Exzessiver privater E-Mail-Verkehr während der Arbeitszeit: Kündigung

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (12 SA 875/09) stellt fest:

Die außerordentliche Kündigung eines langjährig beschäftigten Arbeitnehmers kann auch ohne vorangegangene einschlägige gerechtfertigt sein, wenn der Mitabeiter über einen Zeitraum von mehr als 7 Wochen arbeitstäglich mehrere Stunden mit dem Schreiben und Beantworten privater E-Mails verbringt – an mehreren Tagen sogar in einem zeitlichen Umfang, der gar keinen Raum für die Erledigung von Dienstaufgaben mehr lässt. Es handelt sich in einem solchen Fall um eine „exzessive“ Privatnutzung des Dienst-PC.

Dabei muss aber gesehen werden, dass hier „exzessiv“ auch entsprechend zu verstehen ist. Der betroffene hatte wohl seinen Dienst-PC genutzt, um diverse Partnervermittlungsangebote im Internet in Anspruch zu nehmen.

Dabei stellt das Gericht fest:

Die Beschäftigung des Klägers mit der Pflege seiner privaten Kontakte hat dabei phasenweise einen zeitlichen Umfang angenommen, der ihm keinen Raum mehr für die Erledigung seiner Dienstaufgaben gelassen hat. […] Am 01.04.2008 hat der Kläger im Zeitraum von 08:56 Uhr bis 16:31 Uhr 110 E-Mail-Antworten (nach Rechnung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten: 111 E-Mail-Antworten) erhalten. Am 02.04.2008 waren es 118 E-Mails, am 16.04.2008 139 E-Mails, am 17.04.2008 183 E-Mails und am 21.04.2008 173 E-Mails. Ergänzend wird hier auf die datenmäßige Aufbereitung im Schriftsatz der Beklagten vom 28.05.2010 (Bl. 1103 d. A.) verwiesen.

Legt man für das Lesen und die Beantwortung einer Mail nur jeweils 3 Minuten zu Grunde, so ist ein Arbeitstag des Klägers, der tariflich mit 7 Std. und 48 Min. zu veranschlagen ist, bereits dann vollständig ausgefüllt, wenn der Kläger 156 private E-Mails „bearbeitet“ hat. Dies bedeutet, dass dem Kläger zumindest am 17.04., 21.04. und 23.04.2008 keinerlei Zeit mehr für die Bearbeitung seiner Dienstaufgaben verblieben ist.

Interessant ist auch, dass das Gericht sich mit einem möglichen Verwertungsverbot beschäftigt hat – immerhin wurden ja private Daten des Arbeitnehmers ohne Einwilligung verwendet. Richtigerweise stellt das Gericht hierbei mit Blick auf die Grundrechte fest:

Gestattet ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern, den Arbeitsplatzrechner auch zum privaten E-Mail-Verkehr zu nutzen und E-Mails, die von den Mitarbeitern nicht unmittelbar nach Eingang oder Versendung gelöscht werden, im Posteingang oder -ausgang zu belassen oder in anderen auf lokalen Rechnern oder zentral gesicherten Verzeichnissen des Systems abzuspeichern, unterliegt der Zugriff des Arbeitgebers oder Dritter auf diese Datenbestände nicht den rechtlichen Beschränkungen des Fernmeldegeheimnisses. Schutz gegen die rechtswidrige Auswertung dieser erst nach Beendigung des Übertragungsvorganges angelegten Daten wird nur durch die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung bzw. auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gewährt (Hessischer Verwaltungsgerichtshof 19.05.2009, 6 A 2672/08.Z, NJW 2009, 2470 – 2473).

Es war somit eine Güterabwägung vorzunehmen, wobei das Gericht zum Ergebnis kommt, dass das Interesse des Arbeitgebers zum einen überwiegt, zum anderen aber auch bei der konkreten Fallkonstellation gar kein milderer Eingriff möglich war.

Vollkommen zu Recht stellt das LAG dabei fest, dass der Arbeitnehmer – ein stellvertretender Leiter eines Amtes im Rathaus – sich hier gerade nicht auf seine gehobene Position berufen konnte: Insbesondere in dieser Position bei seinem entsprechenden Gehalt (4.800 Euro Brutto) musste ihm klar sein, dass die Behörde es nicht toleriert, wenn er seine ganze mit privaten Dingen verbringt.

Dabei hat sich der betroffene Arbeitnehmer auch nicht gerade klug angestellt, wie man im Urteil liest:

Dabei lässt der Wortlaut einiger E-Mail-Nachrichten erkennen, dass sowohl der Kläger als auch seine Kommunikationspartnerinnen zumindest partiell ein Unrechtsbewusstsein bei ihrem Tun hatten. So schrieb „hpe“ dem Kläger am 12.03.2008 um 15:43 Uhr: „ja dir auch, denk dran die mails zu löschen“ (Bl. 267 d. A.).

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Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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