Das Amtsgericht Köln (142 C 641/14) beweist wieder einmal einen starken Grundsatz in unserem Rechtssystem: Der Richter ist frei und insbesondere nicht an andere Rechtsprechung gebunden. Das bedeutet, wenn der BGH eine Angelegenheit (vermeintlich) abschliessend klärt, heisst das noch lange nicht, dass jedes Gericht dann genauso entscheidet.
Vorliegend geht es darum, dass der BGH festgestellt hat, dass bei unklarer Rechtslage, die eine Klageerhebung geradezu unzumutbar erscheinen lässt, die Verjährung bis zur Klärung der Rechtslage gehemmt ist. Dies wurde vom BGH zuletzt ausgeweitet – von dem hier zuständigen Richter aber nicht begrüßt. Dieser stellt vielmehr fest
Die von dem BGH vorgenommene Erweiterung der Fälle des hinausgeschobenen Verjährungsbeginnes wegen Unzumutbarkeit der Klageerhebung auch bei anspruchsfeindlicher Rechtsprechung stellt eine unzulässige Rechtsfortbildung dar.
Zack, so kann es kommen – mit dem BGH im Rücken trifft man beim Amtsgericht auf jemanden der es anders sieht und schon ist die Sache verloren (in erster Instanz).
Die Entscheidung – unten zitiert – ist keineswegs nur ein Kuriosum amtsgerichtlicher Stilblüten, sondern in der Argumentation durchaus beachtlich. Die Ausführungen sind Lesenswert und äusserst tragbar. Auch wenn es befremdlich wird, wenn mit der „Nazikeule“ auf Missbrauchsgefahren verwiesen wird wenn der BGH eine (gefestigte) Rechtsfortbildung betreibt; allein es hilft nicht: Der BGH sieht es anders und Punkt. Es verbleibt damit insgesamt dabei, dass bei Unzumutbarkeit der Klageerhebung eine Verjährungshemmung eintritt. Andererseits darf diese nie zu früh angenommen werden, einfache Unsicherheiten oder unklare Risiken sind niemals ausreichend.
Dazu auch von mir: Verjährung: Wann verjähren Forderungen – wie hemmt man die Verjährung?
Aus der Entscheidung:
Festzustellen ist zunächst, dass die gesetzlichen Verjährungsregeln weder die Rechtsfigur der Verjährungshemmung wegen unsicherer, zweifelhafter Rechtlage kennen noch eine Verjährungshemmung wegen entgegenstehender ständiger Rechtsprechung. Beide Fallgruppen werden von dem BGH auch nicht als eine Frage der Verjährungshemmung behandelt sondern als Frage des Verjährungsbeginnes. Es handelt sich um eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, in dem der Beginn der Verjährung von der Kenntnis des Gläubigers abhängig ist. Insoweit ist dem Tatbestand dieser Norm als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal neben der Kenntnis die Zumutbarkeit der Klageerhebung hinzugefügt worden. Eine solche Tatbestandsergänzung wäre nach den allgemeinen Regeln zur Analogie zulässig, wenn es eine planwidrige Regelungslücke bei gleichzeitigem Regelungsbedarf gibt.
Das Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber das Problem der Zumutbarkeit der Klageerhebung nicht erkannt hat, also eine Planwidrigkeit vorliegt. Tatsächlich hat der Gesetzgeber das Problem nicht im § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB verortet sondern in § 206 BGB. Nach dieser Vorschrift ist die Verjährung gehemmt, wenn der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Ein Unterfall der höheren Gewalt ist der Stillstand der Rechtspflege. In diesen Fällen kann von dem Gläubiger eine klageweise Geltendmachung seines Anspruches objektiv nicht erwartet werden. Sie ist unzumutbar. Die Frage, ob und wenn ja in welchen Fällen die Zumutbarkeit der Klageerhebung die Verjährung beeinflusst ist demgemäss keine Frage des Verjährungsbeginnes sondern der Hemmung und sie muss sich nicht an § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB messen lassen, sondern an § 206 BGB. Dies ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien. In der Entwurfsbegründung zum § 206 BGB wird die Fallgruppe der anspruchsfeindlichen Rechtsprechung ausdrücklich erwähnt und ausgeführt, dass die bisherige Rechtsprechung in diesem Bereich, die die Hemmung der Verjährung verneint hat, sachegerecht ist (BT-Drucksache 14/6040 Seite 119 vorletzter Absatz zu § 206 BGB). Der Gesetzgeber hat damit die Frage des Einflusses der Rechtsprechung auf die Zumutbarkeit einer Klageerhebung in § 206 BGB verortet und sie zugleich – entgegen dem BGH – dahingehend beantwortet, dass eine geänderte Rechtsprechung zu keiner Hemmung führt. Ausdrücklich wird einer Entscheidung des BAG zugestimmt, in der ausgeführt wird, dass eine ständige, einen bestimmten Anspruch ablehnende Rechtsprechung eine entsprechende Anwendung des § 202 BGB a.F. grundsätzlich nicht rechtfertigen kann (BAG, NJW 1962, 1077 f.)
