Urlaubsrecht: Übertragung des Urlaubs im Krankheitsfall

Ein typisches Problem zum Jahreswechsel: Ein ist im alten Jahr längere Zeit bis zum 31. Dezember krank und kann daher seinen Resturlaub nicht nehmen. Verfällt dieser Resturlaub sofort zum 1. Januar oder gibt es eine Frist bis zum 31. März, bis zu der er den Urlaub noch nehmen kann?

Hinweis: Beachten Sie meine Ausführungen zur Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmern im Arbeitsrecht!

Grundsätzliches zur Übertragung von Urlaub im Krankheitsfall

Antwort: Der Urlaub ist grundsätzlich auf das laufende Kalenderjahr befristet und muss in diesem gewährt und genommen werden (§ 7 Absatz 3 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz). Mit dem Ende des Urlaubsjahrs erlischt also grundsätzlich der Anspruch. Für den Fall längerer Krankheit im alten Jahr ist jedoch zu unterscheiden:

  • Kann der Arbeitnehmer seinen Urlaub trotz langer Arbeitsunfähigkeit noch vor Ablauf des Kalenderjahrs nehmen, bleibt es dabei: Der Anspruch erlischt mit dem Ende des Urlaubsjahrs.
    Beispiel: Der Arbeitnehmer war von Februar bis Ende November krank. Er hätte seinen Urlaub im Dezember noch nehmen können.
  • War der Arbeitnehmer aber beispielsweise von Mitte November bis 31. Dezember arbeitsunfähig, konnte er den Urlaub während des Urlaubsjahrs nicht mehr nehmen. Dann wird der Anspruch befristet übertragen und zwar auf 15 Monate nach Ablauf des Arbeitsjahres, in dem er erworben wurde.

Beachten Sie: Ist arbeits- oder tarifvertraglich festgelegt, dass der Urlaub generell bis zum 31. März des Folgejahrs oder bis zu einem noch späteren Zeitpunkt übertragen werden kann, dann tritt dieser spätere Termin an die Stelle des 31. Dezember.

Rechtsprechungsänderung: Urlaubsabgeltung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit

Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bis zum Jahr 2009 erlosch der Urlaubsabgeltungsanspruch, wenn der Urlaubsanspruch aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bis zum Ende des Übertragungszeitraums nicht erfüllt werden konnte. Diese Rechtsprechung hat das BAG seinerzeit aufgegeben. Die Entscheidung betraf eine Frau, die von August 2005 bis Ende Januar 2007 als Erzieherin tätig war. Nach einem Schlaganfall war sie von Juni 2006 über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus durchgehend arbeitsunfähig. Sie verlangte die Abgeltung der gesetzlichen Urlaubsansprüche aus den Jahren 2005 und 2006.

Die Richter gaben ihrer im Unterschied zu den Vorinstanzen statt. Sie stellten nun klar, dass Ansprüche auf Abgeltung des gesetzlichen Teil- oder Vollurlaubs nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist.

Damit folgt das BAG der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der vorher bereits ebenso entschied (BAG, 9 AZR 983/07; EuGH, C-350/06, C-520/06): Mit dieser Entscheidung stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Regel auf, die der derzeitigen Gesetzeslage in der Bundesrepublik entgegenstand: Kann ein Arbeitnehmer wegen Krankheit seinen bezahlten Jahresurlaub nicht innerhalb der vorgesehenen Frist nehmen, verfällt der Anspruch nicht. Der nicht genommene Jahresurlaub ist vielmehr abzugelten.

Der Rechtsstreit war u.a. vom Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf zum EuGH getragen worden. Das LAG hatte über die Urlaubsabgeltung bei einem Arbeitnehmer zu entscheiden, der seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wegen einer Arbeitsunfähigkeit, die zu seiner Verrentung geführt hat, nicht ausüben konnte. Nach derzeitiger Gesetzeslage erlischt der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub am Ende des betreffenden Kalenderjahrs und spätestens am Ende eines Übertragungszeitraums. Dieser beträgt – vorbehaltlich einer tarifvertraglich vorgesehenen Abweichung zugunsten des Arbeitnehmers – drei Monate. War der Arbeitnehmer bis zum Ende dieses Übertragungszeitraums arbeitsunfähig, muss der nicht genommene bezahlte Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses nicht finanziell abgegolten werden.

