Was beim OLG Düsseldorf (I-15 U 79/10) verhandelt wurde, betrifft jede „journalistisch-redaktionell“ aufbereitete Webseite und sollte Beachtung finden. Es geht um die übliche Problematik: Eine Webseite berichtet über ein einstmals aktuelles Geschehnis, hier: Ein laufendes strafrechtliches Ermittlungsverfahren. Das Geschehnis findet sein Ende (Ermittlungsverfahren eingestellt), der alte Bericht steht aber natürlich weiter im Netz. Wer nach dem Betroffenen sucht, findet ggfs. diesen – nunmehr veralteten – Bericht und bekommt ein falsches Bild, nämlich in diesem das eines laufenden Ermittlungsverfahrens. Hierzu hält das OLG fest:
Eine das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ganz erheblich beeinträchtigende Berichterstattung im Internet über ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren ist nach Einstellung dieses Verfahrens nur zulässig, wenn die weitere Entwicklung in einem Zusatz zur Ursprungsmeldung mitgeteilt wird und den interessierten Internet-Nutzern nicht lediglich über einen Link vermittelt wird.
Beachten Sie dazu auch: Die Rechtsprechung des BGH zu Online-Archiven sowie zur Verdachtsberichterstattung aus laufender Hauptverhandlung
Entscheidung des OLG
Das OLG Düsseldorf hat sich nun im Kern mit den Pflichten der Webseite diesbezüglich beschäftigt und kommt zu diesem Ergebnis:
- Der Bericht ist dann schon etwas anderes, wenn er für den verständigen Nutzer als „Altbericht“ zu erkennen ist. Sprich: Wenn das Datum zum Bericht nicht versteckt ist, sondern auf den ersten Blick klar ist, dass es sich hier um „etwas älteres“ handelt
- Sofern es sich um einen solchen „Altbericht“ handelt, genügt die Webseite ihren Pflichten, wenn sie in einem „Nachtrag“ zum Artikel die aktuelle Lage klarstellt, also z.B. einen Zusatz hinzufügt „Mit Datum vom … wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt.“
- Allerdings muss der Zusatz ausdrücklich erfolgen und im Zusammenhang mit dem „Altartikel“ die aktuelle Sachlage sofort klar machen. Ein Link zu einer dann folgenden Klarstellung reicht alleine nicht aus, da erfahrungsgemäß Webseitenbenutzer nach Lektüre von Artikeln eben nicht jedem Link folgen.
Das Web vergisst nicht, heisst es richtigerweise – bisher steht dieser Spruch aber vor allem im Fokus des Datenschutzrechts von Betroffenen. Persönlichkeitsrechtlich allerdings wird die Sache zunehmend an Bedeutung gewinnen, da in unglaublicher Masse im Web Berichte erfolgen, die – zuerst zulässig, später vielleicht nicht mehr – in Persönlichkeitsrechte von Betroffenen eingreifen. An dieser Stelle kann nur an den jeweiligen Webseiten-Betreiber appelliert werden, sich seiner Pflichten im Klaren zu sein – wer über Negatives berichtet, muss auch von sich aus in der Lage sein, positive spätere Entwicklungen ebenfalls zu berücksichtigen. Wer das nicht von sich aus kann, sollte seine „Berichterstattung“ entsprechend gestalten.
Hinweis: Das OLG hat sich mit der Frage äusserst ausführlich beschäftigt und dabei sämtliche bisher existierenden Meinungen berücksichtigt. Wer sich für Details interessiert, wird in das sehr lange Urteil blicken müssen, das oben verlinkt ist – vor dem Hintergrund des ausführlichen Urteils erschien mir eine Zusammenfassung hier sinnvoller. Wichtig für die Presse ist auch, dass das OLG Düsseldorf nochmals unterscheidet zwischen kostenpflichtigen Archiven und jedermann zugänglichen freien Online-Archiven. In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung des BGH (VI ZR 227/08) zum Thema zu berücksichtigen.
Aus der Entscheidung
Durch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens ist die Berichterstattung des Antragsgegners damit nicht nachträglich unwahr, sondern lediglich überholt worden.