Allerdings schliesst dieses systematische und historische Argument nicht aus, dass auch § 206 BGB weit ausgelegt wird und neben den Fällen der Unzumutbarkeit der Klageerhebung wegen Stillstandes der Rechtspflege als Unterfall der höheren Gewalt auch die Fälle erfasst, dass eine Klage wegen entgegenstehender Rechtsprechung im Zeitpunkt der Fälligkeit eines Anspruches aussichtlos ist. Doch ist bei einer solchen Auslegung der Ausnahmecharakter des § 206 BGB zu beachten. Es ist weiter zu beachten, dass § 206 BGB – so auch der BGH (a.a.O. Rn 51) – eine Norm ist, die den Schutz des Schuldners dient. Es ist also unter Berücksichtigung dieser Systematik des Gesetzes eine am Sinn und Zweck der Norm und des Verjährungsrechtes insgesamt orientierte Abwägung vorzunehmen, ob eine Ausdehnung der Verjährungshemmung auf die Fälle der Unzumutbarkeit der Klageergebung wegen anspruchsfeindlicher Rechtsprechung geboten ist.
Diese Abwägung führt zur Ablehnung dieses vom BGH vertretenen Rechtsprechungsgrundsatzes der anspruchsfeindlichen ständigen Rechtsprechung. Das Verjährungsrecht soll einerseits dem Gläubiger ausreichend Gelegenheit geben, das Bestehen einer Forderung zu erkennen, die Berechtigung zu prüfen und Beweismittel zu sammeln, andererseits soll der Schuldner vor Nachteilen geschützt werden, die der Ablauf von Zeit bei der Abwehr unbegründeter Ansprüche mit sich bringt, gerade in Hinblick auf eine mit Zeitablauf wachsende Beweisnot. Auch ist das Vertrauen des Schuldners zu schützen, nach Ablauf einer langen Zeit nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Er wird in seiner Dispositionsfreiheit beschränkt und verliert ggfs. Regressansprüche gegen Dritte. Schliesslich dient das Verjährungsrecht der Rechtssicherheit. Das erfordert klare und einfache Regeln. Sie müssen berechenbar und vorhersehbar sein. Unbillige Ergebnisse im Einzelfall sind hinzunehmen (vgl. hierzu insgesamt BT-Drucksache 14/6040 95 f.).
Eine Hemmung der Verjährung wegen anspruchsfeindlicher Rechtsprechung dient alleine dem Gläubigerinteresse, seine im Zeitpunkt der Fälligkeit unbegründeten Ansprüche doch noch bis zur 10 Jahres Grenze des § 199 Abs. 4 BGB erheben zu können. Das Interesse des Schuldners nach drei Jahren vor einer Inanspruchnahme sicher zu sein, wird nicht berücksichtigt. Dieses Ergebnis steht in eklatantem Widerspruch zu dem vom Gesetzgeber mit dem Verjährungsrecht und insbesondere der Regelverjährung von drei Jahren (§195 BGB) verfolgten Zweck des Ausgleiches zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen (vgl. hierzu Wardenbach, BB 2015, 2 ff ( 8 f.)). Das Gebot der Rechtssicherheit wird ebenfalls verfehlt. Es bleibt nach dem Urteil des BGH vom 28.10.2014 unklar, wann eine anspruchsfeindliche ständige Rechtsprechung anzunehmen ist. Es stellt sich die Frage, ob es hierbei auf eine bestimmte Dauer einer einheitlichen Rechtsprechung ankommt oder genügt ein Aufsatz oder ein Urteil um eine Anspruchsfeindlichkeit feststellen zu können. Weiter lässt sich fragen, ob die Anspruchsfeindlichkeit von einer intensiven Auseinandersetzung mit einer bestimmten Rechtsfrage in Rechtsprechung und Literatur abhängen soll oder genügen apodiktische Feststellungen oder obiter dicta bzw. ist Massstab für eine anspruchsfeindliche Rechtsprechung nur die Rechtsprechung des BGH selbst, mit der Folge dass er den Anwendungsbereich des Rechtsprechungsgrundsatzes unter Umgehung des Gesetzgebers selbst bestimmt oder genügt die Rechtsprechung von allen oder mehreren Oberlandesgerichten oder sogar Instanzgerichten als Kriterium. Solche Unsicherheiten, die auch alle Rechtsanwender berühren, sind gerade im Verjährungsrecht, dessen Regelungen einfach und klar sein sollen, nicht hinzunehmen.
