Ausschlusswirkung vertraglicher Auskunftsregelungen nach § 32d UrhG

Das reformierte Urhebervertragsrecht gewährt Urheberinnen und Urhebern ein umfassendes Auskunftsrecht gegenüber ihren Vertragspartnern, um Transparenz über die Nutzung und Verwertung ihrer Werke herzustellen. § 32d UrhG dient hierbei als zentrale Informationsquelle zur Durchsetzung fairer Vergütung. In seiner Entscheidung vom 22. Mai 2025 (I ZR 82/24) hat der Bundesgerichtshof nun erstmals Stellung zur Reichweite und den Schranken dieses Auskunftsanspruchs genommen – insbesondere zur Frage, ob und in welchem Umfang vertragliche Auskunftsvereinbarungen dessen Geltung ausschließen können. Der Beschluss konkretisiert die Wechselwirkung von dispositivem Gesetzesrecht und Parteiautonomie und hat damit erhebliche praktische Relevanz für die Gestaltung urheberrechtlicher Lizenzverträge.

Sachverhalt

Die Klägerin ist Musikautorin und Mitglied der GEMA. Die Beklagte betreibt eine Musikproduktionsfirma und hatte mit der Klägerin zwischen 2004 und 2013 zahlreiche Produktionen vereinbart. In einem pauschalen Rahmenvertrag wurde vereinbart, dass die Klägerin „ausführliche Auskunft und Abrechnung nach Maßgabe der anliegenden Lizenz- und Abrechnungsbedingungen“ erhält. Auf Grundlage dieser Bedingungen erfolgten regelmäßig Auskünfte über Sendeminuten, Abrufzahlen und Ausschüttungen.

Mit Schreiben aus dem Jahr 2020 verlangte die Klägerin nun weitergehende Auskünfte nach § 32d Abs. 1 UrhG zu sämtlichen seit 2004 lizenzierten und genutzten Werken. Die Beklagte verweigerte dies unter Berufung auf die vertraglichen Absprachen. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Der BGH hingegen wies sie ab und bestätigte die Ausschlusswirkung der vertraglichen Auskunftsvereinbarung.

Juristische Analyse

1. Struktur und Inhalt des § 32d Abs. 1 UrhG

§ 32d Abs. 1 UrhG gewährt Urheberinnen und Urhebern gegen ihre Vertragspartner einen Anspruch auf Auskunft über Art und Umfang der Werknutzung – soweit dies zur Überprüfung der Angemessenheit der Vergütung erforderlich ist. Der Anspruch soll eine informierte Ausübung der Rechte nach §§ 32, 32a UrhG ermöglichen, insbesondere eine Nachverhandlung oder Geltendmachung der Bestsellervergütung.

Die Norm ist dispositiv: Sie kann durch vertragliche Vereinbarungen ausgeschlossen oder modifiziert werden, sofern der Zweck der Regelung – die Sicherung fairer Beteiligung – nicht unterlaufen wird. Hier setzt die zentrale Frage des vorliegenden Falles an: Reicht eine vertragliche Regelung mit einem alternativen Auskunftsregime aus, um den gesetzlichen Anspruch zu verdrängen?

2. Ausschluss durch vertragliche Auskunftsregelung – Anforderungen an Transparenz und Effektivität

Der BGH bejaht einen Ausschluss des gesetzlichen Auskunftsanspruchs dann, wenn die vertraglich vereinbarten Auskünfte dem Ziel des § 32d UrhG funktional entsprechen. Es kommt also nicht auf die formale Identität, sondern auf die inhaltliche Vergleichbarkeit an.

Im konkreten Fall sah der Lizenzvertrag regelmäßige Auskunft über sämtliche wesentlichen Verwertungsschritte vor, inklusive Details zu Sendeminuten, Lizenznutzungen, Streamingabrufen und GEMA-Ausschüttungen. Diese Informationen wurden der Klägerin in standardisierter Form auch tatsächlich zur Verfügung gestellt. Der BGH erkennt darin eine ausreichende Grundlage zur eigenverantwortlichen Kontrolle der Angemessenheit der Vergütung. Eine weitergehende Pflicht zur individualisierten Detailauskunft bestehe nicht.