Wie bei einer derartigen Konstellation im Rahmen der herkömmlichen Berichterstattung (in Presse, Funk oder Fernsehen) zu verfahren ist, ist Gegenstand von Rechtsprechung und auch in der Literatur erörtert. Ein Anspruch auf Ergänzungsberichterstattung ist für den Fall, dass ein Ermittlungsverfahren, über das berichtet wurde, eingestellt worden ist, in der Rechtsprechung bisher verneint worden. Die maßgebenden Grundsätze sind in der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 30.11.71 (VI ZR 115/70, NJW 72, 431) festgehalten, der der Fall zugrunde lag, dass in einem Nachrichtenmagazin, das im Verlag der dortigen Beklagten erschienen war, eingehend über einen Strafprozess und das gegen den dortigen Kläger ergangene Strafurteil berichtet worden war. Nachdem der Kläger im Berufungsverfahren freigesprochen worden war, verlangte er vom beklagten Verlag eine Ergänzung der früheren Berichterstattung durch einen Bericht über seine Freisprechung, hilfsweise den Abdruck einer entsprechenden Erklärung des Klägers. Der Bundesgerichtshof hat letzteres für begründet erachtet und ausgeführt, es sei dadurch, dass über die erstinstanzliche Verurteilung des Klägers berichtet, die spätere Aufhebung des Urteils jedoch nicht mitgeteilt worden sei, der Eindruck entstanden, es sei bei der Verurteilung geblieben. Dadurch sei ein das Persönlichkeitsrecht des Klägers beeinträchtigender Zustand entstanden, der (zumindest auch) auf das Verhalten der Beklagten zurückgehe. Auch wenn die Veröffentlichung des Berichts über ein nicht rechtskräftiges Urteil im Zeitpunkt der Äußerung rechtmäßig war, habe die Beklagte eine Lage geschaffen, die in sich die Gefahr einer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers enthielt. Trotz Hinweises darauf, dass die verurteilende Entscheidung nicht endgültig sei, werde durch den Bericht darüber der Eindruck erweckt, der Betroffene sei bestraft. Im Rahmen der Abwägung mit der durch Art. 5 Abs. GG 1 Satz 2 garantierten Pressefreiheit hat der Bundesgerichtshof weiter ausgeführt, dass es, wenn die Rechtsordnung die Berichterstattung über eine nicht rechtskräftige Bestrafung unter Namensnennung zulasse, geboten sei, korrespondierend eine Pflicht zu bejahen, auf Verlangen des Betroffenen über den endgültigen Freispruch zu berichten. Dies sei für ein Presseorgan auch zumutbar, weil nicht verlangt werde, die Strafverfahren, über die es berichtet habe, weiterzuverfolgen; es sei lediglich auf Verlangen des Betroffenen einmal seine Freisprechung mitzuteilen. Eine solche Pflicht sei aber auf Fälle wie den vorliegenden, in dem sich nicht der Lebenssachverhalt, sondern lediglich dessen Beurteilung durch die Strafgerichte geändert habe, zu beschränken. Auch sei zur Beseitigung des Störungszustandes eine eigene Erklärung des Betroffenen ausreichend; die Beklagte müsse ihm nur ein Forum zur Verfügung stellen, um mit seiner Erklärung an denselben Leserkreis zu gelangen; die Abgabe einer Erklärung des beklagten Verlages sei unnötig belastend und zu weitgehend.
An diese Rechtsprechung anknüpfend hat das OLG München (Urteil vom 17.11.95 – 21 U 3032/95, NJW-RR 96, 1487) in einem Fall, in dem in einer Fernsehsendung (Report) über ein gegen den dortigen Kläger wegen Vergewaltigung eingeleitetes Ermittlungsverfahren berichtet worden war, einen Anspruch auf Unterlassung, Widerruf und auf nachträgliche Ergänzungsberichterstattung verneint. Es handele sich um wahre Tatsachen, über die die Beklagte berichtet habe, und die Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung seien eingehalten worden. Ein trotz rechtmäßiger Berichterstattung möglicher Anspruch aus § 1004 BGB sei nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zu verneinen. Anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall sei lediglich über ein Ermittlungsverfahren und nicht über eine strafgerichtliche Verurteilung, die auch bei Fehlen der Rechtskraft den Eindruck vermittele, dass vieles für eine Verurteilung spreche, berichtet worden. Der BGH habe die Pflicht zur Ergänzung, die ohnehin nur auf die Veröffentlichung einer Erklärung des Betroffenen gerichtet sei, eng begrenzt.
Das LG Hamburg (Urteil vom 13.03.98 -324 O 726/97, AfP 1999, 93) hat einen Anspruch, im Rahmen einer ergänzenden Mitteilung über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens zu berichten, wenn zuvor über die Einleitung eines solchen Verfahrens zutreffend berichtet worden sei, abgelehnt, weil dies auf eine stetige Fortschreibung der Berichterstattung hinausliefe.
Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 28.04.97 -1 BvR 765/97, NJW 1997, 2589) die Zuerkennung eines sogenannten äußerungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs auf Abdruck einer ergänzenden Meldung für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt, wenn eine ursprünglich rechtmäßige Meldung über eine Straftat sich aufgrund späterer gerichtlicher Erkenntnisse in einem anderen Licht darstelle und die durch die Meldung hervorgerufene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts andauere. Dadurch würde der erforderliche Ausgleich zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht herbeigeführt. Das Bundesverfassungsgericht hat es gebilligt, dass das vorentscheidende Oberlandesgericht keine generelle Pflicht der Presse, die Berichterstattung über ein einmal aufgegriffenes Thema bei neuen Entwicklungen fortzusetzen, angenommen habe und auch nicht verlangt habe, dass der Veröffentlichende von der ursprünglichen Meldung abrücke.
