In der Strafzumessung, die im Detail wohl nur Studenten mit dem Schwerpunkt Strafrecht beherrschen müssen, gibt es etwas, dass sich „Antinomie der Strafzwecke“ nennt. Ich möchte dazu hier ein paar Zeilen als einfache Einführung schreiben.
I. Antinomie der Strafzumessung
Wer der h.M. (präventive Vereinigungstheorie) folgt im Bereich der Strafzumessung, stolpert über einen Widerspruch:
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Einerseits ist die Schuld die Grundlage der Strafe und kann für das Strafmaß in die eine Richtung zeigen,
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andererseits kann die präventive Zielrichtung eine ganz andere Richtung vorgeben
Ein einfaches und vielzitiertes Beispiel ist der „geistig leicht zurückgebliebene“, der ständig Autos stiehlt und vor Gericht darauf hinweist, dass er das auch zukünftig machen werde. Hier ist das Schuldmaß eher gering, das präventiv anzulegende Maß eher hoch. Man merkt schnell, wie die zwei Prämissen quer laufen können. Dies ist, was als „Antinomie“ bezeichnet wird.
II. Die Theorien
Um das in den Griff zu bekommen, gibt es drei Theorien, von denen eine die absolute h.M. ist. Ich stelle sie kurz vor.
(1) Die Spielraumtheorie
Die Spielraumtheorie sollte man mal gehört haben: Sie ist gängige Praxis und absolut h.M. Bei ihr sieht es so aus, dass der Richter einen Beurteilungsspielraum hat, in dem er variieren kann. Die Grenzen dieses Spielraums werden durch die schuldangemessene Strafe vorgegeben, wobei die untere Grenze die „schon schuldangemessene“ Strafe ist, während die obere Grenze die „noch schuldangemessene“ Strafe darstellt. Zwischen den beiden Polen bewegt sich dann der Richter, wobei er die präventiven Gesichtspunkte berücksichtigen kann.
Hierbei gibt es dann einen Streit, wenn gefragt wird – vielfach in der Literatur zu lesen – ob die schuldangemessene Strafe ausnahmsweise wegen präventiver Erwägungen unterschritten werden darf (ein Überschreiten kommt wegen des Schuldprinzips nicht in Frage!). Roxin etwa bejaht eine Unterschreitung, Jescheck lehnt sie ab. Insgesamt erscheint es sinnvoll, ausnahmsweise ein Unterschreiten zu erlauben (siehe Roxin), was aber die wohl h.M. insgesamt ablehnt.
(2) Stellenwerttheorie
Hier wird in zwei Stufen (daher auch manchmal Stufentheorie) vorgegangen: Zuerst wird anhand der Schuld das Maß der Strafe festgelegt. Also z.B. X Tage. Erst danach wird mit dem Präventionsgedanken die Art der Strafe (Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, Bewährung etc.) ausgesucht. In Zweifelsfragen ist dabei im Rahmen der Festsetzung des Maßes immer unten anzusiedeln. Zu finden u.a. im SK-StGB §46, Rn.33.
(3) Tatproportionalität
Hier macht man es sich einfach: Es wird alleine auf das Unrecht der Tat abgestellt, also Erfolgs- und Handlungsunrecht. Dabei werden die Schuld mindernde Umstände berücksichtigt, aber jegliche Umstände, die in der Täterpersönlichkeit zu suchen sind, bleiben aussen vor. Das Ergebnis ist, dass sich die Antinomie gar nicht erst ergibt. Lesen kann man dies bei Hörnle „Tatproportionale Strafzumessung“.
(4) Jakobs
Bei Jakobs existiert die Frage nichtmal, weil bei ihm die Schuldangemessene Strafe immer eine punktuelle Grösse ist, wobei er Erklärungen schuldig bleibt, wie man die festlegt. Hintergrund ist sein Schuldbegriff und seine Ansicht, dass (positive Generalprävention) nur das als Strafe angezeigt ist, was geeignet ist, das Vertrauen in den Bestand der Norm zu erhalten. Ein Unterschreiten gibt es dabei genausowenig wie ein Überschreiten.
III. Kritiken
Es gibt zahlreiche Kritik in dem Bereich von den Theorien untereinander:
(1) Vor allem wird an der theoretischen Überlegung Anstoss genommen, dass präventive Überlegungen überhaupt zur Festsetzung des Strafmaßes taugen: Einerseits ist man sich nichtmal einig welche Teorie (negative/positive Spezial-/Generalprävention – stelle ich noch dar) überhaupt Gültigkeit haben kann. Andererseits fehlt jeglicher empirischer Beweis der Wirkung solcher Ansätze.
(2) Es ist anzumerken, und das ist ein erheblicher Schönheitsfehler, dass ab zwei Jahren Strafe gar keine Option mehr besteht, welche Art der Sanktion gewählt werden soll. Insofern hat die Theorie nur im Bereich bis 2 Jahren eine echte Wirkung, wobei ihr hier vorgworfen wird, dass sie die Wirkungen der Strafe beim Täter ausblendet – gerade bei geringeren Strafen ist es wichtig, den Täter zu beachten. Meier weist darauf hin, dass bei der Entscheidung ob 90 Tagessätze in Geld oder in Freiheitstrafe zu verhängen sind, eben keine Gleichwertigkeit der Sanktionsart anzunehmen ist, die diese Theorie suggeriert.
(3) Die Theorie verkennt jegliche nachgewiesene Wirkung präventiver Ansätze: Zwar ist der präventiove Ansatz im Details bis heute ungeklärt, doch es ist unfraglich dass er existiert und in den meisten Fällen auch funktioniert.
(4) Jakobs hat das vielfach kritisierte Problem, dass jeglicher empirischer Ansatz fehlt: Einerseits ist schon fraglich, ob die am Normvertrauen orientierte nötige Strafe wirklich immer verhältnismässig ist, andererseits ist nicht bestimmbar wo die genau liegen soll.
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