Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat in seiner Entscheidung vom 12. April 2024 (Aktenzeichen 206 StRR 129/24) wichtige Fragen bezüglich des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) und der Rechtsmittelbeschränkung behandelt.
Problematik der Rechtsmittelbeschränkung
Das BayObLG hat die Unwirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch festgestellt, da das angewandte Strafgesetz zum Zeitpunkt der Revision nicht mehr galt, was durch das Inkrafttreten des KCanG bedingt war. Die wichtigen Aspekte dazu sind:
- Unwirksamkeit der Beschränkung: Wenn das angewandte Strafgesetz, auf das sich eine Rechtsmittelbeschränkung stützt, nicht mehr gültig ist, ist diese Beschränkung unwirksam. Dies bedeutet, dass in solchen Fällen die eingetretene Rechtskraft durchbrochen und der Schuldspruch durch das Revisionsgericht berichtigt werden muss.
- Änderung des Schuldspruchs: Das BayObLG hat den Schuldspruch geändert und auf das neue KCanG angepasst, wodurch das frühere Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben wurde.
Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG
Die Anwendung des Regelbeispiels nach § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG, das auf die Überschreitung der neu zu bestimmenden „nicht geringen Menge“ von Cannabis abzielt, wurde ebenfalls in dieser Entscheidung angesprochen:
- Keine automatische Erfüllung: Das Überschreiten der „nicht geringen Menge“ führt nicht automatisch zur Erfüllung des Regelbeispiels. Es muss eine Gesamtwürdigung der relevanten Strafzumessungstatsachen erfolgen, um zu bestimmen, ob das Regelbeispiel greift.
- Neubewertung der nicht geringen Menge: Die vom Gesetzgeber vorgenommene geänderte Risikobewertung für Cannabis führt dazu, dass die Definition der „nicht geringen Menge“ nach KCanG möglicherweise deutlich höher angesetzt wird als bisher.
So führt das Gericht aus:
Das Landgericht hatte bei einem Wirkstoffgehalt von mindestens 16,13 Gramm THC nach der damaligen Rechtslage und ständigen Rechtsprechung zwar keinen Anlass, an der „nicht geringen Menge“ des gegenständlichen Cannabis im Sinne des § 29a BtMG zu zweifeln, welche bei 7,5 Gramm angenommen wurde (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, BtMG 10. Aufl. 2022, § 29a Rn. 63).
Der Gesetzgeber hat jedoch mit dem CanG eine „geänderte Risikobewertung“ hinsichtlich dieses Betäubungsmittels vorgenommen (BT-Drucksache 20/8704 S. 69) und geht davon aus, dass die Höhe der „nicht geringen Menge“ nach Inkrafttreten des KCanG deutlich höher liegen werde als nach der bisherigen Rechtsprechung (BTDrucksache 20/10426 S. 140).
Die Strafwürdigkeit des Besitzes von Cannabis ist daher nunmehr neu zu bewerten und kann sich nicht im Rückgriff auf herkömmliche Rechtsprechung erschöpfen. Selbst bei einer Überschreitung der durch die Rechtsprechung definierten „nicht geringen Menge“ des § 29a Abs. 1 Ziff. 2 BtMG um das Vielfache ist regelmäßig ein „minder schwerer Fall“ gem. § 29a Abs. 2 BtMG zu prüfen (ständige Rechtsprechung; für die 11-fache Menge: BGH, Beschluss vom 10. April 1990, 4 StR 148/90, juris Rn. 12). Auch das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Ziff. 4 KCanG ist nicht „automatisch“ bei Überschreitung der (noch zu definierenden) „nicht geringen Menge“ von Cannabis erfüllt. Vielmehr können nach einer Gesamtwürdigung der relevanten Strafzumessungstatsachen gewichtige Milderungsgründe gegen die Anwendung des erhöhten Regelstrafrahmens sprechen (BGH, Urteil vom 20. April 2016 – 5 StR 37/16 –, juris, Rn. 7).
Vorliegend hat das Landgericht – nach damaliger Rechtslage nicht zu beanstanden – einen minder schweren Fall gem. § 29a Abs. 2 StGB angenommen und hierfür zutreffend eine Vielzahl erheblicher Milderungsgründe angeführt. Diese sprechen jedoch ebenfalls gegen die Anwendung des § 34 Abs. 3 Ziff. 4 KCanG. Insbesondere die gesetzgeberische Wertung, wonach der Besitz von Cannabis zum Eigenverbrauch weniger strafwürdig ist (§ 35a KCanG), schlägt ganz erheblich zu Gunsten des nicht vorbestraften, geständigen Angeklagten zu Buche. Hinzu kommt der festgestellte medizinische Bedarf des Angeklagten, der das Cannabis zur Schmerzlinderung verwendete.
Fazit
Diese Entscheidung verdeutlicht, wie legislative Änderungen, wie die Einführung des KCanG, direkte und erhebliche Auswirkungen auf laufende Gerichtsverfahren haben können. Sie zeigt auch, dass die Justiz durchaus in der Lage ist, auf die veränderte Rechtslage flexibel zu reagieren, um sicherzustellen, dass die neuen gesetzlichen Bestimmungen korrekt interpretiert und angewendet werden. Speziell die hier wichtigen Aspekte der Rechtsmittelbeschränkung und des Regelbeispiels verdeutlichen die Komplexität der juristischen Bewertungen, die mit der Einführung neuer Gesetzgebungen verbunden sind.
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