In der Literatur (Münch-Komm. BGB, 5. A. Anh zu § 12 Allg. PersönlR, Rn 216) wird vertreten, dass die nachträgliche Ergänzung nur verlangt werden könne, wenn die Erstmitteilung keinen Hinweis auf die Vorläufigkeit des Berichteten enthalten habe. Dann müssten aber nicht nur die Fälle auf Rechtsmittel hin aufgehobener Strafurteile oder auch später, weil der Verdacht ausgeräumt wurde, eingestellter Ermittlungsverfahren erfasst werden, sondern auch die Fälle später aufgehobener zivilrechtlicher Entscheidungen oder Insolvenzverfahren.
Nach Gamer (in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. A., § 13 Rn 76) ist der Anspruch zu verneinen, wenn in der Erstmitteilung hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen ist, dass eventuell mit Veränderungen zu rechnen ist. Andererseits sollte der Anspruch auch in anderen Fällen als dem der nachträglichen Aufhebung einer strafgerichtlichen Verurteilung anerkannt werden, wenn eine Abwägung der beiderseitigen Interessen dies als geboten erscheinen lasse. Zu denken sei an die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens, speziell wenn über seine Einleitung groß berichtet worden sei, ebenso an die Aufhebung einer zivilgerichtlichen Verurteilung und die Aufhebung eines Insolvenzverfahrens. Eine an sich zutreffende Meldung könne zwar nicht die Verpflichtung begründen, nach Art eines Fortsetzungsromans über jede weitere Etappe des betreffenden Vorgangs zu berichten. Unter der Voraussetzung einer falschen Prognose könne aber auch unabhängig vom Falle des nachträglichen Freispruchs die Notwendigkeit zu späterer Korrektur anzuerkennen sein.
Soehring (Presserecht, 4. A., § 19 Rn 37) hält es nicht für zweifelhaft, dass jedenfalls im Regelfall die Berichterstattung über ein bestimmtes Ermittlungsverfahren einen rechtswidrigen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen darstelle, wenn es mangels Tatverdacht oder erwiesenere Unschuld endgültig eingestellt worden sei.
Wenzel (Der Anspruch auf Ergänzung überholter Pressemeldungen, GRUR 72, 634 ff) hält eine Anspruch auf Ergänzung eines überholten Presseberichts für erwägenswert unter der Voraussetzung, dass eine falsche Prognose aufgestellt worden sei. Dann sollte der Anspruch allerdings nicht nur auf die Fälle der Aufhebung von Gerichtsurteilen beschränkt sein, sondern auch auf andere Fälle ehr- oder kreditrührender Meldungen ausgedehnt werden.
Bei der hier vorzunehmenden Interessenabwägung ist vor dem Hintergrund des zuvor dargestellten Meinungsstandes in Literatur und Rechtsprechung weiter die Besonderheit zu berücksichtigen, die durch die Veröffentlichung im Internet gegeben ist.
Der ursprünglich rechtmäßige Bericht des Antragsgegners ist nicht lediglich im Gedächtnis der ihn einmalig zur Kenntnis Nehmenden gespeichert, sondern wird fortdauernd bereitgehalten und auf ihn kann auch gegenwärtig noch zugegriffen werden.
Diesbezüglich ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 15.12.09, VI ZR 227/08, AfP 2010, 77-81; GRUR 2010, 266-270; NJW 2010, 757-760; MDR 2010, 321-323 und Urteil vom 09.02.10, VI ZR 243/08, –Walter S. Mord mit dem Hammer, AfP 2010, 162-167; GRUR 2010, 549-554; NJW 2010, 2432-2437; MDR 2010, 570-571) zur grundsätzlichen Zulässigkeit des Bereithaltens von im Zeitpunkt der Erstveröffentlichung rechtmäßigen Altmeldungen im Internet auch nach Veränderung der zugrunde liegenden Umstände zu beachten. Der Bundesgerichtshof hat es mit der Meinungs- und Medienfreiheit als nicht zu vereinbaren erachtet, die Betreiber des betreffenden Internetauftritts zu verpflichten, sämtliche archivierten Beiträge von sich aus immer wieder auf ihre Rechtmäßigkeit zu untersuchen. Das könnte zur Folge haben, dass der Berichterstattende entweder ganz von einer der Öffentlichkeit zugänglichen Archivierung absehen oder bereits bei der erstmaligen Veröffentlichung die Umstände ausklammern würde, die das weitere Vorhalten des Beitrags später rechtswidrig werden lassen könnten.
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Es ist also ein Ausgleich zu suchen zwischen dem vom Schutz der Meinungsfreiheit umfassten Recht des Antragsgegners auf Bereithaltung zulässiger Altmeldungen auch nach Veränderung der ihnen zugrunde liegenden Umstände und dem Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin, das auch bei wahren Tatsachenbehauptungen, die eine erhebliche Breitenwirkung haben und zu einer besonderen Stigmatisierung führen können, verletzt sein kann.
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