In seinem Beschluss vom 18. März 2025 (3 StR 414/24) befasst sich der Bundesgerichtshof mit einem juristisch und gesellschaftlich hochsensiblen Tatbestand: dem Umgang mit kinderpornographischem Material im Sinne des § 184b StGB. Im Zentrum der Entscheidung steht die differenzierte Auslegung der Begriffe „Verbreiten“ und „Besitzverschaffen an Dritte“ sowie deren Abgrenzung. Der Fall verdeutlicht exemplarisch, wie wichtig eine präzise juristische Begriffsbestimmung ist – gerade im Kontext digitaler Kommunikation.
Hintergrund der Entscheidung
Der Angeklagte hatte im Februar 2020 über einen Chatdienst mit einem anderen Nutzer Bilddateien ausgetauscht, die kinderpornographische Inhalte zeigten. Insgesamt verschickte er sechs solcher Dateien, während er drei empfangen hatte. Das Landgericht Mönchengladbach verurteilte ihn wegen Verbreitung in sechs und wegen Besitzverschaffung in drei Fällen. Der BGH korrigierte diese Bewertung jedoch: Die Schuldsprüche wegen Verbreitung seien rechtsfehlerhaft und müssten in „Drittbesitzverschaffung“ umgedeutet werden.
Der rechtliche Kern: Was ist „Verbreiten“?
Das Landgericht hatte in der wiederholten Übersendung der Dateien ein Verbreiten im Sinne des § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB gesehen. Der BGH stellte jedoch klar, dass diese Einstufung zu weit gehe. Verbreiten setzt eine Zugänglichmachung für eine unbestimmte oder zumindest nicht mehr kontrollierbare Anzahl von Personen voraus – eine Schwelle, die bei einem bilateralen Austausch im Chat gerade nicht erreicht sei. Allein die Tatsache, dass die Dateien bei einem Einzelkontakt übermittelt wurden, genügt für diesen besonders gewichtigen Vorwurf nicht.
Stattdessen erfüllt das Verhalten des Angeklagten den Tatbestand der Drittbesitzverschaffung (§ 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F.). Dies ist der Fall, wenn jemand einem anderen gezielt kinderpornographisches Material zukommen lässt – selbst dann, wenn die Übermittlung auf einen einzelnen Adressaten beschränkt ist. Entscheidend ist hier nicht die Streuweite, sondern der bewusste Willensakt, einem Dritten den Besitz der betreffenden Dateien zu verschaffen.
Konkurrenzverhältnis und Einzelfallbewertung
Bemerkenswert ist zudem die Frage, wie einzelne Handlungen strafrechtlich zu behandeln sind, wenn mehrere Dateien in kurzer Abfolge übermittelt werden. Der BGH betont, dass bei digitaler Kommunikation über Messengerdienste nicht ohne Weiteres eine einheitliche Tat angenommen werden kann. Vielmehr sei auf den jeweiligen Handlungsentschluss abzustellen. Im vorliegenden Fall hatte der Angeklagte immer wieder explizit neue Dateien angefordert und verschickt – verbunden mit zwischenzeitlichen Pausen –, sodass jeweils eigenständige Tatentschlüsse vorlagen. Diese Auslegung führt dazu, dass jede Übertragung als separate Tat im Sinne von Tatmehrheit gewertet wird.
Fehlerhafte Strafzumessung
Neben der materiellrechtlichen Neubewertung des Schuldspruchs beanstandet der BGH auch die Strafzumessung. Das Landgericht hatte zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass dieser einschlägig vorbestraft sei. Tatsächlich erfolgte die frühere Verurteilung jedoch erst nach den hier relevanten Taten. Der BGH stellt klar, dass in einem solchen Fall zwar frühere Taten als Ausdruck krimineller Energie berücksichtigt werden dürfen, nicht aber die abschreckende Wirkung einer späteren Verurteilung. Diese Differenzierung ist nicht nur dogmatisch bedeutsam, sondern auch rechtsstaatlich geboten.
Ein weiterer Mangel betrifft die Gesamtstrafenbildung: Es blieb unklar, ob eine Vorstrafe aus dem Jahr 2023 hätte einbezogen werden müssen. Da weder das Datum der zugrunde liegenden Tat noch der Vollstreckungsstand benannt wurden, lässt sich die strafrechtliche Verknüpfung nicht überprüfen. Solche Unklarheiten führen dazu, dass der Strafausspruch insgesamt aufgehoben wurde – die Feststellungen hingegen bleiben bestehen.
Resümee
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 18. März 2025 ist ein instruktives Beispiel für die notwendige Präzision bei der Anwendung und Auslegung von § 184b StGB. Er unterstreicht, dass nicht jede Weitergabe kinderpornographischer Inhalte automatisch als „Verbreiten“ einzustufen ist – und dass selbst bei schweren Delikten die dogmatische Exaktheit des Strafrechts nicht hinter moralischem Entsetzen zurückstehen darf. Die Quintessenz lautet: Zwischen moralischer Verurteilung und rechtlicher Bewertung muss ein scharfes, kontrolliertes Kriterium treten – gerade in sensiblen Bereichen wie dem Sexualstrafrecht.
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