Altersdiskriminierung durch Sprache: LAG Baden-Württemberg erkennt Begriff „Digital Native“ als Indiz für Benachteiligung

Mit Urteil vom 7. November 2024 (Az. 17 Sa 2/24) hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg eine wichtige Entscheidung zur Altersdiskriminierung im Bewerbungsverfahren getroffen. Es geht um die Verwendung des Begriffs „Digital Native“ in einer Stellenausschreibung und die damit einhergehende Frage, ob hierin eine unmittelbare Benachteiligung älterer Bewerber liegt. Die Antwort des Gerichts ist klar: Wer mit „Digital Native“ gezielt ein jüngeres Bewerberprofil anspricht, verstößt gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Sachverhalt

Ein 1972 geborener Diplom-Wirtschaftsjurist bewarb sich auf eine ausgeschriebene Position als „Manager Corporate Communications“ bei einem international tätigen Sportartikelunternehmen. Die Stellenanzeige richtete sich explizit an Personen, die sich „als Digital Native“ in der Welt der Social Media und datengetriebenen Kommunikation zu Hause fühlen. Der Bewerber erhielt eine Absage und klagte auf Entschädigung wegen Altersdiskriminierung. Die Beklagte verteidigte sich mit dem Argument, es sei nicht auf das Alter, sondern auf digitale Kompetenz abgestellt worden. Zudem sei der Bewerber überqualifiziert gewesen, habe eine zu hohe Gehaltsvorstellung gehabt und keine erkennbare Sportaffinität gezeigt.

Rechtliche Würdigung

Das Landesarbeitsgericht stellte fest, dass die Verwendung des Begriffs „Digital Native“ in der konkreten Formulierung der Stellenanzeige als Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG zu werten sei. Der Begriff sei eindeutig generationengebunden und bezeichne Personen, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind – also typischerweise ab den frühen 1980er-Jahrgängen. Das Gericht verwies dabei auf die Definitionen im Duden und in der Fachliteratur, nach denen „Digital Natives“ als Gegenstück zu „Digital Immigrants“ verstanden werden – also älteren Menschen, die sich digitale Kompetenzen erst später aneignen mussten. Damit knüpfe die Stellenanzeige zumindest mittelbar an das Alter an.

Nach § 22 AGG genügt es in einem solchen Fall, dass der abgelehnte Bewerber Indizien vorträgt, die eine wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals vermuten lassen. Die Beklagte hätte nun ihrerseits den Beweis führen müssen, dass die Entscheidung ausschließlich aus anderen, nichtdiskriminierenden Gründen getroffen wurde. Dieser Nachweis gelang ihr nicht. Zwar verwies sie auf die Überqualifikation und die Gehaltsvorstellungen des Klägers, legte jedoch kein strukturiertes Auswahlverfahren offen, das eine Diskriminierung sicher ausschließt. Das Gericht betonte, dass ein Arbeitgeber darlegen müsse, nach welchen Kriterien Bewerbungen aussortiert wurden, und dass diese Kriterien nicht willkürlich zur Verdeckung diskriminierender Motive genutzt werden dürfen.

Auch ein möglicher Rechtsmissbrauch des Klägers – etwa durch Bewerbung allein mit dem Ziel der späteren Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs – wurde vom Gericht verneint. Der Kläger erfüllte das Anforderungsprofil der Stelle, war nachweislich ortsflexibel und hatte seine Bewerbung in üblicher Weise eingereicht. Weder die Tatsache, dass er überdurchschnittlich qualifiziert war, noch seine Gehaltsvorstellung oder sein Wohnort reichten aus, um eine rein taktische Bewerbung zu unterstellen. Vielmehr stellte das Gericht fest, dass die Bewerbung ernsthaft erfolgt sei und dass der Kläger tatsächlich am Stellenangebot interessiert war.

Die Entschädigung wurde auf 7.500 Euro festgesetzt, was nach Ansicht des Gerichts 1,5 Monatsgehältern auf der ausgeschriebenen Position entspricht und als angemessen im Sinne von § 15 Abs. 2 AGG zu bewerten ist. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu, da die Entscheidung auf höchstrichterlich geklärten Grundsätzen beruht.

Arbeitgeber sind gut beraten, bei der Formulierung von Stellenanzeigen besondere Sorgfalt walten zu lassen und auf Begriffe zu verzichten, die implizit bestimmte Altersgruppen ausschließen. Die Entscheidung macht unmissverständlich klar, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht nur auf offene Diskriminierung reagiert, sondern auch subtile sprachliche Ausgrenzungen sanktioniert. Die Kernaussage lautet: Wer Bewerber sucht, sollte auf Fähigkeiten zielen – nicht auf Generationenzugehörigkeit.

Fazit

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg stellt einen juristisch und gesellschaftlich relevanten Beitrag zur Präzisierung des Benachteiligungsverbots im Arbeitsrecht dar. Es verdeutlicht, dass moderne Begrifflichkeiten wie „Digital Native“ trotz ihrer scheinbar neutralen Technikorientierung altersdiskriminierend wirken können, wenn sie generationenspezifisch interpretiert werden.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung.
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht - zertifizierter Experte in Krisenkommunikation & Cybersecurity)
Letzte Artikel von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht - zertifizierter Experte in Krisenkommunikation & Cybersecurity) (Alle anzeigen)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht - zertifizierter Experte in Krisenkommunikation & Cybersecurity)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung.