt.
2. Absprachewidriges Verhalten
Der BGH stellte klar, dass die Vorsitzende durch die Fristsetzung und die vorgezogenen Plädoyers gegen die zuvor getroffenen Absprachen verstieß. Dies berührte wesentliche Verteidigungsrechte, insbesondere da ein eingearbeiteter Verteidiger durch die Maßnahme effektiv ausgeschlossen wurde. Dieses Vorgehen verstieß nicht nur gegen Verfahrensfairness, sondern konnte aus Sicht der Angeklagten als Zeichen einer parteiischen Verfahrensgestaltung verstanden werden.
3. Vergleich mit früherer Rechtsprechung
Die Entscheidung steht in einer Linie mit früheren Urteilen des BGH, etwa in 2 StR 195/23 und 5 StR 432/11. Dort hatte der BGH betont, dass selbst der Anschein einer Voreingenommenheit ausreicht, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Der BGH hat wiederholt hervorgehoben, dass die Wahrung des Vertrauens der Prozessbeteiligten in die Unparteilichkeit des Gerichts oberste Priorität hat.
Weitere Entscheidungen
In meinem früheren Beitrag über die Entscheidung des BGH in 3 StR 455/11 wurde erläutert, wie Richter durch willkürliche Entscheidungen oder Missachtung von Absprachen eine Besorgnis der Befangenheit hervorrufen können. Die Parallelen zur vorliegenden Entscheidung sind offenkundig: Beide Entscheidungen betonen, dass die richterliche Verfahrensgestaltung an objektiven Maßstäben der Fairness zu messen ist. Auch im Fall 2 StR 234/16 hob der BGH hervor, dass Abweichungen von Absprachen transparent und gerechtfertigt sein müssen, um den Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden.
Fazit
Der Beschluss des BGH im Verfahren 2 StR 51/23 unterstreicht, wie bedeutsam eine faire und transparente Verfahrensführung ist. Die Entscheidung fügt sich nahtlos in die bestehende Rechtsprechung ein, die die Rechte der Verteidigung und das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Justiz schützt. Sie dient als Mahnung für Gerichte, Absprachen mit den Prozessbeteiligten strikt einzuhalten oder bei Abweichungen nachvollziehbare Gründe darzulegen.
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