Der Senat betont, dass § 32d Abs. 1 UrhG kein „Mindeststandard“ ist, sondern nur dort eingreift, wo keine gleichwertige vertragliche Regelung besteht. Entscheidend ist, ob der Urheber auf Grundlage der Auskünfte eine belastbare Bewertung der wirtschaftlichen Verwertung seines Werks vornehmen kann – nicht, ob sämtliche denkbaren Daten offengelegt werden.

3. Systematische Einordnung: Verhältnis zu § 32a UrhG („Bestsellerparagraf“)

Die Entscheidung steht in engem Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich des § 32a UrhG, der eine Anpassung der Vergütung bei auffälligem Missverhältnis zwischen Leistung und Ertrag ermöglicht. Für eine sachgerechte Ausübung dieses Anspruchs ist der Informationszugang nach § 32d UrhG essentiell.

Gleichwohl macht der BGH deutlich: Der Auskunftsanspruch ist kein Selbstzweck. Wenn der Vertrag bereits ein sachgerechtes Auskunftssystem etabliert, das eine ökonomische Bewertung der Werkverwertung zulässt, besteht kein zusätzlicher Anspruch nach § 32d UrhG. Das Urteil beugt damit einer doppelten Inanspruchnahme vor und sichert die Verlässlichkeit vertraglicher Strukturen.

4. Praktische Auswirkungen für Vertragsgestaltung und Branchenpraxis

Die Entscheidung gibt der urheberrechtlichen Vertragsgestaltung deutliche Orientierung: Vertragspartner können den gesetzlichen Auskunftsanspruch wirksam abbedingen, sofern sie funktional gleichwertige Informationspflichten vereinbaren und diese auch tatsächlich erfüllen. Die Anforderungen an Transparenz sind dabei nicht minimalistisch, aber auch nicht überdehnt. Es genügt, wenn die Auskunft die wesentlichen wirtschaftlichen Eckdaten der Verwertung abbildet und nicht selektiv oder irreführend ist.

Der BGH stellt in diesem Zusammenhang klar, dass ein pauschaler Ausschluss „jeglicher Auskunft“ unwirksam wäre – ebenso wie eine rein formelhafte Abrechnung ohne inhaltliche Nachvollziehbarkeit. Das Gericht schützt damit die Zielrichtung des reformierten Urhebervertragsrechts, vermeidet aber gleichzeitig eine Überregulierung des Vertragsvollzugs.

5. Keine Verletzung von Treu und Glauben (§ 242 BGB)

Die Klägerin hatte argumentiert, dass die Beklagte jedenfalls aus § 242 BGB zur erweiterten Auskunft verpflichtet sei, da eine angemessene Kontrolle der Vergütung sonst faktisch nicht möglich sei. Auch dies verneint der BGH: Die überlassenen Auskünfte seien weder lückenhaft noch intransparent, sondern genügten im konkreten Vertragsverhältnis. Es bestehe kein zusätzlicher Anspruch, der über das vereinbarte Maß hinausginge – zumal kein substantiierter Vortrag zu einer konkreten Lücke oder Täuschung erfolgte.

Fazit

Die Entscheidung des I. Zivilsenats markiert eine bedeutsame Leitlinie für das Zusammenspiel von gesetzlichem Auskunftsanspruch und vertraglicher Ausgestaltung im Urheberrecht. § 32d Abs. 1 UrhG ist keine zwingende Schutzvorschrift, sondern lässt sich durch sachgerechte, funktional gleichwertige Regelungen verdrängen. Der BGH betont dabei die praktischen Anforderungen an Transparenz und Nachvollziehbarkeit, schützt jedoch zugleich die Vertragsfreiheit der Beteiligten. Für Kreative, Verwerter und Vertragsgestalter gilt fortan: Wer rechtzeitig klare und überprüfbare Auskunftsmodalitäten vereinbart, schafft Rechtssicherheit – und wahrt zugleich die berechtigten Interessen der Urheberinnen und Urheber.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist erfahrener Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht mit über einem Jahrzehnt Berufspraxis und widmet sich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Rechtsanwalt Jens Ferner ist erfahrener Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht mit über einem Jahrzehnt Berufspraxis und widmet sich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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