Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil vom 9. April 2025 (1 StR 371/24) überraschend klare Hinweise zur Unverzüglichkeit eines Befangenheitsgesuchs der Staatsanwaltschaft gegeben.
Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft hatte gegen drei Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung Anklage erhoben. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht München I kam es zu Verständigungsgesprächen zwischen den Verteidigern der Angeklagten und dem Gericht. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft lehnte diese Gespräche ab und sah in dem Verhalten des Gerichts eine Unterwanderung seiner Rechte. Nach einer kurzen Unterbrechung der Hauptverhandlung unterbreitete das Gericht einen Verständigungsvorschlag, der von den Verteidigern angenommen wurde. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft lehnte den Vorschlag ab.
Am Folgetag brachte die Staatsanwaltschaft ein Befangenheitsgesuch gegen alle vier Richter der Strafkammer ein. Das Landgericht verwies das Gesuch als unzulässig, da es nicht unverzüglich im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO angebracht worden sei. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Revision ein.
Juristische Analyse
Unverzüglichkeit des Befangenheitsgesuchs
Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Der BGH stellte klar, dass für die Frage, ob das Ablehnungsgesuch eines Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft unverzüglich im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO angebracht ist, im Wesentlichen dieselben Grundsätze gelten wie bei einem Befangenheitsgesuch des Angeklagten. Auch dem Staatsanwalt ist eine angemessene Zeitspanne zur Überlegung, Einhaltung behördeninterner Verfahrensabläufe und Abfassung der Ablehnungsgründe zuzubilligen.
Der BGH betonte, dass der Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht gehalten war, das Befangenheitsgesuch noch am selben Tag anzubringen. Er durfte vielmehr das Ende des Sitzungstags abwarten, um den behördeninternen Vorgaben entsprechend Rücksprache mit seinen Vorgesetzten zu halten. Die Rückbindung des Sitzungsvertreters an seine Dienstvorgesetzten entsprach nicht nur den zu erwartenden Zuständigkeiten einer hierarchisch organisierten Behörde, sondern stellte zugleich einen Filter- und Schutzmechanismus für die Strafkammer vor übereilten Befangenheitsanträgen dar.
Glaubhaftmachung der Ablehnungsgründe
Der BGH stellte zudem klar, dass es keiner Glaubhaftmachung der zugrundeliegenden Tatsachen bedurfte, da diese sich entweder aus den Akten ergaben oder gerichtsbekannt waren. Insbesondere die Umstände, aufgrund derer der Antrag erst am Abend des Folgetags angebracht werden konnte, kannte die Strafkammer in vollem Umfang. Der BGH betonte, dass die Behandlung des Befangenheitsgesuchs als unzulässig unvertretbar und als willkürliche Anwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO erschien.
Absolute Revisionsgründe
Der BGH führte aus, dass die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO der Staatsanwaltschaft im Ablehnungsverfahren ihren gesetzlichen Richter entzogen hat (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Ein Ablehnungsgesuch ist im Sinne von § 338 Nr. 3 StPO „mit Unrecht verworfen”, wenn die unter Mitwirkung des abgelehnten Richters beschlossene Verwerfung gemäß § 26a StPO als unzulässig auf einer willkürlichen oder die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Rechtsanwendung beruht.
Fazit
Das Urteil des BGH vom 9. April 2025 (1 StR 371/24) bietet wichtige Klarstellungen zur Unverzüglichkeit eines Befangenheitsgesuchs der Staatsanwaltschaft. Der BGH betonte, dass auch der Staatsanwaltschaft eine angemessene Zeitspanne zur Überlegung, Einhaltung behördeninterner Verfahrensabläufe und Abfassung der Ablehnungsgründe zuzubilligen ist. Die Entscheidung zeigt zudem, dass die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig gemäß § 26a StPO einer willkürlichen oder die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Rechtsanwendung entsprechen kann.
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