Ein weiterer Aspekt, der gegen die Anerkennung einer Verschiebung des Fristbeginnes der Verjährung wegen anspruchsfeindlicher Rechtsprechung spricht, ist die in die in der Unbestimmtheit dieser Rechtsfigur liegende Gefahr einer willkürlichen Anwendung. Dem BGH ist zuzugestehen, dass er mit seiner Rechtsprechung im konkreten Fall der Bearbeitungsentgelte bemüht war, Ungerechtigkeiten zu vermeiden, die dadurch entstanden, dass wegen der kurzen Regelverjährung nur wenige Verbraucher zu Unrecht erhobene Bearbeitungsentgelte von den Banken hätten zurückverlangen können. Durch das Hinausschieben des Verjährungsbeginnes ist der Kreis der Anspruchsberechtigten erheblich erweitert worden und viele Darlehensnehmer haben bis Ende 2014 die faire Chance erhielten, ihren Anspruch auf Rückzahlung von Bearbeitungsentgelten zu realisieren. Allerdings sind solche lediglich eine bestimmte Personengruppe betreffenden Billigkeitserwägungen nicht geeignet, eine richterliche Rechtsfortbildung über das Gesetz hinaus zu rechtfertigen (BAG, NJW 1962, 1077). Gerade solche unbestimmte Rechtsfortbildungen tragen immer auch die Gefahr des Missbrauches in sich. So wurde die Rechtsfigur der anspruchsfeindlichen ständigen Rechtsprechung im dritten Reich vom Reichsgericht 1934 dazu verwandt, um ein Hinausschieben der Anfechtungsfrist bei der Eheanfechtung von „Mischehen“ zu begründen, weil derartige Anfechtungsklagen in der Weimarer Republik keine Aussicht auf Erfolg gehabt hatten und ihre Erhebung daher nicht zumutbar war (RGZ 145, 8-11). Zuletzt steht dieser Rechtsfigur auch der Rechtsstaatsgedanke des Art. 103 GG entgegen. Die Gerichte sind zu jeder Zeit verpflichtet, rechtliches Gehör zu gewähren. Keine Rechtsprechung ist unveränderlich. Eine Änderung der Rechtsprechung zu einer bestimmten Frage ist nur dann möglich, wenn ein Bürger trotz einer ihm ungünstigen Rechtsprechung das Prozessrisiko in dem Vertrauen auf sich nimmt, dass die Gerichte sich mit seinen Argumenten vorurteilsfrei auseinandersetzen und bereit sind sich immer wieder die Frage zu stellen, ob unter Berücksichtigung dieser Argumente eine Rechtsprechung aufrechterhalten werden kann oder geändert werden muss. Umgekehrt ist der Bürger in einem Rechtsstaat verpflichtet, seine Rechte mit überzeugenden Argumenten durch eine Klageerhebung durchzusetzen und durch das Gewinnen eines Rechtsstreites Rechtsprechung zu ändern. Die Rechtsfigur einer Unzumutbarkeit der Klageerhebung wegen anspruchsfeindlicher Rechtsprechung anzuerkennen, hiesse aber den Zustand einer u.U. fehlerhaften Rechtsprechung zu perpetuiieren. In einem Rechtsstaat, in dem niemand wegen einer gegen eine ständige Rechtsprechung gerichtete Klage persönliche Nachteile befürchten muss, besteht für diese Rechtfigur indes keine Notwendigkeit.
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