Der Wortlaut des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB
ist eindeutig und daher weder auslegungsbedürftig noch auslegungsfähig. Auch sonstige Gründe, die etwa eine teleologische Reduktion des Wortlautes erforderlich machen würden, liegen nach einer Entscheidung der 2. Vergabekammer des Bundes (VK 2 – 77/20) nicht vor.
Nach den streitgegenständlichen Feststellungen im Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes hatte sich die Antragstellerin (ASt) an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen beteiligt. Die im Bußgeldbescheid in Bezug genommenen umstrittenen Sachverhalte ereigneten sich im Zusammenhang mit Vergabeverfahren. Neben einer Ordnungswidrigkeit nach § 1 GWB, die der ASt als Unternehmen zur Last gelegt wird, ist über § 1 GWB hinaus auch der Anwendungsbereich des § 298 StGB als Strafnorm eröffnet, soweit es sich um persönlich betroffene Personen handelt. Die ASt folgert hieraus, dass thematisch nicht der Ausschlusstatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB einschlägig sei, sondern vielmehr § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB, der an das nachweisliche Vorliegen einer schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit anknüpfe.
GWB-Bußgeld: Bestrittener Sachverhalt
Auch wenn noch nicht abschließend feststeht, ob tatsächlich ein Verstoß gegen § 1 GWB zu beanstanden ist, steht dies der Verhängung eines Bußgeldes nicht entgegen: Eine solche abschließende Gewissheit im Sinne eines feststehenden und unumstößlichen Ergebnisses ist nicht erforderlich, da der Anwendungsbereich des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu weit eingeschränkt würde, wenn man den Begriff der „hinreichenden Anhaltspunkte“ in einem derart engen Sinne verstehen würde (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Januar 2018, VII-Verg 39/17).
Auch die Gesetzesbegründung legt dies nicht nahe (BT-Drs. 18/6281, S. 106). Liegt eine Entscheidung des Bundeskartellamtes vor, ist es nicht zu beanstanden, wenn ein öffentlicher Auftraggeber hieran anknüpft und daraus die hinreichenden Anhaltspunkte ableitet. Eine Entscheidung des Bundeskartellamtes ergeht auf der Grundlage umfangreicher Ermittlungen in einem förmlichen Verfahren.
Daraus kann ein Auftraggeber in der Regel – und eine solche liegt hier vor – auf das Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte schließen, ohne die Entscheidung des Bundeskartellamtes seinerseits auf den Prüfstand stellen oder in Frage stellen zu müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der öffentliche Auftraggeber, der ein Vergabeverfahren durchführt, weder über kartellrechtliche Ermittlungsbefugnisse noch regelmäßig über vertiefte kartellrechtliche Kenntnisse verfügt. Kartellrechtliche Fragen, wie z.B. die Verjährung, sind regelmäßig schwierig und komplex; es würde einen öffentlichen Auftraggeber im Vergabeverfahren inhaltlich und zeitlich überfordern, derartige Sachverhalte selbst zu ermitteln und die damit verbundenen Fragen zu lösen. Er darf auf eine Entscheidung des Bundeskartellamtes und deren Richtigkeit vertrauen und hieraus hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Absprache entnehmen.
Zum Anwendungsbereich des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB
Hierzu wird im Beschluss ausgeführt:
Neben den abgestimmten Verhaltensweisen erfasst § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB Vereinbarungen, die ein Unternehmen zu wettbewerbsbeschränkenden etc. Zwecken mit anderen Unternehmen abschließt. Auch eine Submissionsabsprache als Straftat i.S.d. § 298 Abs. 1 StGB erfüllt zugleich auch – als besonderer Fall – den Tatbestand der wettbewerbseinschränkenden Vereinbarung einer Kartellordnungswidrigkeit i.S.v. § 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV i.V.m. § 81 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Abs. 1 Nr. 1 GWB.
Letztere diese wird nicht dadurch verdrängt, dass zusätzlich ein Straftatbestand im Raum steht. Der Straftatbestand des § 298 StGB kommt vielmehr additiv hinzu und überlagert aufgrund seines größeren Unrechtsgehalts die ebenfalls vorliegende Ordnungswidrigkeit (§ 21 Abs. 1 OWiG). Diese lebt wieder auf, wenn keine Strafe verhängt wird (§ 21 Abs. 2 OWiG). Dies gilt allerdings nur für die persönlich betroffenen natürlichen Personen, nicht aber für die nebenbetroffenen Unternehmen als juristische Personen. Bei diesen verbleibt es auch im Fall eines Submissionsbetrugs bei einer Ordnungswidrigkeit gem. § 30 Abs. 1 OWiG, wegen der die Kartellbehörde auch selbständig eine Geldbuße festsetzen kann, wenn das Strafverfahren gegen den persönlich betroffenen Anknüpfungstäter von der zuständigen Staatsanwaltschaft nicht eröffnet oder eingestellt wird (§ 30 Abs. 4 Satz 1 OWiG).
