Ein Anwaltsvertrag, der im Zuge des Fernabsatzes geschlossen wird, kann widerrufen werden – allerdings gilt dies nicht alleine, nur weil überhaupt das Mandat via Kommunikationsmittel zu Stande kam: Die Frage ist, ob ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vorliegt.
Der Bundesgerichtshof hat insoweit schon früher klargestellt, dass bei einem Rechtsanwalt ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem nicht bejaht werden kann, „wenn dieser lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz, etwa einen Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und Faxanschlüsse vorhält, die auch sonst zur Bewältigung des Betriebs einer Anwaltskanzlei erforderlich sind“. Alleine dass mittels Mail oder Telefon ein Auftrag zu Stande kommt reicht also nicht – der Bundesgerichtshof (IX ZR 133/19) konnte dies Ende 2020 nochmals vertiefen.
Der BGH führt nun vertiefend aus, dass insbesondere die Außendarstellung bei der Frage nach einem auf den Fernabsatz ausgerichteten Betrieb von besonderer Bedeutung ist:
Bei einem Rechtsanwalt ist dies etwa der Fall, wenn er seine Kanzlei so organisiert hat, dass gerade für die von ihm erstrebten Mandate typischerweise weder für die Vertragsverhandlungen noch für den Abschluss des Mandatsvertrags eine gleichzeitige, persönliche Anwesenheit von Mandant und Anwalt erforderlich ist und der Anwalt eine Mandatserteilung unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Außenverhältnis gegenüber Dritten aktiv bewirbt.
Beweislast bei Vertragsabschluss
Mit dem BGH muss ein Rechtsanwalt, der einen Anwaltsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen hat, darlegen und beweisen, in welcher Form er seine Rechtsanwaltskanzlei im Hinblick auf Verhandlungen und Abschluss eines Anwaltsvertrags organisiert hat.
Dabei muss er in erster Linie darlegen und beweisen, dass die für ein auf den Fernabsatz ausgerichtetes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem sprechenden Indizien in seinem Fall keinen Rückschluss darauf zulassen, dass seine Rechtsanwaltskanzlei darauf eingerichtet ist, Verträge im Rahmen eines solchen Systems zu bewältigen. Der Anwalt kann dabei auch darlegen und beweisen, dass er kein solches System eingerichtet hat und die ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln bei Vertragsverhandlungen und -schluss nur zufällig erfolgte, etwa aus besonderen Gründen des Einzelfalls. In dem vorliegenden Fall musste der BGH dazu allerdings nichts konkreteres sagen, denn der Fall war recht eindeutig, wie der Leitsatz offenbart:
Ist ein auf ein begrenztes Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt deutschlandweit tätig, vertritt er Mandanten aus allen Bundesländern und erhält er bis zu 200 Neuanfragen für Mandate pro Monat aus ganz Deutschland, kann dies bei einer über die Homepage erfolgenden deutschlandweiten Werbung im Zusammenhang mit dem Inhalt seines Internetauftritts für ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem sprechen.
(Weiter unten dann:) Unter dem Stichwort „Mandatserteilung“ erklärt sie, dass der Ortsbezug immer mehr an Bedeutung verliere, die vermeintliche persönliche Erreichbarkeit nicht entscheidend sei und Entfernung keine Rolle spiele. Dank ihrer modernsten technischen Ausstattung könne sie das Anliegen der Mandanten schnell und ohne Zeitverlust bearbeiten.
Die Werbung macht es…
Aus der Bewerbung der eigenen Leistung lässt sich herauslesen, wie man arbeitet – darum kommt dem eigenen Auftritt eines Anwalts im Internet bei dieser Frage mit dem BGH „erhebliche Bedeutung zu“:
Die planmäßige Werbung eines Unternehmers mit dem Angebot eines Vertragsschlusses unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln spricht für eine Fernabsatzorganisation (…)
Angesichts von bis zu 200 Neuanfragen für Mandate pro Monat aus ganz Deutschland bei nur einem Hauptsitz und drei weiteren Kontaktstellen sprechen diese Indizien in ihrer Gesamtheit dafür, dass die Beklagte ihre An- waltskanzlei darauf eingerichtet hat, dass jederzeit und wiederholt Vertrags- schlüsse ohne gleichzeitige persönliche Anwesenheit der Parteien in großer Zahl möglich sind, ohne dass die Beklagte hierzu besondere Maßnahmen ergreifen müsste.
Es kommt halt drauf an, dabei bleibt es bei dem Grundsatz, dass nur weil der Anwaltsvertrag per Mail oder Telefon geschlossen wurde, gerade noch kein Widerrufsrecht im Raum steht. Anders aber dann, wenn dies offenkundig das Standard-Geschäftsmodell ist – eine hohe Mandatsanzahl, die mit der geringen Anzahl lokaler Büros nicht in Einklang zu bringen ist, ist dabei ein erheblicher Faktor; ebenso, wenn man selber die Auffassung vertritt, dass ein persönlicher Kontakt ohnehin nur unnötig ist.
Hier beginnt bereits die Frage, wie man die eigene Leistung definiert. -wir etwa vertreten die Auffassung, dass gerade im Strafrecht der persönliche Eindruck ausschlaggebend ist. Ein Ratgeber, zu dem man kein Vertrauen fassen kann weil es einfach nicht harmoniert, dessen Ratschläge wird man nicht annehmen können. Darum sollte nach unserer Auffassung immer ein persönliches Gespräch am Anfang stehen in dem man sich gegenseitig (!) kennenlernt und jeder überlegen kann, ob eine Zusammenarbeit sinnvoll ist. Darum sind wir beispielsweise auch nur regional tätig! In vielen standardisierten Bereichen des Zivilrechts mag man dies anders sehen – ich persönlich denke aber, je standardisierter etwas ist, umso eher ist es für Legal Tech Angebote geeignet und weniger für die aufwendige personalisierte Arbeit eines Rechtsanwalts.
Jens Ferner
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