Der EuGH verwies darauf, dass der Anspruch auf Krankheitsurlaub und die Details für seine Ausübung vom EU-Gemeinschaftsrecht nicht geregelt werden. Nach Abwägung gelangen die Richter zu der Entscheidung, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einem ordnungsgemäß krankgeschriebenen Arbeitnehmer nicht von der Voraussetzung abhängig gemacht werden könne, dass er während eines festgelegten Bezugszeitraums (= Urlaubsjahr) tatsächlich gearbeitet hat. Folglich könne ein Mitgliedstaat den Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums nur unter der Voraussetzung vorsehen, dass der betroffene Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, seinen Urlaubsanspruch auszuüben. Hatte er diese Möglichkeit nicht, müsse sein Urlaubsanspruch abgegolten werden. Er müsse so gestellt werden, als hätte er seinen Anspruch während der Dauer seines Arbeitsverhältnisses ausgeübt. Folglich sei das gewöhnliche Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers, das während der dem bezahlten Jahresurlaub entsprechenden Ruhezeit weiterzuzahlen sei, auch für die Berechnung der finanziellen Vergütung für bei Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub maßgebend. Diese Entscheidung widersprach der damaligen Rechtslage in der Bundesrepublik. Das Bundesurlaubsgesetz samt zugehöriger Rechtsprechung mussten daher entsprechend angepasst werden (EuGH, Urteil vom 20.1.2009, C-350/06 und C-520/06, Abruf-Nr. ).

In fortgesetzter Rechtsprechung des EUGH und BAG ergab sich dann letztlich: Bei langjährig arbeitsunfähigen Arbeitnehmern ist § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG, wonach im Fall der Übertragung der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden muss, unionsrechtskonform so auszulegen, dass der Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt. Der EuGH hat in der KHS-Entscheidung vom 22. November 2011 seine Rechtsprechung bezüglich des zeitlich unbegrenzten Ansammelns von Urlaubsansprüchen arbeitsunfähiger Arbeitnehmer geändert und den Verfall des Urlaubs 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres nicht beanstandet (so Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. August 2012 – 9 AZR 353/10).

Urlaubsanspruch: Verfall 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres auch bei Arbeitsunfähigkeit

Das Bundesarbeitsgericht (9 AZR 63/11) hatte sodann – nach weiterer ergänzender Entscheidung des EUGH – festgestellt, dass ein Verfall der gesetzlichen Urlaubsansprüche trotz Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres eintritt:

Aufgrund der Vorgaben des Art. 7 der 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie) ist § 7 Abs. 3 BUrlG zwar unionsrechtskonform dahin gehend auszulegen, dass der gesetzliche Urlaub nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist (BAG 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 47 ff., BAGE 130, 119). Die unionsrechtskonforme Auslegung hat jedoch nur zur Folge, dass der aufrechterhaltene Urlaubsanspruch zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzutritt und damit erneut dem Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG unterfällt (vgl. BAG 9. August 2011 – 9 AZR 425/10 – Rn. 19, AP BUrlG § 7 Nr. 52 = EzA BUrlG § 7 Nr. 125). Besteht die Arbeitsunfähigkeit auch am 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres fort, so gebietet auch das Unionsrecht keine weitere Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs (vgl. EuGH 22. November 2011 – C-214/10 – [KHS] Rn. 38, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7). Der zunächst aufrechterhaltene Urlaubsanspruch erlischt somit zu diesem Zeitpunkt (vgl. BAG 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 32 ff., NZA 2012, 1216).

Fazit: Urlaubsanspruch bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit

Das LAG Düsseldorf (5 Sa 416/11) hält die Rechtsprechung zum Urlaubsanspruch bei Arbeitsunfähigkeit insgesamt wie Folgt fest:

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20.01.2009 (- C 350/06 – und C 520/06 – AP Nr. 1 zu Richtlinie 2003/88/EG Schultz-Hoff) verfällt der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch nicht nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses fortgedauert hat, so dass er seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte. Der gesetzliche Mindesturlaub ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – unabhängig von der Erfüllbarkeit des Freistellungsanspruchs in einem gedachten fortbestehenden Arbeitsverhältnis – nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten (BAG 04.05.2010 – 9 AZR 183/09DB 2010, 1945; BAG 23.03.2010 – 9 AZR 128/09 – DB 2010; BAG 24.03.2009 – 9 AZR 983/07 – AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG; vgl. auch: LAG Hessen 07.12.2010 – 19 Sa 939/10NZA-RR 2011, 120, jeweils m. w. N.).

Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht nämlich mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses als reiner Geldanspruch selbst dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin bis zum Ende des Übertragungszeitraums am 31. März des dem Urlaubsjahr folgenden Jahres fortdauert (so ausdrücklich BAG 04.05.2010 – 9 AZR 183/09 – a. a. O.; BAG 23.03.2010 – 9 AZR 128/09 – a. a. O.).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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