(2) Diese gesetzliche Konstruktion wirkt sich jedoch vergaberechtlich für § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB weder dergestalt aus, dass § 298 StGB für die Anwendung dieses Ausschlusstatbestands Voraussetzung wäre noch in der hier von der ASt angenommenen anderen Richtung dahin, dass die Anwendbarkeit entfiele, wenn es sich nicht nur um eine Kartellordnungswidrigkeit, sondern zugleich um eine Straftat
gem. § 298 StGB handelt.Der Wortlaut von § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB stellt allein auf das betroffene Unternehmen ab und differenziert weder nach den Tatbeständen wettbewerbswidriger Vereinbarungen noch danach, ob ein – unterstellt – nach § 1 GWB ordnungswidriges
Verhalten in Bezug auf die für das betreffende Unternehmen handelnden Personen gleichzeitig auch unter § 298 StGB fällt bzw. fallen kann. Die Bestimmung stellt lediglich ohne Unterscheidung auf das Vorliegen von wettbewerbsbeschränkenden Abreden zwischen Unternehmen ab.Der Wortlaut von § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB ist klar und damit weder auslegungsbedürftig noch auslegungsfähig. Ein Ausklammern von Submissionsabsprachen vom Anwendungsbereich des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB würde angesichts dieses klaren Wortlauts aber nicht nur eine nicht gebotene Auslegung darstellen, sondern weitergehend sogar im Gegensatz zum eindeutigen Wortlaut stehen.
(3) Eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs von § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB entgegen dem eindeutigen Wortlaut ist weder in der Sache noch aufgrund eines größeren systematischen Gesetzeszusammenhangs geboten.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Wortlaut des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB auf die Übernahme der Vorschrift des Art. 57 Abs. 4 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EG zurückgeht und es auf europäischer Ebene und in den meisten Mitgliedstaaten der EU ein Nebeneinander der Ahndung von Wettbewerbsdelikten als Kartellordnungswidrigkeiten und Straftaten nicht gibt.
Auch der Gesetzesbegründung des deutschen Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie ist nicht zu entnehmen, dass im Rahmen des fakultativen Ausschlussgrundes des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB danach zu differenzieren wäre, ob die Kartellordnungswidrigkeit zusätzlich auch den Tatbestand des § 298 StGB als Straftat verwirklicht. Es soll vielmehr nach Auffassung des Gesetzgebers genügen, „wenn eine Kartellbehörde einen Verstoß in einer Entscheidung festgestellt hat“ (BT-Drs. 18/6281, S. 106).Ein Verständnis im Sinne der ASt, wonach Submissionsabsprachen a priori vom Anwendungsbereich des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB ausgenommen wären, liefe im Gegenteil auf eine Privilegierung solcher Absprachen hinaus, obwohl diese als besonders schädlich angesehen werden und daher von der Rechtsordnung nicht allein als Ordnungswidrigkeit, sondern darüber hinaus auch in strafrechtlicher Hinsicht sanktioniert werden. Dies würde einen Wertungswiderspruch darstellen. Nach der Systematik der gesetzlichen Ausschlusstatbestände knüpfen die Fallgruppen der zwingenden Ausschlussgründe des § 123 GWB an das Vorliegen von rechtskräftigen Entscheidungen an. Der Gesetzgeber hat sich dabei bewusst entschieden, die Straftat des § 298 StGB nicht als Katalogtat in § 123 Abs. 1 GWB aufzunehmen.
Bei den fakultativen Ausschlussgründen wird gerade nicht das Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung verlangt Ebenso wenig ergibt sich eine Notwendigkeit für die Nichtanwendung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB aus einer Gesamtschau mit dem Wettbewerbsregistergesetz (WRegG), auf dessen Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 3 WRegG die ASt abstellt. Nach dieser Bestimmung, so meint die ASt, dürfen Bußgeldentscheidungen, die sich auf Submissionsabsprachen beziehen, lediglich dann in das zukünftige Wettbewerbsregister eingetragen werden, wenn es sich um rechtskräftige Bußgeldentscheidungen handelt; § 2 Abs. 2 WRegG, wonach Bußgeldentscheidungen über 50.000.- € auch ohne Rechtskraft einzutragen sind, wenn es sich um reine Ordnungswidrigkeiten handelt, gelte für Submissionskartelle nicht. Vorliegend ist der Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts vom […] durch die ASt angefochten worden, so dass die Voraussetzung der Rechtskraft nicht vorliegt.
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