Eine praxisrelevante Entscheidung zur Bestimmtheit wettbewerbsrechtlicher Klagen hat der Bundesgerichtshof (I ZR 168/23) gefällt. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob eine Klage, die auf die Rückzahlung unzulässig einbehaltener Entgelte an eine Vielzahl von Verbrauchern gerichtet ist, hinreichend bestimmt im Sinne der Zivilprozessordnung (ZPO) gefasst werden kann.
Das Gericht entschied, dass der wettbewerbsrechtliche Beseitigungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG grundsätzlich nicht darauf gerichtet sein kann, dass ein Unternehmen unzulässig vereinnahmte Beträge unmittelbar an betroffene Verbraucher zurückzahlt. Eine solche Klage sei in der Regel zu unbestimmt, wenn die betroffenen Verbraucher nicht konkret benannt werden oder der Umfang der Zahlungspflicht nicht eindeutig feststeht.
Sachverhalt
Der Kläger, ein qualifizierter Verbraucherverband, hatte gegen den Veranstalter eines Festivals geklagt. Besucher des Festivals konnten dort ein bargeldloses Zahlungssystem nutzen, indem sie ein Chip-Armband erwarben und mit Geldbeträgen aufluden. Bei der Auszahlung des Restguthabens nach dem Festival wurde jedoch eine sogenannte „Payout Fee“ in Höhe von 2,50 Euro erhoben.
Der Kläger hielt diese Gebühr für unzulässig, weil sie eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB darstelle. Er forderte daher, dass der Beklagte die unrechtmäßig einbehaltenen Beträge an alle betroffenen Verbraucher zurückzahlt.
Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Rostock hatten die Klage abgewiesen. Sie begründeten dies unter anderem damit, dass der Antrag auf Rückzahlung zu unbestimmt sei. Der Kläger verfolgte sein Begehren in der Revision weiter. Der BGH bestätigte nun die Entscheidungen der Vorinstanzen und wies die Revision zurück.
Rechtliche Analyse
1. Bestimmtheitsgebot nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss eine Klage so bestimmt gefasst sein, dass der Streitgegenstand klar umrissen ist und keine Unsicherheiten über den Umfang der Verpflichtung des Beklagten bestehen.
Der BGH stellte fest, dass der Klageantrag des Verbraucherverbandes diesen Anforderungen nicht genügte. Der Kläger hatte eine Rückzahlung an „alle betroffenen Verbraucher“ verlangt, ohne diese individuell zu benennen oder die konkreten Rückzahlungsbeträge im Einzelnen anzugeben.
Ein solcher Antrag sei nicht vollstreckungsfähig, da das Vollstreckungsorgan im Nachhinein ermitteln müsste, wer als Verbraucher anzusehen ist und in welcher Höhe ein Rückzahlungsanspruch besteht. Dies widerspreche den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Klageantrags.
2. Keine Rückzahlungspflicht als wettbewerbsrechtlicher Beseitigungsanspruch
Der Kläger hatte sich auf § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG gestützt, der einen Beseitigungsanspruch für unlautere geschäftliche Handlungen vorsieht. Der BGH stellte jedoch klar, dass dieser Anspruch nicht dazu dient, eine allgemeine Rückzahlungspflicht des Unternehmens an eine unbestimmte Vielzahl von Verbrauchern zu begründen.
Ein Beseitigungsanspruch könne sich zwar auf Maßnahmen beziehen, die eine fortdauernde Wettbewerbsstörung beseitigen – etwa die Korrektur irreführender Angaben oder die Unterlassung unzulässiger Geschäftsbedingungen. Die Rückzahlung unzulässig einbehaltener Beträge falle jedoch nicht darunter, weil sie nicht die Beseitigung einer fortdauernden Irreführung, sondern die Durchsetzung individueller Zahlungsansprüche betreffe.
3. Alternative Möglichkeiten des Verbraucherschutzes
Der BGH wies darauf hin, dass der Gesetzgeber mit dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) spezifische Mechanismen für die kollektive Geltendmachung von Verbraucheransprüchen geschaffen hat.
Verbraucherschutzverbände können im Rahmen der Abhilfeklage nach § 14 VDuG gegen Unternehmen vorgehen und eine Rückzahlung an Verbraucher erwirken. Eine solche Klage erfordert jedoch eine vorherige Anmeldung der betroffenen Verbraucher, um eine hinreichende Bestimmtheit sicherzustellen.
Der Kläger hätte daher eine andere Klageform wählen müssen, etwa eine Feststellungsklage oder eine Stufenklage, um zunächst die Anspruchsberechtigung der betroffenen Verbraucher zu klären.
Folgen der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH hat Auswirkungen auf die wettbewerbsrechtliche Prozessführung:
- Klagen auf Rückzahlung unzulässig einbehaltener Entgelte müssen klar bestimmen, wer Empfänger der Zahlungen ist und in welcher Höhe diese erfolgen sollen.
- Der wettbewerbsrechtliche Beseitigungsanspruch kann nicht zur Durchsetzung individueller Rückzahlungsansprüche genutzt werden.
- Verbraucherschutzverbände sollten alternative Rechtsinstrumente wie die Abhilfeklage oder eine Stufenklage in Erwägung ziehen, um die Rückzahlung an Verbraucher durchzusetzen.
Für Unternehmen bedeutet das Urteil eine Stärkung ihrer prozessualen Verteidigungsmöglichkeiten gegen unbestimmte Klagen. Für Verbraucherschutzverbände erfordert es eine präzisere Planung der Klageform und -strategie.
Fazit
Der BGH stellt mit dieser Entscheidung hohe Anforderungen an die Bestimmtheit wettbewerbsrechtlicher Klagen. Wer eine Rückzahlung an Verbraucher verlangt, muss präzise darlegen, wer Empfänger der Zahlung sein soll und in welcher Höhe die Ansprüche bestehen.
Damit stärkt das Urteil die Rechtssicherheit und verhindert, dass Gerichte und Vollstreckungsorgane im Nachhinein über den Umfang einer Zahlungspflicht entscheiden müssen. Zugleich verweist der BGH auf alternative Mechanismen des kollektiven Rechtsschutzes, die eine Rückzahlung an Verbraucher ermöglichen, ohne die Bestimmtheitsanforderungen zu verletzen. Für die Praxis bedeutet dies, dass Verbraucherschutzverbände ihre Klagestrategien anpassen und stärker auf Abhilfeklagen oder Feststellungsklagen setzen müssen, um Verbraucherrechte effektiv durchzusetzen.
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